Bosch-Chef Franz Fehrenbach "Mir dreht sich der Magen um"

Bosch-Chef Franz Fehrenbach über ungezügelte Finanzmärkte, politisches Versagen und unternehmerische Verantwortung.

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Franz Fehrenbach, Vorsitzender Quelle: AP

Herr Fehrenbach, die Geschäfte bei Bosch laufen im Jubiläumsjahr glänzend. Dennoch wirken Sie aufgewühlt.

Franz Fehrenbach: Ich war gerade in Japan und China. Auf dem Rückflug las ich von der Empfehlung einer US-Bank, deren Kunden nun auf den Niedergang Europas wetten sollen...

Sie meinen Goldman Sachs.

Ja. Wenn ich auf den Niedergang Europas wette, um eine hohe Rendite zu erzielen, finde ich das unerträglich und unmoralisch. Bei so einem Verhalten dreht sich mir, gelinde gesagt, der Magen um.

Solche Geschäftspraktiken kann man als Manager aus der Industrie nicht verstehen?

Die Realwirtschaft kämpft mit aller Energie dafür, wettbewerbsfähig zu bleiben und Europa als Binnenmarkt zu erhalten. Und andere wetten auf den Niedergang dieser tollen Region…

Neu sind solche Wetten nicht. Schon in der großen Bankenkrise stand die Politik dem Treiben der Finanzakteure hilflos gegenüber.

Seit 2008 reden wir darüber, die Finanzmärkte zu regulieren. Aber bisher ist viel zu wenig geschehen, um Hedgefonds und andere Großspekulanten in die Schranken zu weisen.

Sie mögen die Banker nicht.

Meine Kritik gilt nicht pauschal allen Banken oder Investoren. Aber gegen solche spekulativen Geschäfte muss die Politik etwas unternehmen. Da werden haltlose Gerüchte gestreut, etwa über die französische Großbank Société Générale, wohl nur, um die Kurse zu drücken und daran zu verdienen. Das gehört endlich reguliert, und zwar knallhart.

Die Regierenden haben ihre Aufgabe nicht erfüllt?

Die haben gedacht, das geht schon vorbei. Aber nichts ist vorbei.

Die Spekulationen haben aber eine reale Basis – die hohen Staatsschulden.

Meine absolut größte Sorge ist: Wie bleibt Europa politisch handlungsfähig? Wir müssen klären, wie wir mit der Verschuldung umgehen, was aus dem Euro und der europäischen Wirtschaftszone wird. Es geht mittlerweile um die politische Glaubwürdigkeit, darum, wie Europa sozial und gesellschaftlich stabil bleiben kann.

Wer genau muss da jetzt agieren? Berlin wird schon von allen Seiten kritisiert.

Es hilft überhaupt nicht, auf die Kanzlerin und andere Politiker einzuprügeln. Wir alle müssen uns klar werden, wohin wir Europa in den nächsten zehn Jahren entwickeln – und die Regierungen natürlich als Erste. Aber wir hatten auch Vorgängerregierungen, die die Europäische Union viel zu schnell haben wachsen lassen. Da war gar keine wirtschaftliche Integration möglich. Die sind locker über die Vorgaben des Maastricht-Vertrags hinweggegangen, auch in Deutschland.

Aber jetzt ist Krise – und guter Rat teuer.

Die Staatsverschuldung muss unter Kontrolle gebracht werden, die Finanzmärkte müssen endlich reguliert werden, zumindest europaweit und, soweit möglich, darüber hinaus. Sonst wird auf alles und gegen jeden gewettet. Dagegen hat man mit normaler Politik und normalem Wirtschaftsgebaren keine Chance.

Sie sind ein Mann mit Einfluss, repräsentieren ein Unternehmen mit 50 Milliarden Euro Umsatz und 300.000 Beschäftigten – und trotzdem fühlen sie sich der Situation ausgeliefert?

Ja, man kann sich auch richtig ohnmächtig fühlen. Vor allem wenn man sieht, was in der Realwirtschaft geleistet wird, wie die Menschen im internationalen Wettbewerb kämpfen. Ich war ja gerade in Japan und habe gesehen, wie sich eine ganze Nation solidarisch engagiert, um die Folgen der Naturkatastrophe zu bewältigen. Wenn man demgegenüber die Verantwortungslosigkeit einiger Akteure in der Finanzwelt sieht...

...die Frage ist doch: Warum macht die Wirtschaft der Politik da nicht kollektiv Druck?

Die Industrie muss zu einer konzertierten Aktion kommen. Der BDI-Tag in Berlin nächste Woche wäre dafür eine Chance.

Mit den Chefs der Dax-Konzerne, die nicht das Glück von Bosch haben, als Stiftungsunternehmen unabhängig von Bank und Börse zu sein...

Natürlich haben wir eine andere Ausgangslage. Aber spätestens jetzt, da mit den Börsenkursen gespielt wird und die Aktienbewegungen meistens nichts mit der realen Situation der Unternehmen zu tun haben, werden auch die Vorstände notierter Unternehmen sicherlich umdenken.

ARCHIV - Christof Bosch, der Quelle: dpa

Treiben die Finanzmärkte die Weltwirtschaft erneut in die Rezession?

Ich gehe trotz alledem davon aus, dass wir keine Rezession bekommen. Natürlich dämpft die Dimension der Verschuldung in Amerika und Europa das Wachstum. Aber Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und die Asean-Staaten wachsen weiter. Auch die Energieumstellung wird weitere Impulse geben. Das Wachstum wird nicht mehr so stark sein wie in den vergangenen eineinhalb Jahren, aber weltweit gesehen, sind im langjährigen Schnitt noch 3,5 Prozent Wachstum drin.

Deutschland hatte zuletzt ein kleines Wirtschaftswunder erlebt, ist das ein historischer Glücksfall – oder von Dauer?

Wir sind sehr gut aus der tiefen Rezession herausgekommen, da hat uns unsere Exportstärke geholfen. Ich habe mir gerade in China die neuesten Fabriken angesehen. Die sind alle überwiegend mit europäischen, insbesondere deutschen Maschinen ausgestattet.

Aber die mit diesen modernen Maschinen hergestellten Produkte machen dann auch deutschen Waren Konkurrenz.

Deshalb muss Deutschland technologisch vorne bleiben und immerfort an seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeiten.

Ist dieser innovative Geist, der Elan, sich zu verbessern, in Deutschland ausreichend präsent?

In den Unternehmen schon. Die ständige Verbesserung haben wir in den Genen. Sie wurde nicht nur von unserem Gründer Robert Bosch gelebt. Anders sieht es auf der gesellschaftlichen Ebene aus. Da wird gefragt, warum wir denn immer dieses Wachstum brauchen. Dafür erfreut man sich an Smartphones. Dieser Widerspruch macht mich nachdenklich.

Solches Denken halten Sie für gefährlich?

Wenn diese Mentalität in unsere Unternehmen einzieht, sehe ich schwarz für die Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen schon unsere Kinder von der Technik begeistern, sie in die Labors hineinschauen lassen. Ihnen erklären, warum ein Tablet-Computer so viele Dinge kann. Ich bin positiv überrascht, wie stark Veranstaltungen wie Girls Days oder Technik-Erlebnistage diesbezüglich nachwirken. Wir müssen unsere jungen Menschen möglichst gut ausbilden.

Da ist auch der Staat gefragt. Reiche Amerikaner und Franzosen fordern jetzt, dass man sie, die Profiteure der vergangenen Jahre, höher besteuern soll. Gut so?

Auch wenn ich mir vielleicht keine Freunde schaffe: Ich kann die Argumentation durchaus nachvollziehen, dass jetzt diejenigen, die sehr gut verdienen, ihren Beitrag leisten müssen. Ich hätte das aber gerne mit einer Entlastung der jungen, aufstrebenden Leistungsträger verknüpft. Seit Jahren lassen wir die kalte Progression einfach laufen. Das Gerechtigkeitsempfinden ist gestört. Eine allgemeine Steuererleichterung können wir uns aber heute nicht leisten.

Zu den Profiteuren gehören auch Topmanager. Begnügten sich die Dax-Chefs vor zehn Jahren noch mit ein bis zwei Millionen per anno, sind heute acht bis zehn Millionen ganz normal.

Dies möchte ich nicht bewerten. Wir bei Bosch haben diese Entwicklung nicht vollzogen. Dass es vernünftige Relationen zwischen den Einkommen der obersten Führungsebene und eines durchschnittlichen Mitarbeiters geben muss, gehört zur Fairness.

Kommen Sie denn mit Ihrem Gehalt aus?

(lacht) Ich komme gut zurecht.

Bosch-Chef Franz Fehrenbach Quelle: dpa

Für den „alten Bosch“, der vor 125 Jahren den heutigen Weltkonzern gründete, kam die Sicherung des Unternehmens immer vor persönlichem Profit, er bezahlte seine Leute überdurchschnittlich gut und spendete für soziale und kulturelle Zwecke. Steht dieses unternehmerische Modell vor einer Renaissance?

Die Unternehmensverfassung von Bosch hat mich schon 1975 bei der Wahl des Arbeitgebers überzeugt. Was das Unternehmen an Wertschöpfung erzielt, fließt in Löhne und Gehälter, eine bescheidene Dividende fließt an die Familie, ein größerer Teil an die Stiftung, die es dann wieder für gemeinnützige Zwecke einsetzt, und der Rest bleibt im Unternehmen und sichert dessen Zukunftsentwicklung ab. Das ist auch der Grund, weshalb wir bei Bosch so viel in Forschung und Entwicklung stecken können. Weshalb wir innovativ sind und so viele Neuheiten für Fahrzeuge und andere Technikbereiche hervorgebracht haben.

Sie haben zuletzt kräftig in Umwelttechnik investiert und sogar die Nutzung der Atomkraft infrage gestellt. Ist bei Bosch ein Grüner an der Macht?

Politisch bin ich neutral. Aber wir versuchen bei Bosch seit Gründung des Unternehmens, den Gleichklang zwischen Ökonomie und sozialer Verantwortung herzustellen. Und schon seit Längerem ist uns zusätzlich die Ökologie enorm wichtig.

Dann müssten Sie ja froh sein, dass Baden-Württemberg jetzt eine grün-rote Regierung hat. Deren Chef, Winfried Kretschmann, hat aber „weniger Autos“ gefordert. Ein Sakrileg, oder?

Das Missverständnis wurde mittlerweile geklärt. Der Ministerpräsident kann zuhören, und wie wir will er ein starkes Baden-Württemberg, etwa um in die Bildung der jungen Menschen investieren zu können. Die Energiewende war man in Deutschland etwas zögerlich angegangen...

...man hätte früher umsteuern müssen...

Umfragen zufolge gibt es ja einen breiten Konsens in der Bevölkerung. Doch es ist klar, dass wir auch an einem gut gelegenen Schwarzwaldhang mal ein Windrad sehen werden, Leitungen zum Transport des Ökostroms brauchen wir auch.

Und das sagt einer, der als Winzersohn auf dem Land groß wurde.

Auch damals gab es schon Strommasten auf den Äckern...

Und woher kommt die Atom-Skepsis?

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Kernkraft – das haben manche falsch verstanden. Aber man darf einfach keine Atomkraftwerke auf Erdbebenspalten und in andere gefährdete Gebiete setzen. Als Unternehmen investieren wir weiterhin sehr viel Geld in erneuerbare Energien.

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