Brexit und die Folgen Großbritannien, die unterschätzte Gefahr

Von BMW bis BASF: Viele Schwergewichte der deutschen Wirtschaft engagieren sich stark in Großbritannien. Anders als britische Konzerne wähnen sie sich, was die Folgen des Brexits betrifft, in Sicherheit. Zu Unrecht.

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Die englischen Prinzessinnen Beatrice (rechts) und Eugenie von York steigen aus einem Mini. Den Autobauer BMW könnte der Brexit wirtschaftlich hart treffen. Quelle: dpa

London Fast täglich werden in Großbritannien die Folgen des bevorstehenden Brexits für die Gesellschaft, die Politik und die Wirtschaft diskutiert. Allein der wirtschaftliche Schaden für die britische Industrie könnte in die Milliarden Euro gehen, befürchten Experten. Doch auch Unternehmen aus Deutschland drohen bei einem „harten Brexit“, dem Abschied Großbritanniens vom Europäischen Binnenmarkt, hohe Einbußen, warnt die Wirtschaftsberatung Deloitte in einer Studie.

„Die britische Volkswirtschaft ist der zweitgrößte Markt der EU – da kann kein Unternehmen mit Exportgeschäft den Brexit ignorieren“, sagt Alexander Börsch, Chefökonom und Leiter des Research bei Deloitte im Gespräch mit dem Handelsblatt. In den vergangenen Jahren seien die Wachstumsraten der deutschen Exporte nach Großbritannien beachtlich gewesen, das mache die Sache noch schwieriger für die Unternehmen. Viele Konzerne warten jedoch noch ab.

Derzeit steht das Thema „Brexit“ nach Beobachtung der Deloitte-Experten vor allem bei Finanzinstituten auf der Agenda – doch auch weitere Konzerne müssten sich Gedanken machen. „Je weiter die Verhandlungen voranschreiten, desto mehr werden die zu erwartenden Folgen sichtbar. Dann nimmt der Handlungsdruck zu“, sagt Börsch.

Noch haben die Austrittsverhandlungen nicht begonnen: Bis Ende März will Großbritanniens Premierministerin Theresa May den dafür notwendigen offiziellen Antrag auf Austritt aus der EU stellen.

Konzerne wie die Deutsche Post, die Deutsche Bahn, BASF oder BMW sind seit Jahren auf der Insel stark vertreten. 28 der 30 im Dax notierten Unternehmen haben mindestens eine Tochtergesellschaft in Großbritannien. Im vergangenen Jahr exportierten deutsche Unternehmen Waren im Wert von mehr als 90 Milliarden Euro nach Großbritannien. Besonders stark setzt die deutsche Automobilindustrie auf den britischen Markt. Mehr als ein Viertel ihrer Umsätze erzielt die Branche hier. Allein BMW beschäftigt auf der Insel mehr als 24.000 Mitarbeiter und gehört zu den drei größten Autobauern Großbritanniens. Mit Rolls-Royce und Mini haben gleich zwei Konzernmarken dort ihren Sitz, acht von zehn Autos, die BMW in England baut, werden exportiert.

Nach Berechnungen von Deloitte machen Deutschlands Autobauer insgesamt gut 40 Milliarden Euro Umsatz auf der Insel – Spitzenreiter im Vergleich zu anderen Branchen. Auf Platz zwei landet der Energiesektor mit einem Umsatz von 24,3 Milliarden, auf Platz drei das Verkehrs- und Logistiksegment mit 20,6 Milliarden Euro. Dann folgen die Finanz- und Versicherungsbranche sowie der Handel. Für die Studie wurden die Daten von 160 deutschen Unternehmen ausgewertet, die ihren Hauptsitz in Deutschland und mindestens eine Tochtergesellschaft sowie 100 Mitarbeiter in Großbritannien haben. Diese Zahlen wurden auf die jeweiligen Branchen hochgerechnet.

Nach Einschätzung der Deloitte-Experten steht für Deutschlands Finanzbranche viel auf dem Spiel. Der Finanzplatz London könnte stark an Bedeutung einbüßen, wenn dort ansässige Banken mit dem Brexit ihre Rechte für den Vertrieb von Produkten im Rest der EU verlieren. Doch wie die Aufstellung zeige, seien auch andere Branchen stark in Großbritannien engagiert und stünden bislang wenig im Fokus.


Warum der Brexit Unternehmen auch Vorteile verschaffen kann

Unter den rund 400.000 Arbeitnehmern deutscher Niederlassungen beziehungsweise Tochterfirmen in Großbritannien seien knapp 36.000 im Automobil- sowie gut 25.000 im Energiesektor tätig, heißt es bei Deloitte. Mit fast 96.000 Angestellten dominiert jedoch der arbeitsintensive Bereich „Verkehr und Logistik“ die Statistik, in dem die Arbeit vor allem direkt vor Ort stattfindet. „Mitarbeiter dieses Sektors sind bei einem harten Brexit somit besonders betroffen“, heißt es in der Deloitte-Studie.

Doch gute Geschäfte und damit hohe Umsätze ziehen auch bei einem Brexit keineswegs automatisch böse Folgen nach sich. Das könnte etwa bei der Deutschen Post der Fall sein. Die gelben Autos der Tochter DHL sind auch auf Großbritanniens Straßen oft zu sehen, Briefe und Pakete stellt die Post auch innerhalb des Landes zu. Damit könnte der Brexit der Post sogar Vorteile verschaffen, etwa wenn sich der Konzern ein Dienstleister für Verzollung anbiete.

In einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) von Anfang des Jahres gaben 90 Prozent von insgesamt 2.900 befragten Firmen an, dass sie keine „starken Effekte“ als Folge der Entscheidung der britischen Wähler erwarten. „Nur ein winziger Anteil von zwei bis drei Prozent der Firmen sieht starke negative Konsequenzen für ihre Investitionen und Beschäftigung“, sagte IW-Konjunkturexperte Jürgen Matthes.

Selbst den Handel mit dem Vereinigten Königreich sehen die meisten Unternehmer nur wenig beeinträchtigt. Knapp zehn Prozent rechnen damit, deutlich weniger Güter auf die Insel zu liefern, weitere rund 30 Prozent erwarten leicht rückläufige Exporte. Knapp ein Viertel der Firmen erhofft sich laut IW sogar positive Effekte durch den britischen EU-Austritt, zum Beispiel weil Käufer wegen möglicher Handelsbarrieren nicht länger bei der britischen Konkurrenz zuschlagen, sondern bei ihnen.

Deloitte-Experte Börsch warnt dennoch davor, die möglichen Folgen des EU-Austritts zu unterschätzen. „Das Risiko, das durch den Austritt entstanden ist, ist historisch einmalig. Da ist es sehr schwierig, die Folgen abzuschätzen“, sagte er dem Handelsblatt. Viele Unternehmen hatten bis zum Jahreswechsel noch auf einen „soften“ Brexit gehofft, dieser ist aber nach allen Ankündigungen der britischen Regierung vom Tisch.

So sollten sich Manager Gedanken machen, welche Maßnahmen sie ergreifen können – oder müssen. „Es geht nicht nur um Themen wie Produktionsverlagerung“, erklärt Börsch. „Denken Sie an Datenschutzvorschriften: Nach dem Brexit gilt Großbritannien als Drittland, sodass erst einmal unklar ist, welche Daten noch transferiert werden können. Die unterschiedlichen Regulierungen, die entstehen werden, werden generell Verwaltungsaufwand und  Kosten erhöhen“. Und das träfe nicht nur einzelne Branchen.

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