Es ist eine Übernahmeschlacht, wie sie Deutschland noch nicht erlebt hat. Und Marcus Schenck ist mittendrin. Der junge Investmentbanker in Diensten der US-Investmentbank Goldman Sachs soll dem britischen Mobilfunkkonzern Vodafone Ende 1999 zur Übernahme des deutschen Konkurrenten Mannesmann verhelfen.
Und das macht Schenck mit Bravour, sagt einer, der damals eng mit ihm zusammengearbeitet hat. Schenck sei ein absoluter Teamspieler, hoch diszipliniert, voll auf Geschäft und Kunden konzentriert. Und dabei sogar noch ungewöhnlich cool. „Wenn die Stimmung extrem angespannt war, hat er sie mit einem Scherz wieder gelockert“, sagt der Weggefährte.
Zu den Personen
Paul Achleitner, Chefkontrolleur Deutsche Bank, Goldman-Chef Deutschland 1994 bis 2000.
Marcus Schenck, bald Deutsche-Bank-Vorstand, 1997 bis 2006 und ab 2013 bei Goldman.
Carsten Kengeter, künftiger Deutsche-Börse-Chef, 1997 bis 2008 bei Goldman.
Wolfgang Fink, seit 1993 bei Goldman, in Zukunft Co-Deutschland-Chef.
Jörg Kukies, seit 2001 bei Goldman, in Zukunft Co-Deutschland-Chef.
Dorothee Blessing, US-Investmentbank JP Morgan, bei Goldman 1992 bis 2013.
Alexander Dibelius, Goldman-Großkundenbetreuer, Deutschland-Chef 2002 bis 2014.
Theodor Weimer, Chef der HypoVereinsbank, von 2001 bis 2007 bei Goldman
Axel Hörger, (noch) Deutschlandchef der UBS, von 1994 bis 2010 bei Goldman
Frank Lutz, Finanzvorstand Bayer Material Sciences, 1995 bis 2004 bei Goldman, danach u.a. Finanzvorstand bei MAN
Thomas Mayer, Flossbach von Storch, 1991 bis 2002 bei Goldman, Ex-Chefvolkswirt Deutsche Bank
Solche Qualitäten schätzt offenbar auch sein früherer Chef. Paul Achleitner stand von 1994 bis 2000 an der Spitze des Deutschland-Ablegers von Goldman Sachs, seit 2012 ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank. In der Funktion hat er seinen alten Kollegen Schenck abgeworben. Als künftiger Finanzchef ist der einer von zwei neuen Männern im Vorstand, mit deren Hilfe Deutschlands größtes Kreditinstitut möglichst schnell wieder auf Kurs kommen soll. Das ist dringend nötig. Die Bank ächzt unter einem riesigen Berg von Altlasten und musste zuletzt einen Quartalsverlust verkünden. Der bisher siebenköpfige Vorstand war mit der Fülle der Probleme schlicht überfordert.
Neben der Deutschen Bank vertraut künftig auch die Deutsche Börse auf die Kompetenz eines Ex-Goldies. Fast zeitgleich mit Schencks Wechsel verkündete sie, dass der Investmentbanker Carsten Kengeter im kommenden Frühjahr den aktuellen Vorstandschef Reto Francioni ablösen soll. Zu Kengeter fallen früheren Kollegen ähnliche Attribute wie zu Schenck ein. Bei allem persönlichen Ehrgeiz gilt auch er als extrem kollegial, zurückhaltend, unglaublich diszipliniert und voll fokussiert auf die Interessen des Kunden.
Oberste Etage
Das ist kein Zufall. Denn die Werte bekommen Goldman-Banker wieder und wieder mit Nachdruck eingebimst. „So unterschiedlich wir auch sind, so sehr haben wir die Goldman-Kultur zutiefst verinnerlicht“, sagt einer, der mit Schenck und Kengeter bei der Bank war. Die Qualitäten sind offenbar höchst begehrt. Mit den beiden Wechseln wächst die ohnehin schon beachtliche Zahl der Banker, die prägende Karriereschritte in den obersten Etagen des Frankfurter Messeturms getan haben und heute Schlüsselpositionen in der deutschen Finanzwirtschaft besetzen.
Zu ihnen zählt etwa Dorothee Blessing, die nach mehr als 20 Jahren im Geschäft mit Firmenkunden bei Goldman seit Kurzem einen Top-Job im europäischen Investmentbanking des Konkurrenten JP Morgan hat. Theodor Weimer, seit 2009 an der Spitze der HypoVereinsbank, hat vorher sieben Jahre bei der US-Investmentbank gearbeitet. Auch Axel Hörger, der noch bis März das Deutschland-Geschäft der Schweizer UBS leitet, gilt als typischer Vertreter der Generation Goldman.
Eine global agierende Machtsekte
Die ist einerseits geprägt von absoluter Erfolgsorientierung, Ehrgeiz, Einsatz bis zum Umfallen und dem Karriereprinzip „Up or out“ – wer zu schwach ist, muss gehen. Andererseits schwärmen frühere Banker von der Teamarbeit und bedingungslosen Offenheit. „Es war total verpönt, Themen über Bande zu spielen. Wer das versucht hat, war schnell draußen“, sagt ein Ex-Goldman-Banker.
Um ein reibungsloses Zusammenspiel zu garantieren, unterzieht die Bank Bewerber einem beispiellosen Marathon von oft mehr als 20 Vorstellungsgesprächen. Auserwählte fliegen dann oft für eine Woche nach New York, um die Kultur des Unternehmens zu verinnerlichen. In ihrer Konsequenz sind die Goldman-Grundwerte allenfalls noch mit denen der Unternehmensberatung McKinsey vergleichbar.
Kritiker sehen denn auch in beiden Unternehmen global agierende Machtsekten, die ihre Angestellten einer Gehirnwäsche unterziehen, indem sie sie derart einspannen und fordern, dass sie gar keine Zeit mehr für eigene Gedanken haben. Derart umgekrempelt bleiben sie ihren Arbeitgebern angeblich auch nach ihrem Ausscheiden treu ergeben und schanzen ihnen Aufträge und Informationen zu. Dass Ex-Goldman-Manager wie Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank, auch politisch wichtige Posten besetzen, befeuert solche Verschwörungstheorien.
Nahezu paranoid
Zu denen trägt auch das Beharren der Bank auf absoluter Diskretion bei. „Die eigene Reputation verteidigt Goldman nahezu paranoid“, sagt ein früherer Manager. Selbst kleinste Negativnachrichten hätten zu stundenlangen Telefonkonferenzen mit Verantwortlichen in New York geführt.
In den vergangenen Jahren gab es da eine Menge Gesprächsbedarf. Nach der Finanzkrise 2008 geriet Goldman wie kein anderes Institut in die Kritik, so stellte sich heraus, dass die Bank wohl gegen eigene Kunden gewettet hatte, in internen E-Mails prahlten ihre Mitarbeiter mit ihren Abzockereien. Zu allem Überfluss verkündete Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein auch noch scherzhaft, dass er „Gottes Werk“ verrichte. Das US-Magazin „Rolling Stone“ beschimpfte die Bank in einer Generalabrechnung als „Riesenkrake, die ihre Tentakel in alles steckt, was Geld bringt“.
Selbst hochrangige Goldman-Banker geben zu, dass sich das Institut in seiner Gier nach Wachstum weit von den Wurzeln entfernt hatte. Als eine der ersten brachte die Bank deshalb nach der Finanzkrise eine große Selbstüberprüfung auf den Weg. Die Rückbesinnung auf alte Werte soll künftig Skandale vermeiden. Bisher offenbar erfolgreich: Während etliche Konkurrenten mit Manipulationen und Rekordstrafen Schlagzeilen machen, ist es um Goldman erstaunlich still geworden.
Für traditionelle Werte steht auch der Generationswechsel, der sich vergangene Woche im Messeturm vollzogen hat. Auf den langjährigen Deutschland-Chef Alexander Dibelius folgt mit Wolfgang Fink und Jörg Kukies nun eine Doppelspitze. Klarer lässt sich der Teamgedanke kaum signalisieren. Beide gelten als „absolut typische Goldman-Banker“ – professionell, ohne großen Drang an die Öffentlichkeit.
In die wurde der neue Chef der Börse 2011 gezerrt. Da musste Kengeter, den die Schweizer UBS von Goldman abgeworben und zum Leiter ihres Investmentbankings gemacht hatte, einen Verlust von fast einer Milliarde Dollar erklären. Den hatte ein einzelner Händler durch unentdeckte Fehlspekulationen verursacht. Er erledigte den Job nüchtern, räumte auf und verließ die UBS schließlich Anfang 2013 unter Mitnahme seines Jahresbonus. Danach lehrte er erst mal an der London School of Economics. Nun kehrt er auf einen Top-Job zurück.
Auch der künftige Deutsch-Banker Schenck hat eine längere Auszeit von der Finanzwelt genommen. Von 2006 bis 2013 war er Finanzvorstand des Düsseldorfer Energiekonzerns E.On. Bei der Deutschen Bank wird er sich im schon jetzt nicht konfliktfreien Führungszirkel nicht nur fachlich, sondern auch als Teamspieler beweisen müssen. Gut möglich, dass ihn die Kollegen kritisch beäugen. Schon gilt er als Reservekandidat, falls die aktuelle Doppelspitze über ihre Altlasten stolpern sollte.