BP Der teuerste Putzjob der Welt

Der neue BP-Chef Bob Dudley muss wegen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko Vermögenswerte zu Geld machen – das kann auch den Verkauf der deutschen Marke Aral bedeuten.

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Bob Dudley Quelle: Getty Images/Afp

Bob Dudley weiß, wie man eine Public-Relations-Maschinerie zum Laufen bringt. Der neue starke Mann bei begibt sich an die einst blütenweißen Strände von Alabama und sammelt klebrig-schwarze Ölklumpen mit einer Schaufel auf, sobald die Kameras des US-Senders ABC auf ihn gerichtet sind. Ein smartes Lächeln. Klappe. Nächster Termin.

Nach einem Hubschrauberflug in die Marschregionen Louisianas folgt wieder eine Einstellung für Dudley. Neben dem Chef der US-Küstenwache schaut der Manager so geduldig wie möglich zu, wie eine ölverschmierte Schildkröte von einer Helferin geputzt und wieder lebenstauglich gemacht wird. Am Ende des Tages steht dann ein Anruf im Weißen Haus auf der „To-do-Liste“ des Amerikaners Dudley: Er werde in wenigen Tagen als neuer Chef des britischen Öl- und Gaskonzerns BP eine neue Ära einleiten.

Das ist auch nötig: Nach dem Untergang der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko und der Verschmutzung der Küsten von vier US-Bundesstaaten ist der Konzern mit Schadensersatzforderungen und Säuberungskosten in Höhe von 32 Milliarden Dollar konfrontiert. Mehr als 17 Milliarden Dollar Verlust lautete die Bilanz des zweiten Quartals 2010 infolge erster Zahlungen in einen amerikanischen Entschädigungsfonds. Anleger ziehen sich verschreckt zurück. Um 40 Prozent sackte der Aktienkurs von BP seit April ab. Konkurrenten wie ExxonMobil und die französische Total signalisieren unverhohlen Absichten, lukrative Teile von BP zu erwerben.

Blick auf die Filetstücke

BP

Um eine feindliche Übernahme zu verhindern, muss der 54-jährige Dudley BP vor einem weiteren Absturz des Aktienkurses bewahren – also vor allem das Leck im Golf von Mexiko final stopfen. Zugleich braucht er Geld, viel Geld: Um die Kosten der Katastrophe zu decken, muss BP Vermögenswerte im Wert von 30 Milliarden Dollar verkaufen. Dudley kündigte an, sich von mindestens 13 Prozent der Ölförderkapazität zu trennen.

Der Blick auf die wichtigsten Vermögensteile und Bereiche von BP (siehe Grafik) zeigt, was Dudley verwerten kann, wo die Filetstücke liegen, die „in den nächsten 18 Monaten“, auch das eine Ansage von Dudley, verkauft werden müssen. Damit will der Konzern bis Ende 2011 ein Liquiditätspolster von 64 Milliarden Dollar aufbauen – was davon an die Öl-Opfer geht, ist noch offen. Ganz oben auf der Verkaufsliste: die deutsche Tankstellenkette Aral mit 2500 Stationen.

Dudleys Masterplan

Alle Geschäftseinheiten werden jetzt auf Zukunftstauglichkeit geprüft. Am lukrativsten sind die Förderrechte von Öl- und Gasfeldern, am wertvollsten werden die Vorkommen in den USA und Russland eingeschätzt. Spitzenreiter war bisher das US-Feld Thunder Horse, das von Goldman Sachs mit 22 Milliarden Dollar bewertet wird. Thunder Horse ist allerdings das Tief-Ölbohrgebiet im Golf von Mexiko, wo sich die Umweltkatastrophe ereignete. Daher ist fraglich, ob die amerikanischen Behörden zulassen werden, dass dort weiter nach Öl gebohrt wird. Es könnte also sein, dass das in den Büchern wertvollste Öl- und Gasfeld für BP nichts mehr bringt.

Die gesamten Vermögenswerte schätzte Dudley gleich zu Beginn seiner Ernennung – er übernimmt jetzt schon die Führung des Konzerns, obwohl er nominell erst im Oktober antritt – auf 250 Milliarden Dollar. Auf der Verkaufsliste steht vor allem das indonesische Feld Tangguh, das Goldman Sachs auf 6,7 Milliarden Dollar schätzt, und das Gasfeld ACG in Aserbaidschan mit einer Bewertung von knapp zehn Milliarden Dollar.

Im ACG-Feld ist Zukunftsmusik, es soll in den kommenden Jahren an die Gaspipeline Nabucco angeschlossen werden, die vom Nahen Osten nach Westeuropa führen soll – unter Beteiligung des Essener Energieversorgers RWE auch nach Deutschland.

BP-Raffinerie in Lingen Quelle: Pressefoto

Die Öl- und Gasförderung ist der bei Weitem größte Sektor des weltweiten BP-Geschäfts. Dagegen fällt der Vertriebs- und Marketingsektor mit weltweit 22.400 Tankstellen und 16 Raffinerien sowie der Motorölmarke Castrol extrem ab. Er erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr nur einen Betriebsgewinn vor Steuern von 700.000 Dollar. Das ist verschwindend gering gegenüber dem Vorsteuergewinn von 24,8 Milliarden Dollar, den das Fördergeschäft auswies.

Grund: Die Raffinerien sind Sorgenkinder bei BP. Zwei von ihnen stehen in Deutschland, an den nordrhein-westfälischen Standorten Gelsenkirchen und Lingen. Seit zehn Jahren geht der Absatz von Benzin und Diesel zurück, das spüren vor allem die Raffinerien. Im Tankstellengeschäft kann die deutsche BP-Marke Aral den Schwund allerdings durch ein florierendes Shopgeschäft neben den Zapfsäulen ausgleichen. Genau das ist der Grund, warum Aral so attraktiv ist für mögliche Erwerber: Die Marke hat einen vorzüglichen Ruf mit Klassiker-Status.

Investmentbanker in London identifizierten vorige Woche die Aral-Kette als „verkaufbar“. Genannt als mögliche Interessenten werden der französische Ölkonzern Total, der am Endkundengeschäft interessierte russische Ölriese Rosneft und die mittelständische europäische Tankstellenkette Avia mit Sitz in Zürich und 2900 Avia-Stationen in ganz Europa, besonders im Raum Frankreich, Deutschland, Benelux.

Nicht nur Aral im Angebot

Die Venezolaner halten bereits zusammen mit BP die Hälfte der Anteile an der Ruhr-Oel-Raffinerie in Gelsenkirchen. Es läge also nahe, auch die andere Hälfte zu übernehmen. Rosneft könnte mit dem Kauf von westeuropäischen Raffinerien den Export von russischem Öl forcieren. Das rechtfertigt das Interesse an dem margenschwachen Geschäft.

In Deutschland ist Castrol die nach Aral zweitwichtigste BP-Marke – das Motoröl wird in den BP-Raffinerien hergestellt. Was das Schmierstoffgeschäft wert sein könnte, ist nicht auf den ersten Blick zu bemessen. Castrol ist im Verarbeitungsgeschäft von BP voll konsolidiert, also in der Bilanz nicht zu erkennen. Wie viel die Schmierstoffe weltweit umsetzen, hält der Konzern unter Verschluss.

BP- und Araltankstelle in Quelle: REUTERS

Castrol, in Europa Nummer eins, weltweit Nummer drei nach dem Schmierstoffgeschäft von Exxon und Shell, wird von deutschen Investmentbankern auf einen Wert von 2 Milliarden Dollar geschätzt – auch aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades und Marketingwertes. Castrol war einer der Hauptsponsoren der Fußballweltmeisterschaft 2010.

„Aral wird einen Verkaufserlös von knapp unter 2 Milliarden bringen, dieser Betrag wurde genannt, als Aral im Wege eines Tauschgeschäfts zwischen dem früheren Aral-Miteigentümer Veba und dem Ruhrgas-Aktionär BP den Besitzer wechselte“, erinnert sich ein Investmentbanker. BP bekam bei diesem Geschäft die Aral-Kette, Veba-Nachfolger E.On von BP im Gegenzug die Ruhrgas-Anteile.

Total interessiert sich nicht nur für Aral, sondern auch für Castrol, berichteten Investmentbanker vor zwei Wochen der WirtschaftsWoche (siehe Heft 28/2010).

Dass Übernahmegerüchte auch durch unbekannte Unternehmen realistisch sein können, zeigt das Beispiel Frankreich. BP wird seine 416 französischen Tankstellen an das israelische Unternehmen Delek verkaufen. Von Delek hatte man bis dato noch nichts gehört.

Nicht nur die europäischen Stationen bieten sich als Leckerbissen an. In den USA betreibt BP 10.000 Tankstellen unter der grünen Marke, sie wurden dem BP-Reich Ende der Neunzigerjahre von Amoco einverleibt. Weitere 1500 Stationen betreibt BP unter dem unauffälligen Markennamen Arco an der Westküste der USA. Dort weiß kaum ein Konsument, dass Arco zu BP gehört – wie Aral in Deutschland. Arco und das amerikanische BP-Tankstellennetz gelten als Verkaufskandidaten. Als Kaufanwärter wird unter anderem die chinesische PetroChina gehandelt, berichtet das US-Magazin „The New Republic“.

Kein Aus- oder Notverkauf

Mit Dudleys Verkaufsaktion steht der BP-Konzern vor einer gewaltigen Zerreißprobe nach genau 101 zumeist fetten Jahren. Sein Vorläuferunternehmen war die Anglo Persian Oil Company, die 1909 nach einem Ölfund des britischen Unternehmers William Knox D’Arcy in Burma gegründet wurde. Winston Churchill machte daraus das britische Staatsunternehmen British Petroleum. Margaret Thatcher privatisierte BP schließlich 1987.

Aber Dudleys BP-Rosskur darf nicht einem Aus- oder gar Notverkauf ähneln. Das könnte weitere Investoren vertreiben und den BP-Aktienkurs, der zuletzt bei 409 Pence lag – gegenüber 655 Pence vor der Katastrophe im April – weiter nach unten drücken. Je tiefer der Börsenwert fällt, desto größer die Gefahr, dass BP selber mit seinem hohen Streubesitz doch noch zum Übernahmekandidaten wird.

Bob Dudley Quelle: REUTERS

Dann könnte BP dasselbe Schicksal erleiden wie der amerikanische Ölkonzern Amoco vor zwölf Jahren. Amoco war damals durch Missmanagement und Fehlkalkulationen – aber ausgestattet mit wertvollen Öl- und Gasquellen – zum Übernahmeziel des vor Kraft strotzenden BP-Konzerns geworden.

Ironie der Geschichte: Damals arbeitete Dudley für Amoco, er verantwortete dort das Chinageschäft. Der sich handfest gebende Amerikaner bekam von den als arrogant verrufenen Briten in der BP-Zentrale im feinen Londoner St.-James-Square eine Chance. Nach der Übernahme von Amoco stieg der in einer Kleinstadt im Bundesstaat Mississippi geborene und an der Universität Illinois ausgebildete Chemiker Dudley beim neuen Eigentümer in der Hierarchie auf.

Er war Chef des Russlandgeschäfts, wurde im Frühjahr 2009 Konzern-Vorstandsmitglied. Als neuer BP-Chef hält er das Schicksal des Öl- und Gasriesen in den Händen wie keiner seiner Vorgänger.

Mehr als nur der große Kommunikator

Dudley, der Mann mit dem breiten Südstaatenakzent, ist nicht zu beneiden. Denn was verkauft wird an werthaltigen Filetstücken, fällt auch künftig als Gewinnbringer im täglichen BP-Geschäft weg. Er muss also den gesamten Mineralölkonzern neu aufstellen. Die Härte für dieses Geschäft bringt der Amerikaner mit. Natürlich ist er nicht so weich, wie er bei der liebevollen Säuberung der Schildkröte aus Louisiana wirkte: Wer es in den Vorstand von BP schafft, hat andere abgehängt, die vorher ausgesiebt wurden. Im Russlandgeschäft hat Dudley bewiesen, dass er mehr kann als nur den großen Kommunikator spielen.

BP-Aufsichtratschef Carl-Henric Svandberg sagt über Dudley, er sei ein „ziemlich robuster Manager“, der auch „unter schwierigsten Bedingungen“ für die Interessen des Konzerns streiten könne.

Gehärtet in Russland

Dudley als TNK-BP-Chef im Juli Quelle: REUTERS

Fünf Jahre lang, zwischen 2003 und 2008, leitete er das britisch-russische Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP. Das segelte von einem politischen Sturmtief ins nächste. Denn zu den Gesellschaftern von TNK gehört auch eine Handvoll russischer Milliardäre. Die Oligarchen leben in Russland gefährlich, weil sie vom politischen Willen des Kreml und der Duma abhängen und häufig nicht nur Recht und Gesetz unterstehen, sondern auf eigene Faust agieren – nicht immer vornehm.

Die russischen Eigner warfen Dudley vor, nur das Gewinninteresse von BP zu verfolgen und Russland auszubeuten. Ein gefährlicher Vorwurf, weil er meistens mit scharfen rechtlichen Sanktionen in Russland einhergeht, wenn nationale Interessen als bedroht gelten.

Wie in einem James-Bond-Film

Dudley sagte in einem Interview, er habe sich damals wie in einem James-Bond-Film gefühlt. Subversive Besprechungen, ständige Angst vor geheimdienstlichen Abhöraktionen und andere Begleiterscheinungen des Geschäfts ließen ihn das BP-Gemeinschaftsunternehmen zeitweilig von einem geheim gehaltenen Ort aus führen. Schließlich warfen ihn die Russen kurzer Hand außer Landes. Das gab es bisher noch nie.

Der 007 von BP? Möglicherweise hat Dudley selbst schon seinen Job am besten charakterisiert. Künftig wird es für ihn nicht ganz so gefährlich wie in Russland – aber ganz sicher so aufreibend wie für den nervenstarken Filmagenten im Extremeinsatz.

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