Sie hören aufmerksam zu, was all die Gutachter und Zeugen so über sie erzählen. In der Mittagspause sitzen sie auch mal auf Holzklappstühlen draußen in der Sonne, jeder mit seinen Anwälten an einem Tisch für sich. Miteinander reden sie kaum. Um sie herum liegt eine Wüstenei aus Behördenbeton, sie essen ein Würstchen vom „Snack-Mac“, und neben ihnen rauchen die Sacharbeiter des benachbarten Arbeitsamts.
Der Abstieg lässt jene, die ihn miterlebt haben, immer noch nicht kalt. Sie waren ja keine schlechten Chefs, keine bösen Menschen, sie haben ihre Angestellten gut behandelt und bestens bezahlt. Man hatte einen Ruf: dass man sich nicht dem Diktat der Quartalsberichte unterwerfe, sondern in Generationen denke.
Aufstieg und Niedergang von Sal. Oppenheim
Der 17-jährige Salomon Oppenheim gründet in Bonn ein Kommissions- und Wechselhaus.
Oppenheim verlegt den Sitz des Unternehmens nach Köln.
Die erste Krise: Nach Fehlinvestitionen in der Elektroindustrie wird die Bank in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Die Disconto-Gesellschaft, damals die zweitgrößte deutsche Bank, steigt bei Oppenheim ein.
Die Gründungsgesellschafter sind wieder Alleineigentümer.
Die Bankiers müssen auf Druck der Nationalsozialisten das Institut umfirmieren in Pferdemenges & Co. Robert Pferdemenges war seit 1931 Teilhaber und entpuppte sich als Retter in der Not.
Das Bankhaus erhält seinen ursprünglichen Namen zurück.
Der Ururenkel des Gründers, Alfred Baron von Oppenheim, wird persönlich haftender Gesellschafter. Er baut die Vermögensverwaltung als zweite Säule neben dem Firmenkundengeschäft aus.
Die Oppenheim-Esch-Holding wird gegründet.
Der Bereich Firmenkredite wird zum Großteil aufgegeben.
Sal. Oppenheim steigt mit der Übernahme der BHF-Bank zur größten unabhängigen Privatbank Europas auf.
Sal. Oppenheim wird durch Kredite an die Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz Großaktionär bei Arcandor. Die Pleite von Arcandor reißt Oppenheim in die Krise. Zudem fallen im Investment-Banking Verluste an.
Matthias Graf von Krockow und Carl Janssen schließen den Einstieg eines externen Investors aus. Doch dann wird das Institut an die Deutsche Bank verkauft. Der Deal ist 2010 besiegelt. Die Tradition von 220 Jahren als eigenständiges Geldhaus sind vorbei.
Dass man den Kunden Anlagen bot, die sonst nirgendwo zu bekommen waren. „Wir empfehlen nichts, worin wir nicht auch selbst investieren“, warb Krockow und freute sich, wenn seine Kunden nicht nur von seinen Angeboten, sondern auch von den livrierten Etagenboten und den Urahnen in Öl an den Wänden des Kölner Stammhauses beeindruckt waren.
Die Ölbilder sind abgehängt, statt 4500 Mitarbeiter arbeiten heute knapp 500 für die Bank, die Mutter Deutsche Bank taxiert den Wert der Marke Oppenheim noch auf läppische 27 Millionen Euro, und der Ruf ist auch dahin. Was Gier und unterschätzte Risiken, zu viel Nähe, Druck, Erwartungen – das ganze Buddenbrooks-Zeug eben – halt so anrichten.
Gesellschafter für Führung wenig geeignet
Zwei Drittel der Bank gehörten zwei Familienstämmen, den Oppenheims und den Ullmanns. Die entsandten je einen der Ihren als persönlich haftenden Gesellschafter in die Geschäftsführung, um ihr Erbe zu hegen und zu mehren. Ob diese Familienvertreter dafür geeignet waren, prüften sie nicht allzu genau, schauten vielleicht auch weg. „In anderen Unternehmen wären beide nie so weit nach oben gekommen“, sagt ein früherer ranghoher Oppenheim-Banker.
Das gilt für den Grafen von Krockow, einen Abkömmling alten pommerschen Adels, dessen Familie nach ihrer Flucht am Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend mittellos war, der sich dann bei anderen Banken mühsam hocharbeitete und schließlich die gestrenge Bankerbin Ilona von Ullmann ehelichte. Er ist ein netter Kerl, eine bis zum Niedergang unverdrossene Frohnatur, aber der Großbanker, den er gerne darstellen wollte, den auch seine Frau so gern ihn ihm sah, war er nicht. Er habe Entscheidungen auf unzureichender Grundlage getroffen und Bedenken von Mitarbeitern ignoriert, gab der Graf im Prozess zu.
Das gilt noch mehr für Christopher von Oppenheim, die tragischste Figur dieser Tragödie. Er sieht auch mit fast 50 Jahren noch aus wie ein Junge, der sich den Anzug übergezogen hat, um Erwachsensein zu spielen. Aufgewachsen ist er mit der Familiengeschichte, Stunde um Stunde hat er im Archiv der Bank verbracht. Er wäre wohl gerne Historiker geworden, aber da war sein 2005 verstorbener Vater Alfred vor.
Die Last der Jahrhunderte
Sein Sohn, bis zum Untergang Chefbetreuer der vermögenden Kunden, hat im Verfahren einen Einblick gewährt in die Dynamiken, die in dieser Familie wirkten. Da hat er erzählt, wie ihn der Großvater bei seiner Konfirmation zur Seite nahm und ihm eröffnete, dass er „irgendwann in der Bank tätig sein und die Familientradition fortsetzen werde“. Eine privilegierte Geburt ist eben oft mehr Last als Gnade, vor allem, wenn diese Last Jahrhunderte wiegt.
Christopher hat in Jahrhunderten gelebt und gedacht. Er habe die Bank bis zur 250-Jahr-Feier im Jahr 2039 prägen wollen, hat er gesagt. Mit der Gegenwart hatte er es nicht so, sie ist ja auch anstrengend mit all den Zahlenkolonnen und Risikoberichten. Einen Blackberry hatte er nicht, E-Mails blieben oft tagelang ungelesen. „Er weiß, dass er etwas falsch gemacht hat“, sagt ein Vertrauter, „aber er weiß nicht genau, was.“