Air Berlin "Die Beschäftigten sind wütend und haben Angst"

Eine Protestaktion auf dem Firmengelände und die Arbeitsagentur auf dem Flur: Für die Beschäftigten von Air Berlin spitzt sich die Lage zu. Gewerkschafterin Christine Behle über den Schock und die Folgen.

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Protest bei Air Berlin: Mitarbeiter am Montag bei einer

WirtschaftsWoche: Frau Behle, heute Mittag gab es eine „aktive Mittagspause“ vor der Air-Berlin-Zentrale in Berlin. Wie ist die Stimmung gegenwärtig unter den Beschäftigten?
Christine Behle: Die Stimmung ist wirklich schlecht. Die Beschäftigten sind wütend und haben Angst, was mit ihnen passiert. Viele haben überhaupt keine Erfahrung mehr mit Bewerbungsverfahren. Und gerade die älteren, langjährig beschäftigten haben Angst, ob sie überhaupt einen Job kriegen. Durch die Jobmessen, die es nun für die Beschäftigten gibt, und das Büro der Arbeitsagentur, das heute eröffnet hat, wird jetzt einfach realistischer und greifbarer, was gerade passiert – dass der Arbeitsplatz weg ist und das Unternehmen, mit dem sich die Beschäftigten identifizieren, demnächst Geschichte sein wird.

Sie fordern auch eine Transfergesellschaft. Air Berlin schreibt seit Jahren Verluste, das Ende war absehbar. Wir erklären Sie dem Steuerzahler, dass nun abermals der Staat mit in die Verantwortung genommen werden soll?
Das Transferkurzarbeitergeld ist zunächst ein Instrument aus dem Sozialgesetzbuch. Für diese Regelleistung wird nicht der Steuerzahler in die Pflicht genommen, sondern die Versicherten, die über ihre Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Wir wollen aber, dass auch der Staat etwas beiträgt. Unsere Forderung insbesondere an die Bundesländer ist, dass sie eine solche Transfergesellschaft kofinanzieren. Air Berlin kann dieses Geld nicht alleine aufbringen. Deswegen haben wir die Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bayern – die größten Standorte von Air Berlin – angeschrieben und um einen Beitrag gebeten. Dieses Geld vom Steuerzahler wäre gut investiert, da es um gut qualifizierte Beschäftigte geht.

Die Bundesregierung hat Air Berlin im Sommer schon einmal mit einem 150-Millionen-Euro-Notfallkredit unter die Flügel gegriffen. Das hat Zeit für einen geregelten Übergang gebracht – sonst wäre es sofort aus gewesen.
Von diesem geregelten Übergang hatte in erster Linie das Unternehmen etwas. Das Geld wurde nicht geschenkt, sondern der Kredit muss teuer zurückbezahlt werden – was in dieser Zeit auch ein gutes Geschäft für die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) ist. Vorrangig haben zudem die Fluggäste profitiert, weil sie aus dem Urlaub nach Hause geflogen werden konnten.

Die Insolvenz von Air Berlin hat Reiseveranstaltern Kosten und Mühen beschert. Müssen sich Pauschalurlauber nach der Übernahme großer Teile der Airline durch Lufthansa nun auf steigende Preise einstellen?

Aber auch die Beschäftigten, denn sie hätten ansonsten von einem Tag auf den nächsten auf der Straße gestanden.
Keine Frage, der Kredit hat die Möglichkeit für die Beschäftigten verlängert, neue Stellen zu finden. Aber es war auch nicht wahnsinnig viel mehr Zeit, denn sie wurden im letzten Monat weiterhin stark gebraucht, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Die Lufthansa, die den größten Teil von Air Berlin kauft, hat zugesagt, rund 1500 Beschäftigte von Air Berlin zu übernehmen und weitere 1500 Stellen zu schaffen. Ist das nicht ein fairer Kompromiss?
Darunter sind etwa 1000 Beschäftigte aus Österreich von der bisherigen Air-Berlin-Tochter Niki, die Lufthansa ebenfalls kauft. Da bleiben gerade einmal rund 450 von der Luftfahrtgesellschaft Walter, die sicher übernommen werden. So fair ist der Kompromiss nun auch wieder nicht. An einem Kurz- und Mittelstreckenflugzeug hängen im Schnitt 40 Beschäftigte. Der Personalbedarf ist also da. Da die Lufthansa mit den Flugzeugen auch die Start- und Landerechte kauft, hätte sie zumindest für einen Teil der Beschäftigten eine verbindliche Übernahme anbieten können.

Jetzt auch noch Alitalia? Lufthansa hat nach dem Air-Berlin-Deal erneut den Finger für eine marode Fluggesellschaft gehoben. Dabei sollen unter anderem rund 6000 Jobs wegfallen.

Der Unterschied ist: Niki ist profitabel. Die Beschäftigten von Air Berlin wissen seit Jahren, dass sie für ein chronisch defizitäres Unternehmen arbeiten. Musste ihnen nicht klar sein, dass ihre Jobs nicht auf ewig gesichert sind?
Wer jedes Jahr wieder hört, dass es das letzte sein kann, dem ist doch klar, dass das Unternehmen nicht auf Dauer Bestand haben wird. Trotzdem ist es ein Schock, wenn es dann passiert. Man muss aber auch sagen: Die Beschäftigten können am wenigsten für die schwierige Situation. Bei Air Berlin beträgt der Anteil der Personalkosten am Gesamtumsatz zwölf Prozent, bei der Lufthansa 23.

Und was ist Ihre Hoffnung als Gewerkschaft: Wie viele der 8600 Beschäftigten werden die Käufer übernehmen?
Wir hoffen, dass die Lufthansa ihrer Ankündigung, 3000 Menschen eine Chance zu geben, Taten folgen lässt. Abzüglich der 1000 Arbeitsplätze aus Österreich wären das 2000 Arbeitsplätze in Deutschland. Und da muss dann auch klar sein, dass sie wirklich Ex-Air-Berliner einstellen. Völlig offen ist, was mit den rund 1000 Beschäftigten in der Air-Berlin-Technik passiert. Ende dieser Woche tagt der Gläubigerausschuss. Meines Wissens gibt es konkrete Übernahme-Angebote für die Technik-Sparte. Aus der Verwaltung von Air Berlin werden sich alle Beschäftigten anderweitig bewerben müssen. Eine Transfergesellschaft mit Bewerbungstraining und Maßnahmen zur Qualifizierung ist dann das letzte Mittel.

Wie geht es weiter für die Mitarbeiter der insolventen Air Berlin? Bis zu 3000 der etwa 8000 Beschäftigten können zur Lufthansa wechseln. Für Tausende andere ist die berufliche Zukunft weiter ungeklärt.

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