Mehr Kontrolle ist ein Baustein im Veränderungsplan. Leithners Leute legen überall eine Schippe drauf. Die Bezahlung soll sich stärker an langfristigen Zielen orientieren, jährlich finden 200.000 Schulungen zum rechtmäßigen Verhalten und der neuen Regulierung statt. Neue Produkte sollen streng darauf geprüft werden, welche Nebenwirkungen sie haben. Und, auch das ist Teil des Konzepts, mehr Frauen sollen in Führungspositionen aufrücken. Mit der Personalchefin Pippa Lamnbert und der Anwältin Daniela Weber-Rey hat Leithner schon mal zwei Top-Jobs in seiner Abteilung weiblich besetzt.
Wie viele seiner Kollegen brauchte auch Leithner eine Weile, um zu erkennen, dass in der Deutschen Bank in den vergangenen Jahren einiges gründlich schiefgelaufen ist. Noch Ende 2008 meinten Top-Manager, dass lediglich ein besseres Risikomanagement nötig sei. Nun erklären die gleichen Top-Manager die Umkehr mit durchaus drastischen Vergleichen. Bei einem Herzinfarkt denke der Patient auf der Intensivstation auch erst mal nur ans Überleben. Erst wenn er das Krankenhaus verlassen hat, lege er sich einen gesünderen Lebenswandel zu. 2017, so die interne Planung, soll die Rehabilitation abgeschlossen sein.
Leithner ist bodenständig geblieben
Chefdoktor Leithner hat sich anders als mancher Superstar der Szene immer eine gewisse Bodenständigkeit bewahrt. Das liegt auch an seiner Herkunft. Aufgewachsen ist der leidenschaftliche Skifahrer im 500-Seelen-Ort Pertisau in Tirol, wo die Familie eine Skischule, ein Hotel und einen Golfplatz besitzt. Wobei der Bezug zur Großindustrie von Anfang an da war. Seine Mutter stammt aus einer großen deutschen Industriellenfamilie. Zum Wirtschaftsstudium zog es Leithner aus der dörflichen Umgebung an die Schweizer Eliteuni Sankt Gallen. "Er war zu Recht selbstbewusst, aber kein Angeber", erinnert sich ein Kommilitone.
Seine Doktorarbeit ist so herausragend, dass er mit ihr 1993 einen Preis gewinnt, den es sonst nur für Habilitationen gibt. Den Inhalt, die "empirische Umsetzung eines arbitragefreien Zinsstrukturmodells, insbesondere für einen Rentenmarkt außerhalb der USA" bezeichnet sein Doktorvater Heinz Zimmermann heute noch als "sehr fortschrittlich und eine echte Herausforderung". Zimmermann beschreibt Leithner als "absolut loyalen und menschlich beeindruckenden Mitarbeiter, der auch die Wissenschaft bereichert hätte".
Jains Achillesferse
Wichtiger noch als der Inhalt seiner Dissertation wird für Leithner ihr Ideengeber: Das Werk entsteht aus einer Diskussion von Studenten mit Josef Ackermann, der damals gerade erst in den Vorstand des Credit-Suisse-Vorläufers SKA aufgestiegen ist. Ackermann holt Leithner und mehrere seiner Kollegen dann 1999 von McKinsey zur Deutschen Bank, um das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen in Deutschland zu beleben. Das ist damals eine Domäne von US-Banken wie Goldman Sachs und Morgan Stanley. Zu Leithners Förderern gehört neben Ackermann auch Michael Cohrs, der bis 2010 das weltweite Geschäft mit Großunternehmen leitet.
Ackermann und Cohrs sind mittlerweile Geschichte. Beide gingen nicht als Freunde des aktuellen Co-Chefs Anshu Jain. Insider erzählen denn auch, dass der mitunter professoral-bedächtig wirkende Leithner nicht unbedingt Jains Ideal eines Investmentbankers entspricht. Manche halten ihn gar für "Anshus Blitzableiter". Die gerichtlichen Auseinandersetzungen sind Jains Achillesferse. Weitere Enthüllungen könnten ihm gefährlich werden.
Für Leithner kein Grund, nervös zu werden. Er arbeitet den Berg unbeeindruckt und präzise ab. Das hat er schon immer so gemacht, berichtet ein früherer McKinsey-Kollege. Wegen eines Wirbelsturms war das Büro der Beratung in New York verwaist, nur eine Handvoll Berater aus Deutschland harrte noch aus. Warum sie noch da wären, fragte der letzte Amerikaner im Gehen. "Wenn ich in Tirol bei jedem Schneetreiben zu Hause geblieben wäre", antwortete Leithner, "hätte ich nicht mal einen Schulabschluss geschafft."