Beratung Höchste Zeit für den Wandel

Viele deutsche Unternehmen sind nicht krisenfest. Experten für Change-Management warnen vor Führungskräften mit mangelnder Akzeptanz bei Mitarbeitern. Sie werden keinen Wandel vorantreiben können.

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Otto-Chef Hans-Otto Schrader. Auch bei Otto muss Wandel das Unternehmen retten. Quelle: dpa

Hamburg Neulich befiel Martin Gros mal wieder das Gefühl, im Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" gelandet zu sein - darin erlebt Hauptdarsteller Bill Murray denselben Tag wieder und wieder. Beim Gespräch mit dem Kunden ging es um ein Thema, das der Berater von Comteam in Gmund am Tegernsee zur Genüge kennt: Veränderungsprozesse und die Frage, warum sie oft scheitern. "Eigentlich gibt es beim Change-Management eine Reihe einfacher Prinzipien, die seit langem bekannt sind", sagt Gros. "Aber dann stellt man fest, dass die Unternehmen bei der Realisierung nicht sehr viel weitergekommen sind."Die Hälfte der Mitarbeiter in deutschen Firmen bewertet etwa die Kommunikation von Vorgesetzten in Veränderungsprojekten als "nicht zielgruppengerecht", "unverständlich" und "in vielen Bereichen weder offen noch ehrlich". Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Beratung Mutaree bei Wiesbaden. "Die Firmen sind auf Veränderungsprozesse nicht optimal vorbereitet und machen viele Fehler im Umgang mit ihrer wichtigsten Ressource, den Menschen", sagt Geschäftsführerin Claudia Schmidt.

Bisher mussten meist nur die Unternehmen Veränderungen anschieben, die ohnehin Probleme mit dem Geschäftsmodell hatten. Doch sollte die Konjunktur an Fahrt verlieren, könnte es auch diejenigen treffen, die im Kern gesund sind. "Bis Jahresmitte sind nur Unternehmen mit strukturellen Problemen gestrauchelt", sagt Ralf Moldenhauer, Partner der Boston Consulting Group (BCG). Doch neben den Problembranchen Immobilien, Schifffahrt, Holzverarbeitung und Druck könnten bald weitere Industriezweige grundsätzliche Schwierigkeiten bekommen.

Wenn die ganze Branche ins Trudeln gerät, müssen die Firmen blitzschnell lernen, sich neu zu erfinden. Experten sind skeptisch, ob die meisten deutschen Betriebe dazu in der Lage sind. "Vor dem Hintergrund einer von Globalisierung und Vernetzung geprägten Wirtschaft hat sich die Bereitschaft und die Geschwindigkeit, mit der die meisten Unternehmen lernen, in den vergangenen Jahren nicht ausreichend verändert", sagt Peter Ansorge, Vorstandsmitglied im Fachverband Change-Management im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater. "Zu Beginn eines Veränderungsprojekts sind in Organisationen erfahrungsgemäß 30 Prozent dafür, die Hälfte wartet ab und 20 Prozent sind dagegen."

Dass Unternehmen dem Idealbild der permanent lernenden Organisation entsprechen, ist die Ausnahme. Ein Grund: fehlende Motivation der Mitarbeiter: Sie haben das Gefühl, von Veränderungen nicht zu profitieren und schieben sie deshalb nicht an. Auch der Aufbau von Change-Abteilungen, wie ihn einige Unternehmen praktizieren, hilft häufig nicht, den Betrieb flexibler zu machen. Stattdessen entstehen weitere Reibungen, die Veränderungen verzögern. "Organisatorisch bedeutet die eigene Change-Abteilung zusätzliche Transaktionskosten - man redet, stimmt sich ab, es geht um Platz, Bedeutung, Anerkennung", sagt Berater Gros.

In der Verantwortung steht die Unternehmensleitung. "Gerade in Veränderungsprozessen ist es wichtig, die Mitarbeiter zu begeistern und zu motivieren", sagt Mutaree-Geschäftsführerin Schmidt. Besonders erfolgreich sind die deutschen Führungskräfte bisher nicht. 70 Prozent der Befragten trauen ihrem Management nicht zu, ein attraktives Zukunftsbild zu vermitteln. Und lediglich 29 Prozent glauben, dass ihre Führungskraft sie für ein Veränderungsvorhaben begeistern kann.

Dabei ist bekannt, dass Veränderungen nur unter Einbeziehung der Betroffenen gelingen. Und dass Change-Projekte vor allem dann scheitern, wenn man versucht, sie über die Köpfe der Beteiligten hinweg durchzusetzen - statt mit den Mitarbeitern zu kommunizieren.

Tagesgeschäft verhindert Planung

Schlimmer noch: Mitunter erkennen die Topmanager gar nicht, dass sich etwas ändern muss. "Man ist mit dem Tagesgeschäft beschäftigt und blendet notwendige Veränderungen aus", sagt Ansorge. "Für das Fortbestehen von Unternehmen ist das fatal." BCG-Berater Moldenhauer stimmt dem bei: "80 Prozent der Krisen gehen auf unzureichende Anpassungen im Management zurück", sagt er.

Beispiel Air Berlin: Seit etlichen Jahren verlangten Anleger vom ehemaligen Chef der Fluglinie, Joachim Hunold, eine klare Strategie für das irgendwo zwischen Premium- und Billiglinie positionierte Unternehmen - vergebens. Heute hat Air Berlin 600 Millionen Euro Schulden, und Hunold-Nachfolger Hartmut Mehdorn hat der Firma ein drastisches Sparprogramm verordnet.

Dass es anders geht und der Umbau vor allem dann gelingt, wenn er früh begonnen wird, zeigt die Otto Group: Zwar können die Hamburger beim Wandel vom Katalogversand- zum Onlinehändler bereits große Fortschritte verbuchen. So entfallen zwei Drittel des Umsatzes auf das Onlinegeschäft. Dennoch treibt die Firma den Umbau weiter voran: In Workshops sollen die Mitarbeiter das Gespür dafür entwickeln, was es heißt, für einen Onlineanbieter zu arbeiten. Auch Strukturen im Einkauf und Vertrieb verändert die Otto Group dank eines von Booz & Company erarbeiteten Konzepts namens "Tempo". Selbst vor dem Vorstand macht der Umbau nicht halt: Das Unternehmen hat kürzlich die Zuständigkeiten neu verteilt - damit sie besser zu einer Onlinefirma passen.

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