Die Überraschung saß. Am Dienstagnachmittag präsentierte Air Berlin einen neuen Verwaltungsratschef und damit den Nachfolger von Joachim Hunold. „Eigentlich dachten alle, der Achim macht das noch, bis die Lufthansa im Herbst die Reste unseres Ladens kauft“, so ein Mitarbeiter.
Stattdessen berief das Unternehmen heute den Bahnmanager Gerd Becht auf den Posten.
Auf den ersten Blick ist Becht für seinen neuen Job als Verwaltungsratschef bei Air Berlin nicht so recht qualifiziert. Nicht nur dass dem 65-Jährigen die Erfahrung als Unternehmenslenker fehlt. Er hat in seiner Zeit als Rechtsvorstand der Deutschen Bahn weltweit nach Kräften Fluglinien verklagt, weil sie der Bahnspeditionstochter Schenker zu viel Geld für Luftfracht abgeknöpft hat. „Und auch in der Berliner Politik besitzt er nicht so viel Rückgrat, dass er bei Bund und Land Hilfen in Form von Geld oder Rückendeckung loseisen könnte, falls es mal eng wird“, so ein Kenner der politischen Szene.
Skytrax-Ranking: Die besten Airlines der Welt
Hainan Airlines
Vorjahr: Rang 12
Etihad Airways
Vorjahr: Rang 6
Lufthansa
Vorjahr: Rang 10
EVA Air
Vorjahr: Rang 8
Cathay Pacific
Vorjahr: Rang 4
Emirates
Vorjahr: Rang 1
ANA All Nippon Airways
Vorjahr: Rang 5
Singapore Airlines
Vorjahr: Rang 3
Qatar Airways
Vorjahr: Rang 2
Doch auf den zweiten Blick ergibt die Berufung des Volljuristen Sinn. Denn der Anwalt mit einer US-Zulassung bringt in einem anderen Bereich jede Menge Wissen mit: „Er ist ausgewiesener Experte für Restrukturierungen und Mergers and Aquisitions. Er wird der Air Berlin mit seiner Erfahrung frische Impulse geben“, so die Botschaft von Air-Berlin-Vorstandschef Thomas Winkelmann. Wem das zu unklar ist: Becht ist Spezialist für das Verkaufen von Unternehmen und soll hier für mehr Schwung sorgen.
Das ist auch bitter nötig. Denn Air Berlin braucht dringen einen neuen Partner. Die Schulden und das negative Eigenkalital summieren sich auf gut drei Milliarden Euro. Bereits im ersten Quartal dieses Jahres hat die Linie jeden Tag rund drei Millionen Euro verloren. Und im zweiten Quartal dürfte es kaum besser gelaufen sein. Wegen der vielen organisatorischen Pannen durch verlorenes Gepäck und abgesagte Flüge hat die Linie so viele Passagiere verärgert, dass die Zahlen kaum besser sein dürften. Winkelmann wird die Zahlen zwar erst im August vorstellen. „Doch die werden nicht schön, sondern nun ganz schön eng“, so ein Insider.
Da kommt Becht als ein Übernahmespezialist wie gerufen. Er kennt alle Kniffe von Unternehmens-Übernahmen und weiß, wie sich ein Vertrag zum Einstieg von Investoren oder dem Verkauf schnell umsetzen lässt – „und vor allem besser als die juristische Laienschar, die den geplatzten Verkauft der Air-Berlin-Urlaubstochter Niki an Etihad und TUI so grandios vergeigt hat“, sagt der Insider weiter. Dazu hat Brecht als ehemaliger Mitarbeiter der Investmentbank Paribas SA in Paris auch gute Kontakte in die Finanzszene.
Doch Bechts juristischer Sachverstand wird auch in einer zweiten Disziplin gebraucht und zwar fast noch mehr als bei der Übernahme: keine Probleme mit dem Insolvenzrecht zu bekommen.
Mit ihren schlechten Zahlen balanciert Air Berlin schon seit Jahren am Rande des Konkurses. „Und da kann bereits ein kleiner Fehler zu großen juristischen Probleme führen“, so der Insider. Das soll auch einer der Gründe gewesen sein, warum der langjährige Air-Berlin-Chefaufseher Hans-Joachim Körber im Mai überraschend den Job hinwarf.
Besonders wichtig ist in dem Feld die Frage, wann welche Informationen veröffentlicht werden müssen und dass ein Unternehmen bei aller Ehrlichkeit nicht so viel rausgibt, dass es die Investoren beunruhigt oder die Kunden an der eigenen Kreditwürdigkeit zweifeln lässt. Hier trauen Branchenkenner Becht Erfahrungen und Fingerspitzengefühl zu, etwa aus seiner Zeit im Umkreis des notorisch klammen amerikanischen US-Autoherstellers General Motors.
Doch auch wenn Becht den Job beherrscht und am Ende sogar gut macht. Ob er lange Sicht auf dem Posten bleibt, mag keiner beschwören. Zwar erklärte Winkelmann heute, das Unternehmen solle „wieder einen nachhaltig erfolgreichen und sicheren Platz im nationalen wie internationalen Wettbewerb der Airlines einnehmen.“ Doch da sind viele skeptisch. „Selbst wenn der Umbau klappt und wir Niki an Etihad loswerden“, so ein Insider. „Wir sind dann am Ende wahrscheinlich zu klein, um allein zu überleben - und werden dann wohl eher früher als später komplett übernommen werden müssen.“