Delikatesse der Nordsee Austern: Sammeln im Klump

In Zeiten der Rezession kann der Gourmet Austern auch selber auflesen. Zum Beispiel bei einer Wanderung durchs dänische Watt.

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Perlen bergen die harten Quelle: dpa

Der einzige Feind der Crassostrea gigas liegt zu Dutzenden in einem Flechtkorb und kostet 5,30 Euro. Mit diesen einfachen Austernmessern soll heute der Pazifikauster von Menschenhand auf die Schale gerückt werden – in Feinkostläden kostet eine von ihnen zwischen 1,50 und 2,50 Euro. Und das, obwohl die Population der Crassostrea gigas an der Nordseeküste wegen fehlender natürlicher Fressfeinde ziemlich ungeniert wächst. Allein vor Dänemarks Küsten könnten es in diesem Jahr knapp 12.000 Tonnen werden, schätzen Meeresbiologen.

Solche Statistiken kennt Klaus Melbye gut. Pro Jahr führt er knapp 1500 Austernfans ins Watt vor Vester Vedsted, nordöstlich von Sylts dänischer Nachbarinsel Rømø. Klaus Melbye ist Leiter des Wattenmeerzentrums (www.vadehavscentret.dk) und exzellenter Kenner der Austernsiedlungen da draußen hinterm Deich – in der Praxis als Wattführer und in der Theorie als einer, der sich um den Klimawandel sorgt.

Privileg von Einheimischen und Besuchern

Melbye erzählt: Seit 1962 ist die Nordsee um 1,2 Grad Celsius wärmer geworden; die warmen Sommer haben das Meer regelmäßig auf 20 Grad aufgewärmt – ideale Laichbedingungen für die Pazifikauster. Sie lässt sich am liebsten auf Bänken von Miesmuscheln nieder, denen sie das Überleben schwer macht. Eine Auster filtert, auf der Suche nach Kieselalgen, bis zu 50 Liter Meerwasser pro Stunde, die Miesmuschel braucht dafür einen Tag und eine Nacht. Und so entzieht die Austernpopulation der Miesmuschel die Nahrungsgrundlage. Wegen des Klimawandels könnte eines Tages aus der Auster eine Allerweltsspeise in Studentenkneipen werden und aus der Miesmuschel eine begehrte Delikatesse, eine Art Trüffel der Nordsee.

Bevor es so weit ist, bleibt das private Austernsammeln vor der dänischen Nordseeküste das Privileg von Einheimischen und den Besuchern des Wattenzentrums, die in Watthosen die Priele durchwaten. „Im Klump bleiben“, ruft Klaus Melbye den Wattgängern zu. Immer wieder weist er auf kleine Herzmuscheln, dem Grundnahrungsmittel des Haematopus ostralegus, der seinen deutschen Namen zu Unrecht trägt. Der Austernfischer meidet Austernbänke; sein Schnabel ist viel zu schwach, um damit Austernschalen zu knacken.

Handschuhe schützen vor Blessuren

Während der Lektion platschen sich die 20 Teilnehmer der Austernsafari auf dem Weg zu den Bänken langsam vor. Es ist 15 Uhr, Ebbe und hier im Watt die beste Zeit, die Austern zu sammeln. Ein ums andere Mal hat Melbye über sein Mobiltelefon den Stand der Gezeiten bei einer Wetterstation abgefragt. Das Wasser steht auch so schon teilweise fast bis zum Hintern. Nach gut einer Stunde sind dunkelbraune oder grauschwarze Flecken auszumachen, die flach aus dem Wasser ragen. Bald knirscht es unter den Gummisohlen. Die Austernbank, eine wohnzimmergroße Ansammlung von Schalentieren, ist erreicht.

Die ersten Teilnehmer gehen in die Knie, schleifen Plastiktüten hinter sich her, die sich allmählich mit Austern füllen. Am begehrtesten sind die Tiere, die sich vereinzelt haben, denn sie sind leicht einzusammeln. Die meisten Austernschalen sind jedoch zu grotesken Formen zusammengewachsen, zu schwer für den Tütentransport und zu unansehnlich fürs Restaurant.

Dafür sind sie heute die spätnachmittägliche Delikatesse der Wattwanderer. Die erfahrenen Teilnehmer streifen Arbeitshandschuhe über, um sich beim Austernknacken keine Blessuren zu holen. Mit der flachen Spitze bohren sie in die rückwärtige Nahtstelle, bis sich die Schalenhälften teilen lassen. Schlürfende Geräusche der ungeduldigen Genießer mischen sich in das stetige Knacken, wenn eine weitere Auster geöffnet wird. Was nicht sofort geschlürft wird, wandert in die Tüten, um zu Hause im Ofen gratiniert zu werden. Was die Sammler zusammentragen, ist zum größten Teil nutzloses Gewicht. 100 solcher Austern bringen es auf immerhin 20 Kilogramm Schalengewicht und vielleicht 3 Kilo Muschelfleisch.

Spätestens an dieser Stelle spaltet sich die Gruppe im Watt. „Schmeckt nach Modder“, rufen die einen. „Köstlich“, entgegnen die anderen und denken auch ein bisschen an die 2,50 Euro pro Stück, die das im Nobelrestaurant kosten kann, wonach man sich hier nur ein wenig zu bücken braucht.

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