Agrarspekulationen Trockene Tatsachen

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VORWURF 2 und 3: Preistreiber und Spekulationsblasen

Was die Agrarpreise bewegt
Spekulanten treiben Agrarumsätze...Seit 2005 hat sich der Handel mit Agrargütern an der Chicagoer Terminbörse fast verdreifacht. Linke Skala: Gehandelte Agrarkontrakte an der Chicago Board of Trade in Tausend Stück pro Tag Rechte Skala: Weizen-Terminpreis Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
der Weizenpreis schwankt stärker Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
die Wetten folgen den Preisen, nicht umgekehrt Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Preis und Lagerbestände von WeizenKnappe Lagerbestände treiben den Preis von Weizen hoch. Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Reis-Future (in Cent pro 45,4 Kilo)Auch Wettereinflüsse und Exportverbote machen Nahrung teuer. Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Maispreis und BioethanolproduktionMit steigender Produktion von Bioethanol, steigt auch derPreis von Mais. Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Lebensmittelpreisindex FAODer Lebensmittelpreisindex bildet die Preise für Fleisch, Getreide, Milchprodukte, Speiseöl und Zucker ab. Durchschnitt 2002 bis 2004 = 100 Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe

Vorwurf: Spekulanten treiben die Agrarpreise dauerhaft nach oben.

Wirtschaftsethiker Ingo Pies von der Universität Halle hat gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung wissenschaftliche Studien analysiert, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Spekulation an den Terminmärkten und steigenden Agrarpreisen untersuchten. Sein Fazit: „Die große Mehrheit der Studien kommt zu dem Schluss, dass es keinen Zusammenhang gibt“, sagt Pies. Foodwatch moniert, Pies habe wichtige Studien unterschlagen. Pies sagt, er habe Studien ausgeschlossen, die lediglich dokumentierten, dass steigende Lebensmittelpreise zeitlich mit vermehrter Spekulation an den Terminbörsen zusammenfielen, oder die auf Modellen beruhten, die nicht ergebnisoffen waren. „Diese nicht berücksichtigten Studien haben einen kausalen Zusammenhang zwischen Spekulation und steigenden Agrarpreisen gar nicht untersucht“, sagt Wirtschaftsethiker Pies.
Einig sind sich Wissenschaftler darin, dass Spekulationen an den Terminbörsen langfristig keinen Effekt auf die Agrarpreise haben. Selbst die wissenschaftlichen Berater der Welternährungsorganisation FAO, die bisher als Kritiker der Spekulanten galten, räumen dies ein. In einem unveröffentlichten Papier, das der WirtschaftsWoche vorliegt, beschreibt das Beratergremium Finanzspekulationen als Kurzfristphänomen, das nicht zu den Haupttreibern der Lebensmittelpreise zählt. Auch Oxfam und Foodwatch sehen fundamentale Gründe für einen langfristigen Preisanstieg bei Lebensmitteln: Wachstum der Weltbevölkerung, andere Essgewohnheiten in den Schwellenländern und begrenzte Anbauflächen. Geschätzte 8,3 Milliarden Menschen werden 2030 die Welt bevölkern. Mit dem wachsenden Fleischkonsum in den Schwellenländern steigt der Bedarf an Weidegrund und Anbauflächen für Futtermittel. Beides geht zulasten von Ackerland für Lebensmittel, ebenso der vermehrte Einsatz von Nutzpflanzen zur Herstellung von Biotreibstoffen. „Diese Faktoren wirken jedoch langfristig und können das Tempo und die Höhe der Preisanstiege nicht erklären“, sagt David Hachfeld, Handelsexperte bei Oxfam. Dafür seien Spekulanten an den Terminmärkten verantwortlich.


Vorwurf: Spekulanten lassen Lebensmittelpreise stärker schwanken und erzeugen Preisblasen.
Kurzfristig können Spekulationen am Terminmarkt zu Preisspitzen bei Agrargütern führen, Preise sich von der Realität abkoppeln. Aber schlägt das auf die realen Märkte durch? „Als der Weizenpreis 2008 an der Pariser Terminbörse Matif seinen Höchstpreis von 300 Euro je Tonne erreichte, konnten Landwirte ihre Ernte nur für 270 Euro je Tonne losschlagen“, sagt Wolfgang Sabel, Geschäftsführer von Kaack Terminhandel aus Cloppenburg. Mehr wollten die Agrarhändler nicht zahlen, so Sabel. Allerdings seien Börsenpreis und der Preis im physischen Agrarhandel nur für zwei Wochen auseinandergelaufen. Danach sei der Terminpreis wieder stark eingebrochen.
Preisblasen können zudem auch ohne Spekulanten an Terminbörsen entstehen. Rhodium etwa, das für Katalysatoren gebraucht wird, hatte sich, obwohl es überhaupt keinen Terminmarkt für Rhodium gibt, binnen fünf Jahren bis Mitte 2008 etwa verzwanzigfacht. Anschließend platzte die Preisblase binnen weniger Monate. Speziell bei Agrarrohstoffen ist kein Impuls von den Terminbörsen nötig, um extreme Preisbewegungen auszulösen. Denn das Angebot von Weizen, Mais oder Soja lässt sich nicht über Nacht erhöhen, selbst bei einer Vervielfachung des Preises. Weil Menschen aber regelmäßig essen müssen, können sie gerade auf wichtige Grundnahrungsmittel nicht lange verzichten. Fallen Ernten niedriger aus als erwartet, schnellen die Preise nach oben. Je leerer die Lager sind, desto stärker steigen die Preise – ganz ohne Spekulanten am Terminmarkt, wo lediglich zukünftige Lieferansprüche auf Agrargüter gehandelt werden.
Am Spotmarkt dagegen decken sich Abnehmer kurzfristig mit physischer Ware ein. Die Preise am Termin- und Spotmarkt für Agrarrohstoffe aber laufen nicht synchron. Wenn der Terminmarkt steigende Preise signalisiert, könnte sich ein Agrarhändler zwar am Spotmarkt eindecken und die Ware einlagern, um sie später teurer zu verkaufen. Allerdings lassen sich Weizen oder Mais nur begrenzt lagern. Zudem fallen Kosten für die Lagerung an. Der Spekulation auf Preisdifferenzen (Arbitrage) zwischen Termin- und Spotmarkt sind also Grenzen gesetzt. Mehr Arbitrage, die vom Terminmarkt ausgehend zu einer größeren physischen Nachfrage führt, wäre mit höheren Lagermengen verbunden. Doch bei den wichtigsten Getreidesorten Weizen, Mais und Reis sind die weltweiten Lager heute leerer als vor der Jahrtausendwende. Das zeigt, dass zunehmende Terminmarkt-Investments zwar die Preise auf dem Terminmarkt treiben, aber allenfalls geringfügig über Arbitrage auf den Spotmarkt wirken.

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