China Das Ende für chinesische Billig-T-Shirts

Superbillige Textilien in jeder Menge aus dem Reich der Mitte, das war einmal. Ketten wie H&M, Zara, NKD und Tchibo müssen die Preise erhöhen oder geringere Gewinne akzeptieren.

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Textilien werden in China produziert Quelle: Picture-Alliance/DPA

So schwierig wie zurzeit gestaltete sich das Geschäft für Helmut Wirsieg schon lange nicht mehr. Der Preis für eine Windjacke aus China ist zuletzt um 25 Prozent gestiegen. Für einfache Textilien wie T-Shirts und Unterhosen muss der Chef des Textildiscounters NKD in Bindlach bei Bayreuth rund zehn Prozent mehr hinlegen als vor einem Jahr.

Doch schlimmer geht immer, manchmal findet Wirsieg nicht einmal mehr Hersteller, die für ihn produzieren könnten. „Manche unserer Fabriken in China, mit denen wir jahrelang zusammengearbeitet haben, gibt es auf einmal nicht mehr“, klagt der Deutsche. Immerhin kaufte er im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von knapp 580 Millionen Euro für 60 Millionen Euro Kleidung in China ein.

So wie NKD („Niedrig Kalkuliert Discount“) mit seinen 1500 Filialen in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz geht es vielen Modeketten. Jahrzehntelang war China für sie zuverlässiger Lieferant preisgünstiger und qualitativ ordentlicher Kleidung. Damit ist es vorbei und das wohl endgültig. Die Lieferzeiten für Waren aus China werden immer länger, oft nehmen Fabriken im Reich der Mitte gar keine Aufträge aus dem Ausland mehr an – und vor allem: Die Preise für Hosen, Jacken oder T-Shirts steigen rasant und damit auch die Unzufriedenheit bei den Abnehmern in Deutschland.

Folgen der Ein-Kind-Politik

Für die Konsumenten hierzulande hat die Entwicklung spürbare Folgen. Die Schilder über den Wühltischen bei Kik, H&M oder Aldi werden künftig wohl deutlich höhere Preise ausweisen. „Die Zeiten mit T-Shirts für 3,99 Euro könnten bald zu Ende gehen“, sagt NKD-Chef Wirsieg.

Seit einiger Zeit versucht Chinas Regierung, die Wirtschaft des Landes auf ein solideres Fundament zu stellen: Die Bürger sollen mehr Geld für den privaten Konsum ausgeben, damit die einseitige Abhängigkeit von den Exporten abnimmt. Gleichzeitig sollen Chinas Firmen Waren mit höherer Wertschöpfung fertigen. China soll in Zukunft von Medizingeräten oder Mobiltelefonen leben, nicht mehr von Tretrollern und T-Shirts. So will es die Regierung in Peking. Zwar fällt vielen Unternehmen der Einstieg in die High-Tech-Produktion noch schwer. Doch haben die Chinesen immerhin schon deutlich mehr Geld für den Konsum im Portemonnaie. Um 20 oder 30, in manchen Regionen sogar um 40 Prozent mussten Chinas Unternehmer im vergangenen Jahr – teils auf Geheiß der Regierung – die Fabriklöhne anheben, und der Aufwärtstrend hält an.

Ein-Kind-Politik rächt sich

Nicht nur die Dauerhochkonjunktur sowie Chinas neue Wirtschaftspolitik mit der stärkeren Förderung des Privatkonsums, auch die demografische Entwicklung treibt die Löhne. Die Ein-Kind-Politik, eingeführt Anfang der Achtzigerjahre, hat dafür gesorgt, dass die Zahl der Chinesen im Alter zwischen 15 und 34 Jahren seit Kurzem stagniert und in drei Jahren zu schrumpfen beginnen wird. In den großen Produktionszentren im Osten Chinas werden die billigen Arbeiter knapp.

Die Entwicklung ist bei Mengdi, einem Textilhersteller mit rund 2000 Mitarbeitern in Ningbo an der chinesischen Küste, mit Händen zu greifen. Einen „langen Jahresurlaub“, dazu „freie Unterkunft und Verpflegung“ sowie einen Lohn von monatlich „mindestens 2500 Yuan“, umgerechnet etwa 270 Euro, verspricht das rote Transparent an der Fassade des Fabrikgebäudes. Das Unternehmen fertigt unter anderem Hosen, Jacken und Polo-Shirts. Rund die Hälfte der Produktion geht an den deutschen Kaffeeröster Tchibo.

Löhne eilen davon

Gesetzliche monatliche Mindestlöhne in ausgewählten chinesischen Provinzen und Städten

Vor dem Werkstor verkauft eine alte Frau Nudelsuppe und geröstete Maiskolben. Ein paar Passanten bleiben stehen und blicken auf das Transparent. Ganz attraktive Bedingungen seien das, lautet das einhellige Urteil. Ein Fabriklohn von 2500 Yuan war bis vor Kurzem in China undenkbar. Und doch: Neue Arbeiter findet Mengdi kaum. „Im letzten Jahr war es ganz schlimm“, sagt Zhou Yong, der für den Textilhersteller den Einkauf leitet, „in diesem Jahr läuft es nur wenig besser.“ Dabei braucht Mengdi dringend mehr Leute, denn die Kapazitäten der Fabriken sind voll ausgelastet. Die Folge: Das Unternehmen muss fast permanent die Löhne erhöhen. „Im vergangenen Jahr sind unsere Kosten um 30 Prozent geklettert“, klagt Zhou. Zwar haben auch die hohen Rohstoffpreise dazu beigetragen. Doch vor allem die steigenden Lohnkosten bereiten Zhou Kopfzerbrechen.

Li & Fung, eine der größten Einkaufsgesellschaften der Welt mit Sitz in Hongkong, empfiehlt den Herstellern in China, mehr in ihre Fabriken zu investieren, um die Produktivität und Qualität der Produkte zu erhöhen. Die meisten Analysten gehen allerdings davon aus, dass die erzielbaren Produktivitätssprünge mit den Lohnsteigerungen nicht Schritt halten können. Viele Regionen in China wollen in diesem Jahr die gesetzlichen Mindestlöhne um 20 Prozent oder mehr erhöhen.

Suche nach Billiglöhnern

Um durch Synergien Einsparungen zu realisieren, hat Mengdi bereits die Fertigungstiefe erhöht und betreibt nun auch eigene Webereien und Spinnereien. Doch den Kostenanstieg haben die Maßnahmen nicht auffangen können. Jetzt planen Zhou und seine Kollegen eine neue Fabrik weiter im Westen Chinas. Rund 500 Arbeiter haben sie bereits in der Südprovinz Jiangxi rekrutiert. Doch echte Entlastung bringt dieser Schritt nicht. Zwar sind die Löhne in Jiangxi um rund 20 Prozent niedriger. „Gleichzeitig entstehen neue Kosten, weil wir die Textilien zu den Häfen an der Küste transportieren müssen“, sagt Zhou. Mengdi fertigt nur für den Export.

Für zusätzliche Verwerfungen sorgen in China in jüngster Zeit die Zulieferer, die etwa Accessoires, Knöpfe oder Reißverschlüsse produzieren. Wegen extrem schwankender Preise unter anderem durch steigende Rohstoffnotierungen haben sie die Lagerhaltung heruntergefahren. „Wenn es drauf ankommt, können sie oft nicht liefern“, klagt Mengdi-Manager Zhou. Die Fertigung sei äußerst kompliziert geworden. Laufend müssen Mengdi und andere Hersteller die Preise für ihre Hosen und Hemden neu kalkulieren.

Angebote im Stundentakt

Die Abnehmer in Deutschland beschweren sich daher, dass ihr Geschäft dadurch immer weniger planbar wird. Früher hätten Preisangebote chinesischer Fabriken meist für mehrere Wochen gegolten, heißt es bei Discountern und Modefirmen. Heute gelten sie manchmal nur für Stunden.

Anders als viele andere Hersteller in China hat Mengdi die höheren Kosten bisher nicht an die Kunden in Deutschland und anderen Ländern weitergegeben. Doch das dürfte sich bald ändern. „Unsere Fabrik wird immer größer, aber der Gewinn steigt nicht mehr“, sagt Manager Zhou. Das zeige, so der Chinese, dass die Preise von Mengdi eigentlich zu niedrig sind. In begrenztem Umfang müssten die Kunden eine Erhöhung akzeptieren.

Um die Kosten durch stark steigende Löhne aufzufangen, lassen sich viele Hersteller in China aber auch andere Dinge einfallen. Statt für deutsche Abnehmer zu fertigen, nehmen sie vermehrt Aufträge von Kunden in China oder aus Russland an. „Die sind weniger anspruchsvoll bei den Sozialstandards in den Fabriken und der Qualität und zahlen inzwischen auch gut“, hat Gerd van Roye beobachtet.

Der Deutsche kauft von Hongkong aus in China Textilien unter anderem für den Sportartikelhändler Intersport ein. Mit steigenden Preisen bei den Herstellern hat auch er zu kämpfen. „Für eine Skijacke“, sagt van Roye und zeigt auf den Kleiderständer in der Ecke seines Büros, „muss Intersport in diesem Jahr 19 US-Dollar zahlen. Nächstes Jahr werde ich 21 US-Dollar verlangen müssen.“

Containerhafen in Shanghai Quelle: dpa

Dass die Fertigung von China in billigere Länder wie Bangladesch, Kambodscha oder Myanmar (früher Burma) verlagert werden kann, halten viele Experten für unwahrscheinlich. In diesen Ländern fehlt zum einen die Infrastruktur, um etwa die Endprodukte zu den Kunden im Ausland zu transportieren. Vietnam besitzt nicht einmal einen Tiefwasserhafen. Außerdem haben Länder wie Kambodscha viel zu wenige ausgebildete Arbeitnehmer. In China dagegen hat sich durch den Exportboom der vergangenen Jahrzehnte eine einzigartige Fertigungs- und Lieferkette aus Herstellern, Zulieferern und Transportunternehmen entwickelt. „Eine ordentliche Freizeitjacke kann man nur in China machen“, sagt NKD-Chef Wirsieg. „Es gibt keine Alternative.“

Etwa 60 Prozent der deutschen Textilien kommen nach Angaben des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels (BTE) aus China. Die meisten Anbieter dürften in nächster Zeit die Preise erhöhen. „Generell gilt, dass es schwieriger wird“, sagt BTE-Hauptgeschäftsführer Jürgen Dax. Viele Händler wollen zwar noch die unteren Preislagen halten. „Aber dann gibt es nicht mehr sieben verschiedene Hemden zum Einstiegspreis, sondern nur noch zwei“, sagt Dax.

Textilketten senken Gewinnmarge

Einen ungewöhnlichen Kurs fährt H&M, nach dem spanischen Modelabel Zara der zweitgrößte Textileinzelhändler der Welt. Das schwedische Unternehmen hat angekündigt, die höheren Beschaffungskosten durch steigende Löhne in China und höhere Rohstoffpreise nicht an die Kunden weiterzugeben. Dafür will H&M einen niedrigeren Gewinn in Kauf nehmen. Im ersten Quartal seines Geschäftsjahres verdiente das Unternehmen umgerechnet 290 Millionen Euro, etwa ein Drittel weniger als im Vergleichszeitraum. In der Konzernspitze sieht man die Entwicklung gelassen. Bei H&M schaue man eben nicht ständig auf den Börsenkurs, sagte Vorstandschef Karl-Johan Persson im März bei der Bekanntgabe der Zahlen.

Ob die Schweden dies lange durchhalten können, ist fraglich. Denn die Preise der Textilien made in China dürften kontinuierlich steigen. Die meisten Hersteller wollen die höheren Kosten an ihre Abnehmer weitergeben. Riyou etwa, ein Textilhersteller in der Nähe von Shanghai, wälzt den Kostenanstieg inzwischen zu 80 Prozent auf die Kunden ab. Das Unternehmen liefert die Hälfte seiner Produktion nach Europa, unter anderem an Tchibo.

Deutsche trifft Mitschuld

Mit seiner selbstbewussten Geschäftspolitik macht sich Riyou im Ausland keine Freunde. Manche Kunden zögen Aufträge ab, heißt es im Unternehmen. Die Riyou-Manager zucken gelassen die Achseln. Riyou produziert jetzt mehr lokale chinesische Marken – ein durchaus interessantes Geschäft. Durch die steigenden Löhne hätten die Chinesen mehr Geld, um Kleidung zu kaufen, sagt ein Unternehmensvertreter.

Experten geben den Textilhändlern in Deutschland eine Mitschuld am gespannten Verhältnis mit den Chinesen. Manche Einkäufer hätten die Lieferungen billiger und guter Textilien aus China als Selbstverständlichkeit für alle Ewigkeit betrachtet. „Viele Kunden haben sich nicht um ihre Hersteller gekümmert“, sagt Kiran Mazumdar, Partner der Einkaufsberatung Inverto in Köln, die deutsche Firmen beim Einkauf in China berät. Die Abnehmer in Deutschland müssten sich viel intensiver mit der Wertschöpfungskette in China beschäftigen, rät Mazumdar.

Für NKD-Chef Wirsieg ist die Verteuerung der Waren aus China mit den dazugehörigen Konsequenzen erst der Anfang eines viel weiter reichenden Trends. „Wer die Entwicklung in Taiwan und Südkorea verfolgt hat, konnte davon ausgehen, dass China nicht ewig die Billigfabrik für den Rest der Welt sein würde“, sagt er. Die Nachbarländer hätten auch zunächst billig Spielzeug, Kleidung und Schuhe produziert, seien danach aber in die Fertigung höherwertiger Güter vorgestoßen. 

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