Christopher Wool Maler ohne Pinsel

Rollen, sprühen, wischen, knipsen: Der Maler Christopher Wool ist Träger des Wolfgang-Hahn-Preises 2009. Der New Yorker arbeitet lieber als über sich und seine Kunst zu sprechen. Der WirtschaftsWoche hat er dennoch eines seiner raren Interviews gegeben.

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Ein Werk von Christopher Wool

Graue Schlieren ziehen sich über die riesige, mehr als drei Meter hohe und knapp zweieinhalb Meter breite Leinwand. Als hätte jemand versucht, eine völlig verschmierte Glasscheibe zu säubern – und mit jeder Bewegung die Schmutzspuren nur noch verstärkt. Jede dieser sich überlagernden schwarz-weiß-grauen Lackschichten ist für sich wahrnehmbar, alle Schichten beziehen sich aufeinander, bilden ein verwirrendes Geflecht, das durch einzelne schwarze Linien ein wenig strukturiert wird. Ein Bild ohne Titel – entstanden 2007, gemalt von Christopher Wool. „Auslöschung und Bildfindung bedingen einander“, schreibt die Jury des Wolfgang-Hahn-Preises über die seit 2005 entstandene Serie größtenteils grauer, abstrakter Gemälde, für die Wool mit der Sprühpistole aufgebrachte Zeichnungen mit einem Tuch wieder verwischt. Und Teil eines seit 25 Jahren wachsenden Gesamtwerks, das sich „intensiv mit Malerei, Sprache, mit Bild und Bildentstehung beschäftigt.“ Grund genug, dem 53-jährigen New Yorker in diesem Jahr den mit 100 000 Euro dotierten Kunstpreis zu verleihen.

„Als ich die Nachricht in New York am Telefon bekam, dachte ich zuerst, die haben sich bestimmt verwählt. Ich fühlte mich sehr geschmeichelt – es ist ja mein erster Preis überhaupt.“

Kaum zu glauben. Schließlich gehört Wool seit vielen Jahren zu den geachtetsten zeitgenössischen Künstlern überhaupt. In seinem mehr als 25 Jahre dauernden Schaffen hat Wool seine Vorstellung von Malerei permanent ausgeweitet.

Mitte der Achtzigerjahre benutzt er für seine Bilder vor allem Farbwalzen, mit denen normalerweise dekorative Tapetenmuster auf Wänden nachgeahmt werden. Ab 1988 entstanden die trockenen Word Paintings, die zu seinem Markenzeichen wurden ("Trbl", "Riot", „Fool“), während er mit dem Einsatz von Stempeln die Möglichkeiten der Pattern Paintings erweiterte. Seit den Neunzigerjahren werden seine Arbeiten immer malerischer, wenn er sich auch meist auf schwarz-weiße Farbnuancen beschränkt.

Erst ging er von gefundenen Motiven aus Clip-Art und eigenen früheren Gemälden aus, die er mittels Siebdruck auf die Leinwand bringt, bevor er sie weiter übermalt. Heute beginnt er häufig damit, abstrakten schwarze Linien mit einer Farbpistole zu sprühen und die Farbe mit Lösungsmittel wieder auszuwischen. Dabei benützt er häufig andere Medien, darunter auch Computer –immer auf dem Schritt über die Grenze der Malerei und seiner eigenen malerischen Möglichkeiten. Als „Übermalung, Auslöschung, Überlagerung von nicht aufeinander passenden Schichten malerischen Niederschlags“ beschreibt Joao Fernandes, Direktor des Museu Serralves in Porto die Technik Wools. Für den es im übrigen keinen Unterschied macht, ob er dabei an einer solitären Leinwand bearbeitet oder einen Siebdruck auf Papier produziert, den er mit Hilfe des Computers komponiert.

„Ich glaube auch nicht, dass ein Künstler einen Pinsel braucht. Ob Sprühdose, Finger oder Pinsel, das spielt heute längst keine Rolle mehr. Ich kann ja sogar mit einer Computermaus zeichnen – das sind alles nur Hilfsmittel. Schon der weltberühmte Barock-Maler Caravaggio nutzte vor mehr als 400 Jahren der Fotografie ähnliche Techniken, wahrscheinlich eine Linse. Ein projiziertes Bild, das für eine bestimmte Art von Licht sorgen soll  – das ist doch einem zeitgenössischen Künstler sehr nahe, der Photoshop benutzt.“

Aber nicht nur Pinsel kommen bei Wool selten zum Einsatz:

„Farbe halte ich nicht nötig für die Bilder, die ich male. Wichtiger als Farbe ist die richtige Qualität von Licht. Und Licht ist schließlich das, worum es bei der Farbe geht. Und ich glaube, man kann durchaus mit Licht arbeiten, ohne auf Farbe angewiesen zu sein.“

Ob er dabei Rollen, Schablonen, Sprühdose oder die Maus in Anspruch nimmt – Wool geht es in seiner Arbeit immer nur um eins: „It’s all about creating images“. Was auch sonst, möchte man meinen? Dass es ihm schwer fällt, seine Kunst in Worte zu fassen, wundert den New Yorker nicht.

„Abstrakte Gemälde zu schaffen und diese zu beschreiben, das ist nicht leicht miteinander zu vereinbaren. Könnte ich das, was ich tue, besser in Worte fassen, wäre ich wohl eher Schriftsteller geworden als Maler. Schon auf der Kunstakademie wurde uns eingebläut: Arbeiten, über die man reden muss, fehlt etwas Entscheidendes – und das sollte auch nicht über ausschweifende Erklärungen kompensiert werden. In den vergangenen 15 Jahren hat sich dieses Verhältnis völlig verändert: Schon von Studenten wird erwartet, sich dezidiert zu ihren Arbeiten äußern zu können. Wer dazu nicht in der Lage ist, dessen Arbeit gilt als wertlos. Ich bin in dieser Hinsicht nun mal sehr altmodisch. Abstrakten Bildern wohnt ein Paradox inne: Es geht um Kommunikation – und gleichzeitig um ihre Unmöglichkeit.“

Fragen stelle er in seinen Bildern, immer sei er auf der Suche nach Antworten. Die aber seien nie eindeutig.

„Es gibt ein tolles Buch über den amerikanischen Maler Philip Guston, geschrieben von der Kunstkritikerin Dore Ashton, es heißt ’Ja, aber’ – diesen Titel halte ich für eine großartige Beschreibung der Situation, in der ein Maler sich befindet. Es ist wohl mein liebster Satz über die Malerei. Es geht in der Kunst nicht um eindeutige Kategorien wie Ja oder nein, schwarz oder weiß. Für jedes scheinbar klare Ja gibt es eine Frage, ein Aber.“

Wool, der Zweifler, Wool, der Mahner: Besonders offensichtlich wird die kritische Haltung des New Yorkers zu Staat und Gesellschaft in seinen Word Paintings, die mal offensiv-rüde wirken. Mal leisen Witz versprühen. Und gern auf Fundstellen außerhalb der Malerei Bezug nehmen: Wools  Aufforderung „Sell the house sell the car sell the kids“ mit dem Titel „Apocalypse now“ aus dem Jahr 1989 spielt an auf ein Zitat aus dem gleichnamigen Filmklassiker von Francis Ford Coppola. Das bissige "The Show is Over the audience get up to leave their seats time to collect their coats and go home they turn around no more coats and no more home” wiederum stammt aus einem Buch: “Revolution of Everyday Life”, eine Schrift aus dem Jahr 1967, die in der Studentenbewegung großen Anklang findet. Der Autor: Raoul Vaneigem, ein belgischer Kulturphilosoph. Für einen großen Theoretiker hält sich Wool deswegen allerdings nicht.

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