Deutsche Bahn Wie viel Bahn können wir uns leisten?

Bei Prestigeprojekten explodieren die Kosten, aber für Gleise im Güterverkehr gibt es kein Geld. ICEs fehlen, dafür fließen Millionen in leere Bummelzüge. Der Sparzwang der öffentlichen Hand bietet die einmalige Chance für einen radikalen Politikwechsel. Die Deutsche Bahn würde davon sogar profitieren.

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Personennahverkehr Quelle: DB AG/Bartlomiej Banaszak

Die 115 Kilometer langen Gleise von Verl über Gütersloh nach Harsewinkel im Teutoburger Wald sind in einem erbärmlichen Zustand. Abbremsen auf 30 Kilometer pro Stunde, morsche Gleisbette. Wenn sich nicht bald etwas ändert, muss die Strecke 2015 stillgelegt werden. Betriebe wie Mähdrescherproduzent Claas, der die Gleise zum Abtransport seiner Erntefahrzeuge benötigt, drohen mit Standortverlagerung. Nur zwölf Millionen Euro müsste der Bund in den Erhalt der Strecke investieren – doch er lehnt ab.

Die neue 85 Kilometer lange Bahnstrecke von Wendlingen nach Ulm durch die Schwäbische Alb wird ein Meisterwerk deutscher Ingenieurkunst. Zehn Tunnel und Brücken verkürzen die Fahrzeit des ICE von 54 auf 28 Minuten. Die Finanzierung des 2,9 Milliarden Euro teuren Projektes, dessen Kosten sich Deutsche Bahn, Bund und Land teilen, steht. Pech nur für die Güterzüge, die die 3,5-prozentige Steigerung nicht schaffen. 

In den zwei Strecken und zwei Schicksalen kulminiert der ganze Streit über die Deutsche Bahn sowie die Politik, die für das Ach und Weh des größten verbliebenen Staatskonzerns verantwortlich zeichnet. Sind die Milliarden für Vorzeigeprojekte richtig angelegt? Allein die Großprojekte Wendlingen–Ulm und Stuttgart 21, gegen die seit Wochen Tausende Bürger demonstrieren, verschlingen mehr als sieben Milliarden Euro. Oder ist es nicht an der Zeit für einen grundlegenden Kurswechsel? Dem zukunftsträchtigen, aber prestigearmen Güterverkehr etwa droht bald der Dauerstau, weil die rund eine Milliarde Euro des Staates pro Jahr für den Streckenneubau nicht ausreichen, um marode Schienen zu reparieren.

Jeder gegen jeden

Inzwischen liefern sich Gutachter eine regelrechte Schlacht um das Für und Wider laufender oder künftiger Bahn-Projekte. Die einen warnen vor einem Rückfall in alte Bummelbahnzeiten, die anderen fordern schnellen Metropolenverkehr. Spätestens dann, wenn die Haushaltsplanungen in Berlin für den Etat 2011 starten, werden die Politiker nicht um die Grundsatzfrage herumkommen: Wie viel Bahn will sich Deutschland künftig leisten? Und kann es besseren Eisenbahnverkehr wirklich nur geben, wie die Pufferküsser der Nation immer behaupten, wenn der Steuerzahler mehr als die derzeit zehn Milliarden Euro pro Jahr lockermacht?

Wie ernst die Lage für die Deutsche Bahn ist, zeigt ein elfseitiger interner Vermerk, den Beamte des Bundesverkehrsministeriums verfassten. Darin hielten sie fest: Das sich abzeichnende Sparpaket werde „hart“, und die Bahn müsse sich auf „deutliche Einschnitte“ gefasst machen. Die Mittel müssten auf die „laufenden Bedarfsplanvorhaben konzentriert werden“ – und damit kein Zweifel aufkommt: „Neubeginne sind derzeit nicht möglich.“

In Zahlen gegossen zeigt sich die ganze Dramatik im deutschen Eisenbahnverkehr. Bis 2020 will die Regierung elf bis zwölf Milliarden Euro aus Steuermitteln für Neubauprojekte bereitstellen. Davon binden die 52 laufenden Vorhaben rund acht Milliarden Euro. Mit den verbleibenden vier Milliarden lässt sich aber kaum etwas Verbindliches anfangen, sie könnten allein durch Kostensteigerungen aufgefressen werden. Damit bliebe für neue Projekte, wie sie im Bundesverkehrswegeplan stehen, kaum etwas übrig. Dringend benötigte Gleise, um die wachsenden Gütermengen aus den Seehäfen übers Land zu verteilen – vorerst gestrichen. Der Ausbau der überlasteten Strecke durchs Rheintal – aufgeschoben. Die Schließung der Hochgeschwindigkeitslücke zwischen Frankfurt und Mannheim – zurückgestellt.

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