Air Berlin Das wird die schlimmste Bilanz ihrer Geschichte

Der erste Geschäftsbericht von Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann wird desaströs ausfallen. Schuld ist nicht allein die Krise der Branche. Entscheidend sind hausgemachte Gründe - und eine ungewohnte Ehrlichkeit.

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Air-Berlin-Flieger stehen im Regen. Quelle: REUTERS

Neuer Chef, eine Aufspaltung in drei Teile und ein neues Geschäftsmodell: Bei Air Berlin bleibt derzeit fast kein Stein auf dem anderen. Doch wenn der neue Chef Thomas Winkelmann am kommenden Freitag seine ersten Zahlen für 2016 präsentiert, sind zumindest zwei Dinge wie früher: der Abschluss kommt erst, wenn andere Unternehmen schon das erste Quartal des laufenden Geschäftsjahres bilanzieren. Und die Ergebnisse werden mal wieder schlechter als zuvor.

Für Spötter hängt das miteinander zusammen. „Die Finanzchefs der Berliner brauchen halt länger, damit die Zahlen nicht komplett nach Untergang aussehen“, so ein Unternehmenskenner.

Insider sprechen von den bislang schlechtesten Zahlen. Angesichts der bisherigen Rekordmarke von 447 Millionen Euro Nettoverlust in 2015 dürften Aktionäre und Kunden bei solchen Aussagen erschrocken Luft holen. Leute, die es wissen sollten, sehen das Minus noch deutlich näher an die halbe Milliarde Euro Miese rutschen. Die Schulden und das negative Eigenkapital dürften aufsummiert von gut zwei Milliarden Euro in Richtung 2,5 Milliarden wandern. Nur der Umsatz und die Passagierzahlen liegen unter Vorjahr.

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Dabei hatte selbst der wohl größte Air-Berlin-Skeptiker, Andrew Lobbenberg von der Investmentbank HSBC, zuletzt erwartet, dass die Negativserie der vergangenen Jahre jetzt zumindest mit einer Mini-Verbesserung zum Vorjahr endet. Allein der im Vergleich zu 2015 spürbar niedrigere Ölpreis und die Einschnitte bei unprofitablen Flugstrecken haben der Linie schließlich Ausgaben von bis zu 200 Millionen Euro erspart. „Es war in 2016 als Airline schon fast unmöglich schlechtere Zahlen zu schreiben“, sagte jüngst Willie Walsh, Chef der IAG genannten Muttergesellschaft von British Airways und der spanischen Iberia.

Dass es bei Air Berlin trotzdem mit besseren Zahlen nichts geworden ist, hätten Winkelmanns Vorgänger auf dem Chefsessel wahrscheinlich vor allem mit dem allgemeinen Abwärtstrend der Branche erklärt. Der zuletzt wieder leicht höhere Ölpreis lässt die Kosten steigen. Dazu machen sich die Fluglinien mit ihrem übertriebenen Wachstumskurs gerade gegenseitig die Ticketpreise kaputt.

Doch so wichtig das ist. Entscheidend sind bei den Berlinern vor allem drei hausgemachte Gründe.

1. Ungewohnte Ehrlichkeit der Buchhalter

Auch wenn sich Winkelmanns Vorgänger bei ihren Bilanzpräsentationen stets zerknirscht für die Verluste entschuldigten, brutal ehrlich waren sie beim Rechnen offenbar nicht immer.

Damit das ohnehin lädierte Eigenkapital nicht noch weiter absackt, wurden dem Vernehmen nach unter anderem sogar eher wertlose Dinge wie Landerechte an Flughäfen mit einem Wert angesetzt. Der Trick: Wie bei Markenrechten weist die Linie einigen ihrer Slots genannten Startzeiten einen Wert von einigen tausend Euro zu. Denn an vielen Flughäfen sind diese Startzeiten knapp und werden zu hohen Preisen an andere Linien weitergegeben.

Doch das klappt nur selten. Denn die Startzeiten gehören im Prinzip den Fluglinien nur so lange, wie sie zumindest an rund 80 Prozent der Tage auch genutzt werden. Wirklich zu Geld machen lassen sie sich nur an wenigen besonders vollen Flughäfen wie London-Heathrow. Hier zahlte die staatliche Oman Air voriges Jahr umgerechnet 75 Millionen Euro an Air France-KLM für ein bei asiatischen Linien besonders gesuchtes Zeitfenster am frühen Morgen.

Dazu kommen auch einige buchhalterische Altlasten aus den vielen Übernahmen anderer Fluglinien. So stehen laut Insidern bestimmte Besitztümer der vor rund zehn Jahren übernommenen LTU in Düsseldorf mit einem Wert in der Bilanz, den - vorsichtig ausgedrückt - kein anderes Unternehmen dafür bezahlen würde. 

Aufstieg und Niedergang von Air Berlin
Kim Lundgren (l), Mitgründer und Präsident der 'Air Berlin Inc.' und Pilot, mit seinem Sohn Shane Lundgren, ebenfalls Pilot bei Air Berlin Inc. Quelle: airberlin
Joachim Hunold Quelle: airberlin
Einstieg ins Linienfluggeschäft Quelle: airberlin
Service an Bord von Air Berlin 2003 Quelle: airberlin
Niki Lauda (2009) Quelle: dpa
Airbus A 320 (2005) Quelle: airberlin
dba Air Berlin Quelle: AP

Mit diesen bilanziellen Luftschlössern will Winkelmann jetzt Schluss machen. „Die Finanzer sind angehalten, jetzt endlich mal alles aus dem Keller zu holen, was irgendwie stinkt“, so ein Kenner. Hinter dem überfälligen Schritt steckt nicht nur Winkelmanns Ehrlichkeit oder die in Chefetagen übliche Praxis, möglichst viele Belastungen dem Vorgänger anhängen zu wollen.

„Air Berlin braucht dringend neue langfristige Partner und Investoren“, erklärt ein hochrangiger Manager hinter vorgehaltener Hand. „Wenn wir denen dauernd bereits lange absehbare Überraschungen vorsetzen, sind sie schnell wieder von Bord.“

2. Sanierung ist teurer als Nichtstun

Winkelmanns Vorgänger - von Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn bis zu Stefan Pichler als ehemaligem Chef des arabischen Billigfliegers Jazeera Airways - haben immer große Sanierungen angekündigt. Dass trotzdem am Ende relativ wenig passiert ist, liegt nicht allein am fehlenden Willen. Die nötigen Umbauten und Entlassungen sind gerade bei Traditionsunternehmen wie Air Berlin oft so teuer, dass die sich die Ausgaben in Anbetracht der ohnehin schlechten Zahlen nicht leisten können. „Die Führung wusste angesichts des ohnehin dramatischen Minus im Fluggeschäft nicht so recht, woher sie die für eine richtige Neuausrichtung nötigen bis zu 100 Millionen Euro nehmen sollte“, so ein Insider.

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Das hat der Ende des Jahres ausgeschiedene Altchef Pichler geändert und gerade im letzten Quartal des vergangenen Geschäftsjahres viele Neuerungen gestartet, weil weiterer Stillstand das Unternehmen gefährdet hätte. Dazu zählte Flugzeuge möglichst früh an Leasinggesellschaften zurückzugeben und gut 1000 nicht mehr benötigte Mitarbeiter zu entlassen. Dazu dürfte sein Nachfolger Winkelmann auch möglichst viele Kosten der von ihm in diesem Jahr angestoßenen Veränderungen wie den Umbau des Managements noch im alten Jahr verbuchen lassen.

3. Viele verzögerte Verbesserungen

Sicher machte Ex-Chef Pichler in seiner Zeit einige gravierende Fehler. Hierzu zählen viele den Versuch, neue Strecken ohne Rückendeckung seiner Allianzpartner im Verbund Oneworld aufzulegen. Bestes Beispiel ist die geplante Strecke nach Dallas im US-Bundesstaat Texas, die aus Sicht von American Airlines ihre Flüge aus Frankfurt schwächte. Und so arbeiteten die Amerikaner beim Ticketverkauf in den USA teilweise offen gegen Air Berlin. Darum sind dem Vernehmen nach die Ticketpreise auch bei den anderen neuen US-Strecken niedriger als geplant.

Doch zu Pichlers Plan gehörten zwar eher bescheidene aber dennoch sinnvolle Veränderungen. Er wollte das Unternehmen aufspalten und eine modernere Arbeitsweise einführen. Kern war es, die Ticketpreise für die fast 4000 Flüge pro Woche automatisch von Algorithmen steuern zu lassen - statt quasi per Hand, wie es andere Linien spätestens zur Jahrtausendwende aufgegeben haben. Doch das neue System startete verzögert, weil sich der Air-Berlin-Vertrieb mit der komplexen Technik schwertat. Außerdem wurden zu viele schnell verkäufliche Tickets angeboten - um die Finanzlöcher zu stopfen.

Etwas Pech war bei der Dreiteilung von Air Berlin im Spiel. Ein Teil von Air Berlin sollte an Lufthansa gehen und ein anderer an die Mutter Etihad, die ihn als Ferienflieger Niki mit Hilfe des Reiseriesen Tui an den Start bringen wollte. Hier zögerte Etihad laut Insidern lange mit der Zustimmung, so dass die Dreiteilung erst im März startete statt im Herbst. Darum musste Air Berlin seine Flieger länger als erhofft auf verlustbringenden Strecken einsetzen.

Gefährliche Aussichten für 2017

Die Vergangenheit wird Air-Berlin-Boss Winkelmann weiter verfolgen - zumindest bei seiner Bilanz für das erste Quartal des aktuellen Jahres. Denn auch wenn Winkelmann bei der Pressekonferenz am Freitag einen neuen Rettungsplan mit deutlichen Kostensenkungen vorstellen wird. Die Fehler der vergangenen Monate werden die Zahlen noch eine Weile verderben.

Die Erfahrung der vergangenen Wochen zeigt, Pichler sind bei seiner Umstrukturierung deutliche Patzer unterlaufen. Der hohe Zeit- und der Verbesserungsdruck haben ihren Tribut gefordert. Nach dem schnellen Hin- und Her-Schieben der Jets zwischen Air Berlin, Niki und der Schweizer Tochter Belair fehlten auf einmal reihenweise Flugzeuge aller Größen und mussten teuer angemietet werden. Dazu rächt sich der offenbar schlecht vorbereitete Wechsel des Abfertigungsunternehmens am Flughafen Berlin-Tegel. Weil der neue Dienstleister zu wenig Personal hatte, musste Winkelmann viele seiner neuen US-Flüge absagen, was für deutliche Einnahme–Ausfälle und Entschädigungszahlungen sorgte.

Und auch im zweiten und dritten Quartal wird es schwierig bleiben. Nicht nur dass die Linie wegen der verspäteten Automatisierung des Ticketverkaufs nach wie vor viele Flüge billiger als nötig verkauft. Weil Air Berlin seine Jets jetzt frühestens im Herbst an Niki abgeben kann, zahlt die Linie in diesem Jahr wohl gut zehn Millionen Euro extra. Und das kann die Linie nicht brauchen. Denn spätestens im August zum Ende der Urlaubssaison wird es finanziell wieder extrem eng, wissen Unternehmenskenner.

Doch das macht Winkelmann erst mal nicht bang. „Er hat nicht nur einen überlegten Plan zur Rettung“, so ein Insider, „sondern anders als seine Vorgänger auch eine Finanzierung und die Zusage seiner Partner von Etihad und Lufthansa, dass er ihn umsetzen darf.“

Der Satz wäre beruhigender, wenn er in abgeschwächter Form nicht auch über seine Vorgänger gesagt worden wäre.

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