Bestechungsskandale Bauindustrie bleibt korrupteste Branche

Trotz der Affären bei Siemens und MAN bleibt die Bauindustrie die korrupteste Branche – weil die Selbsthilfeprojekte gegen Bestechung ins Leere laufen.

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Öffentlicher Straßenbau. Quelle: ZB

Die 400 Beamten schwärmten früh morgens zeitgleich in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg aus. Sie filzten „110 Durchsuchungsobjekte“, sagt Staatsanwalt Marcus Röske von der dabei federführenden Staatsanwaltschaft Verden im nördlichen Niedersachsen: Büros von 30 Bauunternehmen, 40 Wohnungen von deren Mitarbeitern, Diensträume von zehn Bediensteten aus Hoch- und Tiefbauämtern. In Kleinlastwagen transportierten die Fahnder Aktenordner und Festplatten mit Belastungsmaterial ab. Beweisen wollen sie, dass die Unternehmen jahrelang Preise untereinander abgesprochen, Amtspersonen bestochen und so mindestens 48 öffentliche Bauaufträge überteuert abgerechnet haben. Das kriminelle Kartell flog auf, als ein Mittäter Konkurs anmeldete und auspackte. Nach der Riesenrazzia im Elbe-Weser-Dreieck Ende April dieses Jahres steht der Bauwirtschaft nun bald eine Welle von Anklagen und Strafbefehlen ins Haus.

Wieder mal.

Alltag Korruption

Trotz der Großaffären bei Siemens und MAN ist Deutschlands Schmiergeldbranche Nummer eins immer noch der Bau. Nach der aktuellen Aufstellung des Bundeskriminalamtes (BKA) lagen in sechs von acht Jahren seit 2000 die Hoch- und Tiefbauunternehmen im Schmiergeldranking vorn, auch wenn Dienstleistungsgewerbe und Pharmakonzerne aufholen. Das BKA erfasst, in welchen Branchen die mutmaßlichen Übeltäter arbeiten, gegen die wegen Korruption ermittelt wird.

Korruption am Bau ist wie vor 20 Jahren Alltag zwischen Watzmann und Wattenmeer – in Behörden, deren Bedienstete arabischem Bakschisch näherstehen als preußischer Sekundärtugend; in Konzernen, die Bauaufträge in Milliardenhöhe vergeben; in Bauunternehmen, die mit Auftragsdoping den Wettbewerb aushebeln. Otto Geiss, Revisionschef bei der Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport, kritisiert: „Die Bauwirtschaft bleibt weit hinter ihren Ansprüchen zurück.“ Und künftig vergrößern gelockerte Vergaberichtlinien den Spielraum für Tricksereien auch noch.

Dabei mangelte es nicht an Versuchen, den Sumpf trockenzulegen. Baukonzerne wie Hochtief setzen auf professionelle Compliance-Programme – oft allerdings erst nach einer Verwicklung in korrupte Geschäfte. Strabag kämpft mit einer Großaffäre in Sachsen, die vor vier Jahren aufflog, zur Schließung der Chemnitzer Niederlassung führte und juristisch aufgearbeitet wird. Im März zahlte Strabag an die Stadt Chemnitz deshalb 785.000 Euro Schadensersatz. Fraglich ist, ob eine gesäuberte Unternehmenskultur bis Albanien und Afrika reicht. Bilfinger Berger etwa steckt in einem Rechtsstreit um dubiose Geschäfte in Nigeria. Strabag drohte der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen in der Slowakei.

Gleichzeitig entwickeln sich Bemühungen etwa des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), den Mittelstand – das Gros der Branche – auf Antikorruptionskurs zu bringen, äußerst zäh. Die neuen Skandale machen nur deshalb kaum Schlagzeilen, weil es – wie in Verden an der Aller – nicht um große Namen geht:

Im Mai wurden ein Mitarbeiter des Bauamts im bayrischen Traunstein zu drei Jahren und drei Monaten Haft und ein Bauingenieur aus Bayerisch Gmain zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Der Ingenieur hatte überhöhte Rechnungen gestellt, die der Beamte abzeichnete.Die Staatsanwaltschaften in Wuppertal und Bielefeld durchsuchten im April Wohnungen und Büros von 18 Mitarbeitern aus acht Unternehmen wegen schmutziger Deals mit der britischen Armee, unter anderem bei der Instandsetzung von Kasernen. In Bremen laufen seit März Vorermittlungen gegen mehr als ein Dutzend Straßenbauunternehmen wegen des Verdachts von Gebiets- und Preisabsprachen.In Frankfurt am Main wird noch gegen 18 Beschuldigte ermittelt, die das Möbelhaus Ikea beim Bau neuer Filialen übers Ohr gehauen haben – unter Beteiligung der Ikea-Bauabteilung. 41 Beschuldigte erhielten bereits Strafen, darunter der Seniorchef des heute 5700 Mitarbeiter großen bayrischen Familienkonzerns Max Bögl.Beschuldigte mehrerer Firmen und ein Mitarbeiter des Bauamts in Feldkirchen bei München sollen mit Scheinangeboten die Vergabe von Straßenbauarbeiten manipuliert haben – auch hier laufen Ermittlungen.

Antikorruptionsinitiativen nur mäßig erfolgreich

Wie schwach die Selbstreinigungskräfte der Baubranche sind und wie weit die Realität von den hehren Ansprüchen des im Frühjahr vorgestellten Leitbildes Bau entfernt ist, zeigt sich an den zwei wichtigsten Antikorruptionsinitiativen.

2006 startete unter Regie von Bundesbauministerium und HDB das Präqualifikationsverfahren (PQ). Es verspricht eine Art Persilschein für die Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen, wenn sich Unternehmen nach den Regeln des PQ-Vereins zertifizieren lassen. 14 Nachweise, etwa zur Zahlung gesetzlicher Mindestlöhne, zu Einträgen ins Gewerbezentralregister, zur Umsatzentwicklung und zur Steuerabführung sollen Rechtstreue, wirtschaftliche Stabilität und technische Kompetenz nachweisen. Die elektronisch erfassten Daten und Dokumente werden ständig aktualisiert. Fehlt ein Nachweis, wird das Unternehmen aus der PQ-Liste gestrichen.

Anreize sind zu gering

2.250 Unternehmen haben bis heute die PQ-Mitgliedschaft erworben. Klingt viel. Doch PQ-Vorstandsmitglied Eckart Drosse, auch Hauptgeschäftsführer des Bauindustrie-Verbandes Hessen-Thüringen, findet die Zahl unbefriedigend. Denn dem Bauhauptgewerbe gehören rund 75.000 Unternehmen an, hinzu kommen 225.000 Betriebe des Baunebengewerbes: Gerüstbauer, Bauschlosser, viele weitere Gewerke und zudem Statiker, Architekten, andere Freiberufler. Der PQ-Verein hat seine Zielgruppe also nur im Promillebereich erfasst.

Auch die öffentlichen Auftraggeber meiden das zu größerer Transparenz zwingende PQ-Verfahren und bevorzugen lieber ihre gewohnten Hoflieferanten. Von schätzungsweise 50.000 Vergabestellen in Behörden und öffentlichen Einrichtungen von Bund, Ländern und Kommunen sind 1812 beim PQ-Verein registriert – die Einkaufsabteilung der Technischen Hochschule Aachen etwa oder das Sächsische Immobilien- und Baumanagement Zwickau. Drosse weiß: „Dadurch ist der Anreiz für Unternehmen, sich für die PQ-Liste zu qualifizieren, zu gering.“ Denn nur PQ-gelistete Vergabestellen ersparen es den Firmen, bei Bewerbungen um Aufträge mit Bergen von Dokumenten stets aufs Neue Eignung und Zuverlässigkeit nachzuweisen. Hoffnung macht Drosse, dass seit Oktober 2008 Vergabestellen des Bundes Hochbauaufträge ohne oder mit beschränkter Ausschreibung nur noch an PQ-Unternehmen vergeben.

Noch zäher entwickelt sich die zweite Hoffnung auf Läuterung und Imageverbesserung. Der Bayrische Bauindustrieverband hat seit Korruptionsskandalen in den Neunzigerjahren ein Wertemanagement Bau mit dem Kürzel EMB (das E steht für „Ethik“) entwickelt. Geschäftsführung und Mitarbeiter EMB-auditierter Betriebe entwickeln gemeinsam eine Grundwerte-Erklärung für ihr Unternehmen und definieren Regeln, an die sie sich im Wettbewerb halten. Selbstbeurteilungsverfahren und Kontrollen durch externe Auditierungsstellen sorgen in festen Abständen dafür, dass alle Mitarbeiter sich mit der Unternehmensethik und deren Gefährdung auseinandersetzen. Die Hemmschwelle gegenüber korruptem Verhalten soll dadurch deutlich höher sein als in Unternehmen, wo das Thema tabu ist. Fraport-Revisionschef Geiss findet „den EMB-Ansatz sehr gut“.

Korruption wird begünstigt

Der HDB hat bei einer Veranstaltung in Berlin im März 2007 die „bundesweite Einführung“ des EMB-Projekts verkündet. Doch in den zwei Jahren nach der Ankündigungsshow „ist nicht viel passiert“, sagt Richard Weidinger, ehemaliger Geschäftsführer des Memminger Bau-Mittelständlers Josef Hebel und Vorsitzender des EMB-Vereins. Nur 46 auditierte Mitglieder weist die EMB-Homepage heute auf. Heiko Stiepelmann, stellvertretender HDB-Geschäftsführer, sagt: „Was soll ich drum herumreden? Das hat noch nicht richtig verfangen.“ Die Bauverbände in den Ländern, meint er, müssten engagierter für das EMB-System werben, denn nach wie vor herrsche die Auffassung, „Ethik sei Privatsache“.

Tragisch, dass der Staat den Nährboden für diesen Irrglauben noch düngt. Dank der vom Bund verfügten, konjunkturell begründeten Lockerung des Vergaberechts können die Ämter nun legal Aufträge bis 100.000 Euro ohne und bis zu einer Million Euro mit beschränkter Ausschreibung vergeben. Praktikern schwant, dass wir uns damit heute die Affären von morgen einhandeln. Staatsanwalt Röske aus Verden: „Höhere Grenzwerte sind unter Korruptionsgesichtspunkten verführerisch.“

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