Am Ende musste es Josef Ackermann richten. Als die Verhandlungen im Berliner Finanzministerium schon gescheitert waren, griff der damalige Chef der Deutschen Bank dort um ein Uhr nachts nach seinem Telefon und rief Kanzlerin Angela Merkel an. In drastischen Worten malte er ihr aus, welch dramatische Folgen die Pleite der Münchner Hypo Real Estate haben würde. Merkel knickte ein. Mit Milliardenhilfen rettete sie das Skandalinstitut vor dem eigentlich verdienten Aus.
So wie im September 2008 soll es nie wieder sein. Nach Jahren der internationalen Beratungen sind Aufseher und Politiker auf der Zielgeraden. Sie haben Gesetze so gut wie fertig, mit denen sie Banken in eine möglichst geordnete Pleite schicken können. Zwar war es bisher schon möglich, eine Bank dichtzumachen, wie das Ende der Düsseldorfer WestLB zeigt. Doch dafür brauchten die Eigentümer viele Monate. In einer akuten Krise geht es oft nur um Tage. Deshalb soll in Deutschland die Finanzaufsicht BaFin unter der Leitung der früheren Wirtschaftsprüferin Elke König künftig rasch und tief eingreifen dürfen, um Schaden vom Steuerzahler abzuwenden.
Die neuen Vorschriften sollen das Ableben eines Instituts schon regeln, solange es noch gesund ist. Wenn die Therapie schon vorher feststeht, kann die Aufsicht schnell und gezielt agieren. Vor allem aber geht es um Abschreckung: Die Banken sollen sich gar nicht erst in Gefahr begeben, weil ihnen sonst der Exitus droht. Für den Ernstfall einer großen Krise sind die Regeln jedoch ungeeignet. Im Zweifel muss dann doch wieder der Steuerzahler einspringen.
Moralisch bankrott
Das Experiment, eine Großbank hopsgehen zu lassen, ist beim letzten Mal gründlich missglückt. Als die US-Aufseher die Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 überraschend fallen ließen, stand das Finanzsystem vor dem Kollaps. Die Weltwirtschaft stürzte in die Rezession, in Deutschland schrumpfte 2009 das Bruttoinlandsprodukt um 5,1 Prozent. Seitdem gilt mehr denn je das Dogma, dass Banken zu groß zum Scheitern sind. So lassen europäische Regierungen und Notenbanken nichts aus, um in der Schuldenkrise die Pleite eines Kreditinstituts zu verhindern. Über Kapital- und Liquiditätshilfen halten sie marode Banken am Leben, statt sie abzuwickeln.
Gleichzeitig ist der Druck so hoch wie nie, dass enge Band zwischen Staat und Bank endlich zu kappen. Die Branche gilt als moralisch bankrott: Sie belohnt riskante Geschäfte ihrer Mitarbeiter mit Boni in Milliardenhöhe und liegt im Notfall den Steuerzahlern auf der Tasche. Anshu Jain, Co-Chef der Deutschen Bank, räumte kürzlich ein, dass die Institute ihre gesellschaftliche Akzeptanz erst zurückgewinnen, wenn eine Bank pleitegeht.
Bald müssen wohl mehr als 30 deutsche Banken ihren Notfallplan vorlegen
Für den deutschen Steuerzahler ist die Bankenrettung mit rund 40 Milliarden Euro europaweit mit am teuersten gewesen (siehe Grafik).
Künftig sollen Aktionäre und vor allem Gläubiger ran. Nächtliche Panikaktionen soll es nicht mehr geben. Die Pleite einer Bank soll einem bürokratisch festgelegten Drehbuch folgen und sachlich über die Bühne gehen. Dafür hat die BaFin das neue Referat Restrukturierung mit elf Mitarbeitern geschaffen.
Denen müssen Banken darlegen, mit welchen letzten Kräften sie in einer Krise ihr Aus verhindern wollen. Jedes Institut, das die BaFin für systemrelevant hält, muss ihr dazu einen Sanierungsplan vorlegen, in dem steht, wo Risiken drohen und wie es diese in den Griff bekommen will. Die Bank kann etwa Tochterunternehmen verkaufen oder ihr Kapital erhöhen.
Falls die Selbsthilfe versagt, wollen die Aufseher vorbereitet sein. Dafür choreografieren sie die mögliche Schließung der Bank genau durch. Um wichtige Teile wie die Kundeneinlagen zu schützen, können sie diese abspalten. Einmal jährlich kontrollieren sie, ob die Pläne noch funktionieren würden. Sollten sie daran ernsthaft zweifeln, können sie eine Bank zu harten Einschnitten zwingen.
Kern aller Bemühungen ist es, die in den bisherigen Krisen komplett verschonten Inhaber erstrangiger Bankanleihen hart ranzunehmen. Von 2018 an soll ein Teil der neu ausgegebenen Anleihen im Fall der Pleite in Aktienkapital umgewandelt werden können. Damit würden die Verluste der Bank unmittelbar die Anleihegläubiger treffen („Bail-in“).
So weit, so kompliziert. Die Praxis ist noch schwieriger. In Brüssel werkeln die EU-Beamten an der Endfassung der Krisenmanagement-Richtlinie, die von Ende 2014 an gelten soll. Vorsorglich hat die europäische Aufsichtsbehörde EBA in London aber schon eine Liste von 39 Banken vorgelegt, die sie für „international systemrelevant“ hält. In Deutschland steht demnach die Gesundheit von Deutscher Bank, Commerzbank, BayernLB und DZ Bank unter verschärfter Beobachtung.
Dennoch müssen sich in Deutschland deutlich mehr Banken mit ihrem möglichen Dahinscheiden beschäftigen. Die Bundesregierung will an diesem Mittwoch ein Gesetz beschließen, das für alle Banken gilt, die die deutsche BaFin für „national systemrelevant“ hält. Das dürften laut Finanzkreisen rund 30 sein. Zu ihnen zählen auch Töchter ausländischer Großbanken wie die zur italienischen UniCredit gehörende HypoVereinsbank und die Direktbank Diba, eine Tochter der niederländischen ING.
Bis Ende des Jahres müssen sie ihre Ideen für den Notfall vorlegen. Die Deutsche Bank hat ihr Konzept bereits eingereicht und ringt mit den Aufpassern um die Details. Auf dem Höhepunkt der Krise im Herbst 2008 wären aber alle Selbstrettungsszenarien wohl Fiktion gewesen. Keine Bank konnte da eine Tochter verkaufen oder sich Kapital am Markt besorgen.
Wahrscheinlich werden kleinere Banken "geopftert" werden
Noch komplizierter wird es, wenn die BaFin versucht, eine Bank möglichst diskret ins Nirvana zu entsenden. Als Lehman pleiteging, konnten Kunden in Großbritannien ihre Wertpapiere nicht verkaufen, weil die EDV nicht mehr funktionierte. Das bedrohte bei einigen die Existenz. Um so etwas zu verhindern, müsste die gesamte EDV isoliert werden können, damit sie auch bei einer Insolvenz weiter funktioniert. Das könnte die BaFin fordern, auch wenn es technisch kaum möglich ist. „Die Aufseher haben großen Spielraum bei der Frage, was sie von den Banken verlangen können, und müssen das erst in der » » Praxis klarmachen“, sagt Bernd Geier, auf Bankenregulierung spezialisierter Anwalt bei der Kanzlei Allen & Overy in Frankfurt.
Wenn eine Banktochter in einem Land wie den Cayman-Inseln oder den Bahamas aktiv ist, wo es keine vergleichbare Regulierung gibt, könnte die BaFin verlangen, diese Niederlassung zu schließen. Und wenn sie das Investmentbanking für zu riskant hält, kann sie dessen Abspaltung fordern. Damit könnte sie weit über die in dem Gesetz ohnehin vorgesehene Trennung von riskanten Geschäften hinausgehen. Dabei geht es nur um den Eigenhandel und das Geschäft mit Hedgefonds. „So weit wird die Aufsicht aber niemals gehen, weil die Folgen viel zu gravierend sind“, urteilt der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick.
Bisher gehen Investoren davon aus, dass die Staaten ihre Banken im Ernstfall stützen. Machen die Regierungschefs glaubhaft, dass sie Banken in einer Notlage fallen lassen, gelten die als unsicherer. „Gerade für deutsche und französische Banken, die derzeit stark von der hohen Bonität ihres Heimatlandes profitieren, könnte deshalb die Refinanzierung deutlich teurer werden“, sagt Philippe Bodereau, Bankenanalyst bei der US-Fondsgesellschaft Pimco.
Die Ratingagentur Standard & Poor’s erwartet, dass sich der Wegfall der staatlichen Rettungsversprechen negativ auf die Einschätzung der Kreditwürdigkeit auswirkt. Konkurrent Fitch würde ohne den Rückhalt des deutschen Steuerzahlers das Rating der BayernLB von einem soliden A+ auf ein zweifelhaftes BB reduzieren.
Das macht die Finanzierung für deutsche Banken teurer. Um wie viel, ist derzeit kaum abschätzbar. So lässt sich auch nicht beziffern, welche Risikoaufschläge sie ab 2018 auf die dann geplanten Anleihen zahlen müssen, deren Gläubiger sich im Krisenfall an Verlusten beteiligen würden. Denn bisher gibt es diese nicht. Ähnlich sind allenfalls die von UBS, Credit Suisse und KBC emittierten „CoCo-Anleihen“. Diese werden in Aktienkapital umgewandelt, wenn das Eigenkapital der Bank unter die Quote von sieben Prozent fällt. Mit den Papieren wollen die Banken ihre Robustheit stärken und Aufseher und Investoren beruhigen.
Ein massenhaftes Bankensterben wird es wohl trotz der neuen Regeln nicht geben
Mit rund sieben Prozent müssen sie jedoch deutlich höhere Zinsen zahlen als üblich. So teuer wären die Bail-in-Anleihen nicht, weil ihre Besitzer nur bei einer drohenden Pleite über die Wandlung in Aktienkapital Geld verlieren würden.
Dennoch ertönen schon die Warnrufe der Bankenlobby. „Die Pläne werden erhebliche Auswirkungen auf die Kosten und unter Umständen die Kreditvergabe haben“, sagt Michael Kemmer, Geschäftsführer des Bankenverbandes. Für ihn ist „zumindest fraglich, ob die bislang diskutierten Vorgaben realistisch sind“. Wenn Banken künftig zehn Prozent ihrer Bilanzsumme über Bail-in-Anleihen finanzieren müssten, wären das in Europa 3300 Milliarden Euro. Kemmer bezweifelt, dass es „einen Markt in diesem Umfang geben wird“.
In der Tat ist zum Beispiel unklar, ob Versicherungen die Bail-in-Anleihen überhaupt in großem Stil kaufen können. Sie müssten diese womöglich als Aktien verbuchen, von denen sie jedoch nur eine geringe Quote halten dürfen. Banker rechnen aber durchaus mit regem Kaufinteresse von Hedgefonds, Vermögensverwaltern und reichen Privatanlegern.
In Sicherheit wiegen
Dass die Käufer solcher Anleihen wirklich bluten müssen, erwarten die Verantwortlichen sowieso nicht. Der Sinn der neuen Regeln sei, dass „eine systemische Krise schon im Anfangsstadium gestoppt wird“, sagt Verbandsfunktionär Kemmer. Die Banken sollen sich so intensiv mit ihren existenzbedrohenden Risiken beschäftigen, dass diese gar nicht erst eintreten.
Wie ein Londoner Investmentbanker berichtet, tun die Banken derzeit alles, um ihre Gläubiger in Sicherheit zu wiegen und so ihre Finanzierungskosten niedrig zu halten. So hätten viele mehr Eigenkapital als nötig. Auch dass die Banken kürzlich 137 Milliarden Euro Liquiditätshilfen an die EZB zurückgezahlt haben, sei ein Beruhigungssignal an ihre Gläubiger.
Auch der für Investmentbanking zuständige Vorstand eines Frankfurter Instituts rechnet nicht damit, dass die neuen Regeln zu einem massenhaften Bankensterben führen werden. „In einer großen Krise würden die Politiker keine große Bank in die Pleite schicken.“ Allerdings halte die Branche die Vorschriften nicht für eine reine Drohkulisse: „Die Aufseher werden in den kommenden Jahren sicher mal eine kleinere Bank scheitern lassen. Sie wollen schließlich ausprobieren, wie ihr neues Regelwerk funktioniert.“
Die Aufseher werden sicher eine kleinere Bank scheitern lassen