Air Berlin schrumpft Die Neuordnung der deutschen Flugbranche beginnt

Air Berlin wird aufgespalten und vermietet einen Teil seiner Flotte an die Lufthansa. Die verpasst Billigtochter Eurowings so einen Wachstumsschub, andere Konkurrenten haben das Nachsehen. Was der Deal auslöst.

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Eine Boeing 737 der Lufthansa und Maschinen von Air Berlin Quelle: dpa

Jetzt also der Radikal-Umbau. Nach Jahren der Krise, der gescheiterten Sanierungsversuche und des Gezerres zwischen Unternehmungsführung und Großinvestor Etihad bleibt bei Air Berlin nur noch der Zug an der Reißleine.

Die angeschlagene Fluggesellschaft streicht im Zuge eines umfassenden Konzernumbaus die Flugzeugflotte auf 75 Flugzeuge zusammen. Gut halb so viele wie bisher. Konkurrent Lufthansa soll per Leasing bis zu 40 Maschinen übernehmen und sie hauptsächlich in den Farben der Billigtochter Eurowings fliegen lassen.

Der Deal mit der Lufthansa umfasst das Cockpit- und Kabinenpersonal, die technische Wartung, die Versicherung und die Betriebskosten. Air Berlin will bei der geplanten Vermietung von Flugzeugen an den Lufthansa-Konzern allerdings keinerlei Start-, Landerechte und Strecken mit übertragen. Dies geht aus der Präsentation des Air-Berlin-Vorstands zur Telefonkonferenz an diesem Donnerstag hervor. Die Vereinbarung soll sechs Jahre laufen und mit dem Sommerflugplan am 26. März 2017 beginnen.

Aufstieg und Niedergang von Air Berlin
Kim Lundgren (l), Mitgründer und Präsident der 'Air Berlin Inc.' und Pilot, mit seinem Sohn Shane Lundgren, ebenfalls Pilot bei Air Berlin Inc. Quelle: airberlin
Joachim Hunold Quelle: airberlin
Einstieg ins Linienfluggeschäft Quelle: airberlin
Service an Bord von Air Berlin 2003 Quelle: airberlin
Niki Lauda (2009) Quelle: dpa
Airbus A 320 (2005) Quelle: airberlin
dba Air Berlin Quelle: AP

Die Air-Berlin-Spitze erwartet dafür von der Lufthansa über die Laufzeit des Vertrags Zahlungen von mehr als 1,2 Milliarden Euro. Kosten wie Treibstoff und Flughafengebühren trägt die Lufthansa.

Zudem soll das Air-Berlin-Touristikgeschäft mit 35 Flugzeugen in einen eigenständigen Bereich verlagert werden. Hunderte verlieren durch die Restrukturierungsmaßnahmen ihren Job. Bis zu 1200 Stellen der 8600 Stellen sollen gestrichen werden.

Es ist die größte Neuordnung der deutschen Flugbranche seit Jahren, ein Wachstumsschub für die Lufthansa-Tochter Eurowings und vor allem der verzweifelte Versuch eines Befreiungsschlags von Air Berlin.

Geht alles nach Plan, wird sich Air Berlin in Zukunft auf die Drehkreuze Berlin und Düsseldorf konzentrieren. Der Fokus soll auf Premium liegen sowie auf ausgewählte Mittel- und Langstrecken "zu den wichtigsten europäischen Wirtschaftsstandorten" und weltweiten Langstreckenflügen.

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Der Hansa-Berlin-Deal ist die erwartete Entwicklung. Die langfristigen Folgen sind dennoch schwer absehbar, die Entscheidungen und Motive, die zu dem Deal führten, aber zumindest nachvollziehbar.

Air Berlin werde nun "ein fokussierter Netzwerk-Carrier mit einem klaren Profil", heißt es in der offiziellen Mitteilung des Konzerns. Das klingt besser als Schrumpfkurs oder Kahlschlag; Begriffe, die seit Tagen die Runde machen.

Air Berlin peilt schwarze Zahlen für 2018 an

Dass Air Berlin mit dem Rücken zur Wand steht und offenbar keinen anderen Ausweg mehr sah, lässt sich nicht verschweigen. "Bei dieser weitreichenden Umstrukturierung unseres operativen Geschäfts richten wir uns strategisch neu aus, um Air Berlin eine Zukunft zu eröffnen", so Air-Berlin-Chef Stefan Pichler.

Durch den stetig zunehmenden Marktdruck sehe sich die Fluggesellschaft gezwungen, das "bestehende komplexe Geschäftsmodell" zu ändern.

Deutschlands zweitgrößte Linie steckt tief in Problemen. Das wurde unter anderem bei der Verkündung der jüngsten Quartalszahlen überdeutlich. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum schrumpfte der Umsatz um mehr als neun Prozent auf 971 Millionen Euro – auch weil Air Berlin das Flugangebot gekappt und die Flotte verkleinert hatte. Der Verlust vor Zinsen und Steuern vervierfachte sich nahezu auf 63 Millionen Euro.

Bei Air Berlin läuft es seit Jahren schlecht. Überhaupt hat die Linie in der Unternehmensgeschichte nur einmal, im Jahr 2012, einen Gewinn erwirtschaftet. Das Minus in 2015 betrug satte 446 Millionen Euro. Das Eigenkapital ist seit 2013 negativ. Die Linie hat unterm Strich kein echtes Vermögen mehr und bereits den letzten ihrer Jets verkauft.

Die Fluggesellschaft rechnet nach ihrem angekündigten Kahlschlag auch im kommenden Jahr noch nicht mit einem Gewinn. „Wir erwarten, in 2018 operativ schwarze Zahlen zu schreiben“, sagte Vorstandschef Pichler am Donnerstag in einer Telefonkonferenz.

Pichler war 2015 mit dem Satz "das ist unser letzter Schuss" angetreten, die angeschlagene Linie zu retten. Doch er konnte sich im Ringen mit Großaktionär Etihad nicht durchsetzen. Sein Sanierungsplan scheiterte am Widerstand aus Abu Dhabi.

Lange hielt Etihad die deutsche Linie in der Luft - mal mehr, mal weniger offensichtlich. Hohe Summen flossen, der Einfluss der Geldgeber aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die offiziell mit 29,2 Prozent an dem Unternehmen beteiligt sind, wuchs. "De facto hat Etihad in fast allen Bereichen längst das Sagen", erklären Konzerninsider hinter vorgehaltener Hand.

Air Berlin verkommt zum Zubringer

Doch die Fluggesellschaft aus Abu Dhabi wurde nicht glücklich mit ihrem Investitionsobjekt. Da absehbar ist, dass Air Berlin kaum zur Gewinnmaschine taugt, wollen die Etihad-Oberen wenigstens als Erweiterung des eigenen Netzes und als Zubringer einsetzen. Das erklärt die Art der Aufteilung. Erhalten bleiben schließlich auch die Langstreckenflüge aus Berlin und Düsseldorf, die das Netz der Etihad-Verbindungen ergänzen.

In diese Logik passt auch der zweite, über verschiedene Berichte angedeutet Coup: Das Touristikgeschäft wird in einem eigenständig agierenden, auf Touristik fokussierten Geschäftsbereich zusammengefasst. Insidern zufolge wollen Air Berlin und Etihad den Bereich in einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem Ferienflieger Tuifly des weltgrößten Reisekonzerns Tui bündeln.

Dass Air Berlin nicht nur die Flugzeuge an die Lufthansa abtritt, sondern im Rahmen einer "Wet-Lease-Vereinbarung" auch Cockpit- und Kabinenpersonal, technische Wartung, Versicherung und die Betriebskosten, senkt Kosten und Überkapazitäten deutlich.

Was Air Berlin in der Flotte hat
Air Berlin rühmt sich, ein der jüngsten Flotten Europas zu haben. Durch den regelmäßigen Austausch bleibe man technisch stets auf dem neuesten Stand und könne so gewährleisten, dass die Flotte sparsam, sicher und umweltschonend bleibe – heißt es zumindest auf der Air-Berlin-Homepage. Doch das ist nur die eine Seite: Die Flugzeuge können so häufig ausgetauscht werden, weil Air Berlin die Flugzeuge gar nicht mehr besitzt: Im Juli wurde bekannt, dass die Airline das letzte eigene Flugzeug verkauft hat und nur noch mit geleasten Flugzeugen unterwegs ist. Was alles in Air-Berlin-Lackierung durch die Lüfte fliegt. Quelle: PR
Airbus A319Anzahl: 11Sitzplätze: 150Reichweite: 5.560 Kilometer Der kleinste Airbus in der Air-Berlin-Flotte ist die A319. Stand Ende Juni sind elf Exemplare im Dienst. Quelle: PR
Airbus A320Anzahl: 60Sitzplätze: 180Reichweite: 5.500 Kilometer Das Rückgrat der Air-Berlin-Flotte bildet die A320. Insgesamt 60 Flugzeuge dieses Typs sind in Europa auf der Kurz- und Mittelstrecke unterwegs. Quelle: PR
Airbus A321Anzahl: 23Sitzplätze: 210Reichweite: 5.700 Kilometer Von der gestreckten Version der A320, der A321, hat Air Berlin 23 Exemplare im Dienst. Quelle: PR
Airbus A330Anzahl: 14Sitzplätze: 290Reichweite: 12.300 Kilometer Die A330 hat mit über 12.000 Kilometern die größte Reichweite in der Air-Berlin-Flotte. Folglich kommen die 14 Exemplare vor allem bei den Transatlantikflügen zum Einsatz. Quelle: PR
Bombardier Q400Anzahl: 17Sitzplätze: 74/76Reichweite: 2.522 Kilometer Die Turboprop-Maschinen aus dem Hause Bombardier decken die Kurzstrecken- und Regionalflüge ab. Die Propeller-Maschine ermöglicht es Air Berlin, Frequenzen auf einigen Strecken zu geringeren Kosten zu erhöhen – entweder zwischen kleineren Städten oder als Zubringer zu den Drehkreuzen Berlin und Düsseldorf. Quelle: PR
Aussortiert: Boeing 737-700/-800Anzahl: 5/17Sitzplätze: 144/186Reichweite: 6.110/5.420 Kilometer Zu Hochzeiten hatte Air Berlin bis zu 45 Exemplare aus zwei Varianten der 737-Baureihe von Boeing in Betrieb. Um die Wartungs- und Ausbildungskosten zu senken, entschied die Airline allerdings 2014, die Boeing-Flieger zu verkaufen und künftig einheitlich auf Airbus zu setzen. Die Auslistung sollte Ende 2016 abgeschlossen sein. Quelle: PR

Des einen Leid, des anderen Vorteil. Auf einen Schlag kann die Lufthansa, die kurz zuvor die Komplettübernahme der bisherigen 45-Prozent-Beteiligung Brussels Airlines verkündete, mit dem Leasing-Deal ihre Billigtochter Eurowings kräftig ausbauen. Das ist dringend nötig, denn für das anvisierte rasche Wachstum braucht die Linie schlicht mehr Flugzeuge und Verbindungen. Die Flotte von derzeit 90 Jets kann Eurowings nun deutlich aufstocken. Das wirtschaftliche Risiko bleibt dabei für die Verantwortlichen angenehm überschaubar.

Dass die Lufthansa den Deal will, liegt aber nicht ausschließlich am Flugzeug-Zugewinn. Airline-Chef Carsten Spohr schlägt anderen, verdammt lästigen Konkurrenten ein Schnippchen. Denn die Vergangenheit zeigt: Wo Air Berlin schwächelt, rücken Angreifer in Form von Billig-Airlines wie Ryanair, Easyjet oder Transavia nach, die der Lufthansa die Kunden streitig machen. "Jemand muss in die Bresche springen", gab sich Ryanair-Chef Michael O'Leary zuletzt im Interview mit der Zeit streitlustig.



Die Gefahr scheint vorerst verringert. Nun muss die Lufthansa hoffen, dass ihr nicht doch Wettbewerbshüter den Deal mit Auflagen vermiesen. Die behördliche Genehmigung des Plans steht schließlich noch aus - und Stolpersteine gibt es:  Der neue Bund wäre mit Abstand Marktführer in Hamburg, Köln, Stuttgart und München - und Monopolist bei allen Routen zwischen den vier Orten sowie auf vielen Ferienstrecken ans Mittelmeer.

Schon im Vorfeld wurde deshalb die Sorge laut, Lufthansa könnte die Marktmacht ausnutzen. "Wir fordern weiterhin stabile Ticketpreise", sagte Dirk Gerdom, Chef des deutschen Geschäftsreiseverbands VDR im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.




Mit Material von dpa

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