Deutschland Karrieren nach dem Mauerfall

Ein ehemaliger Bergbauchef geht nach Harvard, eine Kunstlehrerin gründet eine Kindergartenkette, ein Tüftler einen Milliardenkonzern: Ostdeutsche erzählen von ihrer Karriere nach dem Mauerfall. So unterschiedlich sie auch sind – die Beispiele zeigen, dass für beruflichen -Erfolg vor allem eines wichtig ist: die Freiheit, Dinge selbst in die Hand nehmen zu können.

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Steffen Leistner: Der Ingenieur hatte im Sozialismus und im Kapitalismus Erfolg Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Der Manager: Steffen Leistners Karriere begann im russischen Bergbau und führte ihn an die US-Eliteschmiede Harvard. Den Erfolg verdankt der Berater vor allem seiner Anpassungsfähigkeit.

Würde man Steffen Leistner irgendwo auf einem fremden Kontinent aussetzen, ohne Geld, Landkarte und ohne Rückflugticket, er wüsste sicher schnell, was zu tun ist. So ungefähr ergeht es ihm im Herbst 1989, als die politische Wende ihn aus seiner gewohnten Welt herausreißt. Leistner steht da kurz vor dem Höhepunkt seiner Karriere: Er ist 31 Jahre alt und Strategiechef des Kombinats Kali, eines Bergbaukonglomerats mit Tausenden Mitarbeitern. Er gilt als zukünftiger Generaldirektor des Kombinats, der jüngste in der DDR.

Doch mit dem Systemkollaps fallen auch Leistners Pläne in sich zusammen. „Ich hatte nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu tun und nichts mehr, worauf ich hinarbeiten konnte“, sagt er heute, „meine Chancen waren auf einmal von 100 auf null gesunken.“ Also denkt Leistner radikal um und seine Laufbahn neu. Kapitalistisch eben.

Er sucht und ergreift Chancen

Dass er seine Chancen sucht und ergreift, hat er da schon mehrfach bewiesen. „Wenn Steffen erst einmal klare Vorstellungen hat, dann arbeitet er konsequent darauf hin“, sagt Peter Seibt, der heute ein Erdwärme-Unternehmen führt und mit Leistner seit dem Abitur befreundet ist. Schon zu Schulzeiten ist das so. Als der Direktor Leistner zur Armee schicken will, weigert der sich beharrlich. Leistner will ins Ausland, dorthin, wo in diesen Jahren die Top-Kader des Ostens studieren. In Moskau schreibt er sich in „Untertagebergbau“ ein. Und hat in der neuen Umgebung schnell Erfolg: Er bekommt das „rote Diplom“ – hervorragend.

Leistner 1981 in Moskau

Zurück in der DDR heuert der Ingenieur beim Kombinat Kali an. Schnell überzeugt er seinen Chef, ihm eine Sonderaufgabe zu geben: Leistner entwickelt eine neue Technik, um tiefere Gesteinsschichten erreichen zu können – allen Skeptikern im Betrieb zum Trotz. Das spricht sich rum, Leistner macht Karriere. Bis 1989 die neue Marktwirtschaft sein Leben auf den Kopf stellt. Leistner orientiert sich sofort um und belegt 1990 einen Kapitalismus-Crashkurs am „Institut für sozialistische Wirtschaftsführung“ in Berlin. Ausgerechnet. Bisher wurden dort DDR-Führungskader weitergebildet, jetzt halten West-Manager in feinenNadelstreifenanzügen lange Vorträge.

Leistner begreift schnell: „Ich muss noch einmal auf die Schulbank, sonst habe ich keine Chance, ins Top-Management zu kommen und dort zu bestehen.“ Er weiß: Wer im Wettbewerb punkten will, braucht beste Referenzen. Also beschließt er, einen MBA zu machen – und zwar gleich an der US-Eliteuni Harvard. Monatelang brütet er über der Bewerbung, lernt mit Sprachkassetten Englisch – und wird als einziger DDR-Bürger genommen. Danach hat er im Kapitalismus beste Karten. Die Strategieberatung Booz & Company stellt ihn ein, und er macht zum zweiten Mal Karriere. Heute trägt Leistner selber Nadelstreifen, die Bergmannskluft hängt daheim im Schrank. Der 51-Jährige hat es bis zum Partner bei Booz gebracht und schon das nächste Ziel vor Augen: Er will in Moskau das Russland-Geschäft von Booz aufbauen.

Leistner hat seine Chance genutzt, als die Wende ihn in eine neue Welt katapultierte. Entschlossenes Umdenken hat ihm geholfen. Man kann das zielstrebig nennen oder opportunistisch. Erfolgreich war es auf jeden Fall.

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