Boehringer Ingelheim-Chef Andreas Barner "Unlautere Praktiken gehören sich nicht"

Andreas Barner, Chef des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim, über Gesetzesverstöße der Branche, Wachstum in der Krise und die Sexpille für Frauen.

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Andreas Barner, Chef des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim

WirtschaftsWoche: Herr Barner, viele Menschen halten die Manager der Pharmakonzerne für geldgierig und skrupellos. Stört Sie das schlechte Image der Branche?

Barner: Ja, das stört mich sehr. Unsere Industrie trägt doch viel dazu bei, Krankheiten zu heilen. So ist Aids inzwischen kein Todesurteil mehr, sondern eine chronische Krankheit.

Gleichzeitig nehmen Staatsanwälte immer wieder Pharmaunternehmen – derzeit etwa Ratiopharm – ins Visier. Der Vorwurf lautet: Die Medikamentenunternehmen bestechen die Ärzte mit Geld und Geschenken, damit die Mediziner bevorzugt deren Präparate verschreiben.

Zu einzelnen Unternehmen kann ich nichts sagen. Aber klar, es gibt solches Fehlverhalten, es ist aber im Gegensatz zu früher deutlich weniger geworden. Wir müssen aber alles tun, um auf null zu kommen.

Immer wieder fallen aber Unternehmen negativ auf, die als Vertriebspartner mit Boehringer zusammenarbeiten: Weltmarktführer Pfizer aus den USA etwa soll Studien für ein Antidepressivum zurückgehalten haben. Eli Lilly, ebenfalls aus den USA, musste gerade eine Milliardenbuße wegen irreführender Werbung zahlen.

Wie gesagt: Zu einzelnen Unternehmen kann ich nichts sagen, da ich die Fälle nicht gut genug kenne...

...aber Sie müssen doch eine Meinung zu solchen Praktiken haben?

Ohne jedes Wenn und Aber: Unlautere Praktiken gehören sich nicht. Ich glaube, dass Pfizer und Lilly unsere Ansicht teilen. Es kann nicht sein, dass Studien wissentlich unterdrückt werden. Was Bestechung, unlautere Werbung, das Zurückhalten von Studien und weitere fragwürdige Praktiken angeht: Ich schließe aus, dass sich Boehringer solcher Methoden bedient...

...weil Sie persönlich im Präsidium des Evangelischen Kirchentages sitzen und Ihnen Moral und Ethik wichtig sind?

Es geht nicht um mich. Ethik ist Teil unserer Unternehmenskultur. Wir haben gerade unsere internen Richtlinien noch einmal verschärft. Boehringer zahlt Medizinern, die wir etwa auf Kongresse einladen, keine Übernachtungen in Luxushotels, keine Speisen in Gourmet-Restaurants und kein Unterhaltungsprogramm. Geschenke an Ärzte dürfen bei uns einen Wert von fünf Euro nicht überschreiten.

Und was ist, wenn eine Studie über ein Medikament, das Boehringer entwickelt hat, Ihnen nicht den erhofften Erfolg bescheinigt? -Publizieren Sie die Ergebnisse oder vertuschen Sie?

Vor zwei Jahren hat Boehringer Ingelheim das Hustenpräparat Silomat freiwillig vom Markt genommen, nachdem wir durch Tests festgestellt hatten, dass Silomat Herzrhythmusstörungen hervorrufen kann – theoretisch. Das Mittel war bereits seit 1961 auf dem Markt, doch entsprechende Tests waren damals noch nicht verfügbar. Als dies möglich war, haben wir Silomat noch mal überprüft und dann die Behörden gebeten, das Mittel vom Markt nehmen zu dürfen. Wir haben daraufhin einige wenig freundliche Reaktionen von Wettbewerbern bekommen, die mit ähnlichen Präparaten auf dem Markt waren.

Nun zählt Silomat nicht gerade zu den wichtigen Umsatzträgern von Boehringer. Anders ist das bei Ihrem Spitzenmedikament Spiriva gegen die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, vulgo Raucherlunge. Spiriva, das für einen Umsatz von mehr als zwei Milliarden Euro steht, soll einer Studie zufolge Schlaganfälle ausgelöst haben. Wie haben Sie reagiert?

Wir haben diesen Vorwurf komplett widerlegen können. Kurz nachdem diese Frage aufkam, haben wir die größte Studie zu Spiriva abgeschlossen, die je über chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen gemacht worden ist. Wir haben mehr als 6000 Patienten über vier Jahre lang getestet. Danach besteht kein zusätzliches Schlaganfallrisiko durch Spiriva. Aber gleichermaßen richtig ist, in dieser Branche müssen Sie immer mit Rückschlägen rechnen. Immer noch können unerwünschte Nebenwirkungen auftauchen. Sie wissen nie genau, welche Medikamente es von der Forschung bis auf den Markt schaffen werden. Daher steht uns Bescheidenheit gut an.

Eher scheint uns, Sie gehen gerade ein erhöhtes Risiko ein. Boehringer will in den nächsten Jahren fünf neue Medikamente auf den Markt bringen. Am Ende sind Sie damit noch innovativer als der Weltmarktführer Pfizer.

Dass wir innovativer als Pfizer sind, möchte ich so nicht bestätigen. Aber wir sind gerade in einer sehr guten, produktiven Phase, und wir erwarten Medikamente in medizinisch wichtigen Indikationen. Wir wenden in den kommenden Jahren mehr Geld für die Entwicklung von Medikamenten auf; dadurch schmälert sich allerdings unser Gewinn.

Wie schafft es ein Familienunternehmen, die großen Pharmakonzerne zu schlagen?

Bei der kritischen Betrachtung der Forschungsprojekte stellen die verantwortlichen Wissenschaftler selbst ihr Projekt den Forschungsleitern und mir vor. Dadurch ist die Kommunikation sehr direkt und der Forschergeist bleibt lebendig. Größere Unternehmen sind da häufig bürokratischer. Sie tun sich schwerer, den Spirit zu erhalten, die Forschungsproduktivität nimmt mit zunehmender Mitarbeiterzahl ab.

Sie beschäftigen weltweit mehr als 40.000 Mitarbeiter. In Umfragen wird Boehringer häufig zu einem der beliebtesten Arbeitgeber gewählt. Geht es in Ihrem Unternehmen denn so kuschelig und harmonisch zu?

Nein, wir fordern unsere Beschäftigten durchaus. Aber wir haben eine Kultur, die den Mitarbeitern gefällt. Jeder kann sich einbringen – wie unsere Forscher, die den direkten Draht nach oben haben. Mit unserer Unternehmensgröße ist das noch machbar.

Ihr Unternehmen gehört den Familien Boehringer und von Baumbach, die treu zu Boehringer stehen. Anderswo klagen die Forscher darüber, dass sie schnell neue Medikamente entwickeln müssen, da sie stark unter dem Druck von Börse und Aktionären stehen. Wie läuft das denn bei Ihrem nichtbörsennotierten Familienunternehmen?

Es hilft uns sicher, dass wir keine Quartalsberichte erstellen und ständig nach außen berichten müssen. Dadurch können wir mittel- und langfristig denken und in Ruhe forschen und entwickeln.

Wie spüren Sie die gegenwärtige Krise?

Natürlich spüren wir die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, aber wir sehen keine massiven Einbrüche. Die Verschreibung von Medikamenten richtet sich ja nicht unbedingt nach Konjunkturen. Bislang sieht 2009 zufriedenstellend aus. Ich erwarte, dass Boehringer im Jahr 2009 zum zehnten Male in Folge stärker als der weltweite Pharmamarkt wächst, dem Experten inzwischen nur noch eine Steigerung von zwei bis drei Prozent voraussagen. Aber die Pharmaindustrie ist in einem Umbruch begriffen, und wir werden uns dem Wandel stellen müssen. Wir sprachen ja bereits über unsere vielen Neueinführungen. Wir konzentrieren uns jetzt verstärkt darauf, diese neuen innovativen Produkte möglichst gut auf den Markt, also zu den Patienten, zu bringen.

Und was kommt 2010?

2010 wird für uns zum ersten Male seit Langem ein Jahr ohne nennenswertes Wachstum werden. Das liegt daran, dass wichtige Patente ablaufen – etwa für unser Mittel Flomax gegen gutartige Prostatavergrößerung. Ab 2011 erwarten wir dann dank unserer neuen Medikamente den Beginn einer neuen Wachstumsphase.

Eines Ihrer neuen Medikamente ist das Anti-Thrombosemittel Pradaxa. Ihr Konkurrent Bayer arbeitet nahezu zeitgleich an einem ähnlichen Präparat namens Xarelto. Wer gewinnt?

Erst mal finde ich es gut, dass zwei deutsche Unternehmen sich anschicken, die Thrombosegefahr und die Schlaganfallgefahr mit neuen Therapieprinzipien anzugehen und die Therapie – im Vergleich zu etablierten Medikamenten, die schon seit 50 Jahren auf dem Markt sind – zu verbessern. Wir sind mit Pradaxa in einer ersten Indikation bereits in 41 Ländern vertreten...

...auch die Bayer-Pille ist ja bereits in der Europäischen Union zugelassen.

Wir wollen Pradaxa künftig auch zur Vorbeugung gegen Schlaganfall einsetzen; Bayer will das mit seinem Mittel ebenfalls. Nur sind wir mit unseren Studien weiter. Wir werden am 30. August auf dem Europäischen Kardiologenkongress in Barcelona eine große Studie mit 18.000 Patienten präsentieren. Die Vorbeugung gegen Schlaganfall ist ein wichtiges medizinisches Problem; die derzeitigen Therapien sind nicht effizient genug und in der Handhabung komplex und risikoreich. Allein in den USA, Japan und Westeuropa gibt es sechs Millionen Patienten. die unter bestimmten Herzrhythmusstörungen leiden und unbehandelt ein beträchtliches Schlaganfallrisiko haben.

Wie weit sind Sie mit dem Medikament Flibanserin, welches das sexuelle Verlangen von Frauen steigern soll?

Wenn Sie sich mit Frauen und ihren Ärzten unterhalten, merken Sie, dass das ein ernsthaftes medizinisches Problem ist. Wir haben das Mittel an unserem Standort in Biberach entwickelt; in zwei bis drei Jahren könnte Flibanserin auf dem Markt sein. Wir testen das Präparat weltweit bereits an 5000 Patientinnen.

Kommt da eine Art Viagra für Frauen?

Nein, eben nicht. Es geht hier um eine langfristige Therapie und nicht um akute Stimulanz. Die Wirkungsweise ist auch unterschiedlich: Flibanserin soll Botenstoffe im Gehirn beeinflussen; Viagra dagegen reguliert die Blutzufuhr.

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