Commerzbank Wenn sich Retten rechnet

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Es ist der Auftakt für komplizierte und, wie mancher sagt, »harzige« Verhandlungen. Für die Ministerialen ist es eine Gratwanderung: Die Commerzbank muss auf ihre Einlage Zinsen bezahlen, sofern sie Gewinne macht. Bei einer vorzeitigen Rückzahlung verzichtet der Bund also möglicherweise auf Zinsen. Einerseits. Andererseits hat die schwarz-gelbe Koalition vereinbart, dass sich der Staat so bald wie möglich aus dem Finanzsektor zurückziehen soll. Je länger die Regierung ihre Beteiligung hält, desto mehr Geld verdient sie – desto mehr verstößt sie aber auch gegen ihr eigenes Prinzip. Nach einigen Diskussionen steht die Verhandlungsposition: Zustimmung nur bei einer "angemessenen Gegenleistung". Am 31. Januar wird sie in eine Vorlage für Minister Schäuble gegossen.

Die Frage ist, was "angemessen" bedeutet. Beide Lager machen immer neue Rechnungen auf. Die Commerzbank bietet zunächst einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag, der Bund will eine Milliarde und mehr. Die Verhandlungen ziehen sich über Wochen hin, der gesamte Deal droht zu scheitern. Der Durchbruch gelingt erst im persönlichen Gespräch zwischen Staatssekretär Asmussen und Bankchef Blessing bei der Commerzbank in Berlin. Jetzt ist der Weg frei für Wenzel und Bonacker, sie klopfen die Details am 4. März telefonisch fest. Die Bank zahlt an den Bund 1,03 Milliarden Euro.

Die offizielle Rechtfertigung der Summe ist kompliziert, weil sie Finanzaufsicht und EU zufriedenstellen muss. Politisch ist eine andere Rechnung wichtiger. Die Bank hat in den ersten beiden Jahren der Staatsbeteiligung keine Zinsen bezahlt, weil sie Verluste einfuhr. Der Bund aber musste in dieser Zeit nach internen Zahlen 507 Millionen Euro an Finanzierungskosten für das Commerzbank-Geld bezahlen. Zudem würde er im Jahr 2011, in dem die Bank wohl Gewinne machen wird, 423 Millionen Euro als Vergütung auf den zurückzuzahlenden Betrag einstreichen. Die 1,03 Milliarden Euro decken das alles ab. Es ist für die Beamten ein Erfolg, für die Bank ist es gerade noch akzeptabel.

Am 1. März geht die Zusage der Aufsicht ein.

Am 31. März kommt eine Mail, dass Brüssel "keine Einwände" erhebe.

1. April 2011 – Der Startschuss

Um 18.25 Uhr, die Börsen haben schon zu, verlässt eine E-Mail Ute Gerbaulets Computer. Dann noch eine und noch eine, um 18.41 Uhr die letzte. Die Mails enthalten Einladungen an Banken, die der Commerzbank 8,25 Milliarden Euro garantieren sollen. Martin Blessing hat die Spitzen der Institute vorgewarnt, auch Josef Ackermann wurde angerufen. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht: Das Treffen beginnt am nächsten Tag um 10.30 Uhr.

Alles ist streng geheim. Die Commerzbank lässt die auswärtigen Banker mit eigens organisierten Wagen am Flughafen abholen und bringt sie in die Garage. Von dort gelangen sie durch eine unscheinbare Tür ins Foyer der Bankzentrale am Kaiserplatz, wo sie direkt den Fahrstuhl in den 49. Stock nehmen. Am Ende sind vielleicht 60 Banker versammelt. Sie lassen sich von Bonacker, Gerbaulet und Ritter den Deal erklären und von der Deutschen Bank und JP Morgan versichern, dass die Zahlen der Commerzbank, die wochenlang durchleuchtet wurden, keine Überraschungen bereithalten. Blessing und Strutz stellen sich den Fragen, dann eilen die Angereisten zurück in ihre Zentralen. Die Commerzbanker müssen warten.

Ute Gerbaulet fährt am Abend zu ihrer Familie nach Düsseldorf, zum ersten Mal seit langer Zeit. Strutz kauft Würstchen – und grillt mit Frau und Kindern zu Hause im Frankfurter Westend. Am Sonntag trudeln die Entscheidungen der Banken ein. Zusage folgt auf Zusage.

6. April 2011 – Der Befreiungsschlag

Um 5 Uhr morgens steht Finanzvorstand Strutz auf. Er putzt sich die Zähne und schaut parallel auf seinem iPad ins Internet, in Sorge, über Nacht könnte etwas geschehen sein, das die Bank in letzter Minute dazu zwingt, alles abzublasen. Nichts. Strutz macht sich auf den Weg ins Büro.

Es ist 6 Uhr, als man am Kaiserplatz einen Rundruf organisiert, mit den Banken, die den Deal weltweit koordinieren. Der letzte Akt beginnt.

Um 6.15 Uhr tagt der Vorstand. Es gilt ein letztes Mal über »Clarissa« abzustimmen, alle wissen: Danach gibt es kein Zurück mehr.

Um 6.30 Uhr stimmt der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats zu. Kurz darauf gibt der Rettungsfonds den Weg frei.

Um 7.24 Uhr verschickt die Commerzbank eine Meldung – erst jetzt erfährt die Finanzwelt von der Transaktion. Wie, was und in welcher Höhe, all das war nicht nach draußen gedrungen.

Um 8 Uhr informiert Martin Blessing per Schaltkonferenz seine knapp 500 Führungskräfte.

Um 10.30 Uhr tritt Blessing vor die Presse.

Für Führungskräfte der Commerzbank gibt es heute keine Gehaltsgrenzen mehr, das Haus hat sein Ziel, den Bund loszuwerden, so gut wie erreicht.

Der Staat hat den größten Mittelstandsfinanzierer in der Krise stabilisiert. Er hält noch eine Einlage von 1,94 Milliarden Euro – die die Bank verzinsen und abstottern will – sowie Aktien, die er für 4,74 Milliarden Euro gekauft hat, zu einem durchschnittlichen Preis von 3,71 Euro je Stück. Wenn der Kurs höher steigt, ist auch er endgültig im Plus.

Am Dienstag lag das Papier bei 2,88 Euro.

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