Standortverlagerung Nimm' die Zentrale und wandere

Beim Software-Konzern SAP wird viel diskutiert, ob in den kommenden Jahre die Zentrale aus Walldorf vielleicht gar ins Ausland verlegt werden könnte. Einige Beispiele zeigen, dass so etwas nicht unmöglich ist.

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Nicht nur das kulturelle Angebot in London lockt immer mehr Unternehmen nach London. Die Einschnitte bei der Unternehmenssteuer haben eine gewisse Anziehungskraft. Quelle: dpa

London Die Schweizer Stadt Baar hat saubere Luft, leichten Zugang zu Skipisten und eine niedrige Einkommenssteuer. Und London? Jede Menge Verkehr und ständigen Dauer-Nieselregen. Und dennoch: Die Manager von Noble, einem Dienstleister für die Ölindustrie, verlegen gerade ihre Unternehmenszentrale von Baar in die britische Hauptstadt. Sie verweisen auf talentierte Arbeitskräfte und die vorteilhafte Fluganbindung via London-Heathrow, dem verkehrsstärksten Flughafen in Europa. Hinzu kommt, dass das britische Steuersystem inzwischen mit dem traditionell sehr unternehmensfreundlichen Steuersystem der Schweiz mithalten kann.

Noble gehört zu einer Reihe ausländischer Unternehmen, die mit ihren Firmenzentralen in die britische Hauptstadt umziehen. Angelockt werden sie dabei unter anderem vom sinkenden Steuersatz für Unternehmen. Die Entwicklung spiegelt die Bemühungen des britischen Premierministers David Cameron wider, sein Land für ausländische Unternehmen attraktiver zu machen. Gleichzeitig könnte London vor diesem Hintergrund die Abhängigkeit von der Finanzbranche reduzieren. Diese befindet sich seit der Finanzkrise im Jahr 2008 auf dem Rückzug.

In Deutschland ranken sich zuletzt immer wieder Gerüchte, dass der Software-Konzern SAP zumindest die Zentralfunktionen aus dem angestammten Standort im baden-württembergischen Walldorf abziehen könnte. Das Unternehmen weist dies zurück, aber zumindest unmöglich ist ein solcher Umzug nicht.

„Es gibt definitiv eine Bewegung Richtung Großbritannien, und ich glaube, mehr wird kommen“, sagt Angus Winther, Berater bei der Investmentbank Evercore Partners Inc. „Es gibt riesige Vorteile: Man hat ein breites Reservoir an Talenten, Infrastruktur, Sprache, niedrigere Steuern.“

Im Jahr 2012 verlagerten 45 ausländische Unternehmen weltweite oder regionale Zentralen nach London – nach nur 25 im Jahr 2009. Das belegen Daten von FDI Markets. Zu den Umzüglern dieses Jahr zählen die Öl- und Gassparte von General Electric, die zuvor in Italien war, sowie der chinesische Entwickler ABP (China) Holdings Group, der seine Weltzentrale in London aufbaut. Auch Aon Plc, Nummer zwei unter den Versicherungsmaklern der Welt, verlegte seinen Sitz im vergangenen Jahr von Chicago nach London. WPP, die größte Werbeagentur der Welt, kündigte vergangenes Jahr an, sie wolle nach London zurückkehren.


Einschnitte bei Unternehmenssteuern machen London attraktiv

Zwar üben die kulturellen Möglichkeiten in der britischen Hauptstadt, Theater und gute Restaurants eine Anziehungskraft aus, doch Einschnitte bei den Unternehmenssteuern unter Führung der konservativen Regierung haben sicher auch geholfen.

In Großbritannien liegt der Basissteuersatz für Unternehmen jetzt bei 23 Prozent, nach 28 Prozent in 2010. Bis 2015 soll die Rate weiter schrumpfen bis auf etwa 20 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland verlangt rund 29 Prozent, in Frankreich sind es gar rund 33 Prozent. In den USA liegt der Satz bei 40 Prozent, doch wegen Abzügen zahlen viele Firmen weniger.

Der parallel laufende Rückzug der Finanzindustrie in London lässt sich in den Statistiken ablesen. Die Anzahl der Menschen, die bei Finanzdienstleistern in London angestellt sind, wird aller Wahrscheinlichkeit nach im kommenden Jahr auf rund 236.000 sinken, was laut Centre for Economics and Business Research der niedrigste Wert seit 1993 wäre. Nachdem der Finanzsektor, der in der britischen Hauptstadt konzentriert ist, 2007 noch hinter 13,9 Prozent des Steueraufkommens stand, waren es in 2012 nur noch 11,6 Prozent. Das belegen Daten der City of London, dem Finanzbezirk der britischen Hauptstadt.

So haben beispielsweise einige Hedgefonds und Asset-Manager London Richtung Schweiz verlassen. Sie verwiesen auf strengere Regulierung in Großbritannien. Die Bank-Giganten HSBC und Standard Chartered, die ihre Geschäfte überwiegend im Ausland machen, schließen unterdessen nicht aus, dass sie ihre Konzernzentralen nach Asien verlagern.

Ob es London gelingen wird, weiter ausländische Unternehmen anzuziehen und die Wirtschaftsstruktur der Hauptstadt weg von der Finanzbranche auszubalancieren, hängt von einer Kombination an Faktoren abhängen. Das sagt Ajay Bhalla, ein Professor für Innovations-Management an der Cass Business School. Er nannte hier Politik, Steuern und immaterielle Charakteristiken wie die kosmopolitische Atmosphäre und Bildungseinrichtungen. „Das sind die entscheidenden Faktoren dafür, ab ein Ausbalancieren möglich sein wird.“

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