"Der Baader Meinhof Komplex" im Kino Das heilsame Gemetzel

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Beklemmendes Gefühl

Das war der Augenblick, von dem an sich alles änderte. Hatte das Ganze zu Beginn noch eine politische Note, ging es jetzt nur um bessere Haftbedingungen und Strafmilderungsumstände. Alle blutigen Aktionen, die folgen, erstreben nur eines: die Freipressung der gefangenen Genossen.

Dieser Moment markiert auch eine ästhetische Wende im Film. Jedes Gefühl des Aufbruchs und der Freiheit verschwindet. So wird die Geschichte, die so hell mit schönen, fröhlichen Menschen begonnen hat, immer enger und dunkler, bis sie in einem schwarzen Loch endet. Aus der Sicht der Terroristen zu erzählen, bedeutet irgendwann auch, von ihrer Blindheit zu erzählen. Denn sie werden immer hoffnungsloser, isolierter, haben immer weniger mit der realen Welt zu tun, dafür aber immer mehr miteinander, schließlich nur noch jeder mit sich selbst. Bis zur letzten Konsequenz – dem Mord des Selbst.

Es ist ein beklemmendes Gefühl, menschlichem Versagen dieses Ausmaßes zu begegnen. Sie, die sie angetreten waren, um das Leben zu befreien und zu feiern, sind selbst Zerstörer des Lebens geworden. Sie haben in ihrer Welt alles, was ein Menschenleben lebenswert macht – und zum Schluss auch jede Freude, abgetötet.

Ich spüre meinen Widerwillen, die Scheu, die Scham, den detailgetreu nachkonstruierten Szenen des Gemetzels beizuwohnen: Wie Körper, die von Kugelhageln getroffen werden, bei jedem Schuss aufspringen, mitanzusehen wie Blut aus den Einschusslöchern spritzt, wie Köpfe gegen die Scheiben schlagen oder leblos herunterhängen. Es ist so unwürdig. So, nehme ich an, haben es die Mörder auch gemeint: Einen Menschen zu töten heißt auch, ihn endgültig zu insultieren. Ihren eigenen Tod aber wollten sie selbst bestimmen. Die Menschenverächter sind so peinlich selbstherrlich und selbstmitleidig. Auch hier bleiben sich die Filmemacher der Perspektive treu: Als die Täter sterben, dürfen wir nicht dabei sein. Ja, wir dürfen noch nicht mal die Leichen wirklich sehen. Genauso wie sie es auch gemeint hätten.

Tödliche Wirkung

Es bleibt ein seltsamer Nachgeschmack wie bei den meisten Filmen über die RAF und andere Linksterroristen, mit Ausnahme vielleicht von „Stammheim“, der den Sog einer griechischen Tragödie entwickelt. Sie rufen dieses mulmige Gefühl der Trostlosigkeit, der Sinnleere, der Ausweglosigkeit und Ödnis hervor: „Die Stille nach dem Schuss“, „Die bleierne Zeit“, „Baader“ oder „Die innere Sicherheit“.

Das Urteil der Geschichte über die Terroristen wird vermutlich sehr hart ausfallen. Am Ende sind es nur einige aus den Fugen geratene Biografien, vermischt mit krankhaften persönlichen Dispositionen – die Mechanismen, wie Einzelne zu Mördern werden, sind bekannt. Die RAF fiel auf einen ideologisch fruchtbaren Boden und entfaltete ihre tödliche Wirkung. Doch das Gemetzel hat freilich einen anderen Effekt erzeugt als den, den seine Urheber im Sinn hatten: Es heilte die Republik von dem Fieber des Selbstzweifels, das sie mit der 68er-Protestbewegung befallen hatte, und befreite sie von den letzten Residuen einer blutigen Vergangenheit. Am Ende haben sich die Deutschen tatsächlich mit ihrem demokratischen System identifiziert. Seitdem sind Legitimationsfragen der Bundesrepublik Deutschland endgültig Geschichte. Daran erinnert der Film.

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