Dass 2016 kein leichtes Jahr für Stefan Pichler wird, war klar. Die WirtschaftsWoche kürte den Air-Berlin-Chef deshalb schon zum Jahreswechsel als Manager mit dem härtesten Job. Tatsächlich kommt es derzeit knüppeldick.
Was ist passiert?
Air Berlin kommt einfach nicht aus der Krise. Jetzt wird offenbar der Rückzug von der Börse durchgespielt, berichtet das „Handelsblatt“. Die Großaktionäre, allen voran die arabische Fluglinie Etihad, diskutieren Modelle, wie sie Air Berlin von der Börse nehmen können, heißt es in dem Bericht unter Berufung auf Insider. Air Berlin soll zukünftig enger mit Alitalia Airlines zusammenarbeiten, an der Etihad ebenfalls beteiligt ist. Kommentieren wollten Air Berlin und Etihad das bislang nicht. Die Aktie brach am Dienstag dennoch zeitweise um mehr als 20 Prozent ein.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Warum der Rückzug von der Börse?
Seit dem Allzeithoch von über 20 Euro im Frühjahr 2007 ist die Air-Berlin-Aktie tief gefallen. Am Dienstag notiert sie bei unter 80 Cent. Die Aussichten auf einen plötzlichen Kurssprung sind gering. "Air Berlin von der Börse zu nehmen, scheint sinnvoll", sagt der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. "Schließlich bekommt das Unternehmen dort kein Kapital mehr." Gleichzeitig setzt die Publizitätspflicht Air Berlin zu - schließlich ist das Unternehmen schon lange finanziell angeschlagen.
Der wichtigste Grund dürfte jedoch ein anderer sein: Der Großaktionär Etihad will seinen Einfluss auf Air Berlin weiter stärken. "Für Etihad wäre es ohne die Börse im Rücken einfacher, in Zukunft die eigene Strategie durchzusetzen", sagt Großbongardt.
Neu sind die Pläne nicht: Bereits 2014 kursierten Pläne über das sogenannte Delisting. Doch der Abschied von der Börse ist mit vielen Hürden verbunden.
Warum ist das mit dem Delisting nicht so einfach?
Damit sich Air Berlin von der Börse zurückziehen kann, müsste wahrscheinlich ein Teil der Aktionäre ausgezahlt werden. Etihad selbst kann nicht größer einsteigen: Air Berlin muss mehrheitlich in europäischer Hand bleiben, damit die Start- und Landerechte für die deutsche Airline nicht verloren gehen. Und Etihad hält bereits 29,2 Prozent, weitere zwölf Prozent gehören der türkischen ESAS Holding. Die restlichen Anteile liegen in der Hand von Kleinaktionären.
Denkbar wäre, dass eine GmbH auf die Anteile dieser Aktionäre bietet, berichtet das “Handelsblatt”. Ähnliche Pläne gab es bereits vor zwei Jahren: Damals sollte ein Konsortium von Unternehmern auf Air Berlin bieten. Das Geld dafür hätte das Konsortium auch aus Krediten von Air Berlin oder Etihad selbst bekommen können.
Das Bundesverkehrsministerium und die EU-Behörden fürchteten jedoch, dass Etihad das Unternehmer-Konsortium nur als Strohmänner nutzen könnte, um seinen Einfluss zu stärken. Möglich wäre, dass deshalb Alitalia diese Rolle übernimmt und die Air-Berlin-Anteile von der Börse holt.
Wie könnte eine Zusammenarbeit mit Alitalia aussehen?
Die beiden Airlines haben viele Gemeinsamkeiten: Beide teilen sich mit Etihad auch Flüge über das sogenannte Codesharing. Beide dienen dem Großaktionär Etihad als Zubringer, in dem sie mit ihren Flugzeugen Passagiere zu den wichtigen Etihad-Flughäfen befördern, wo die Fluggäste in eine Etihad-Maschine umsteigen können. Und beiden geht es finanziell schlecht. In einem Szenario könnte Alitalia künftig einen Teil der administrativen Tätigkeiten und auch des Betriebs von Air Berlin übernehmen. Dadurch könnte Air Berlin möglicherweise Kosten sparen.