Der jüngste Angriff auf den stationären Handel kommt klobig daher: Eine 20-Kilo-Box, je nach Kundenwunsch gefüllt mit Kaffee, Katzenfutter und Kondomen oder rund 4000 anderen Drogerieartikeln und Lebensmitteln. Amazon Pantry hat der US-Versandgigant das Angebot getauft - und damit nebenbei die deutsche Handelszunft gehörig aufgescheucht. Schließlich gilt Pantry als Vorbote von Amazon Fresh, einem Lieferdienst für frische Lebensmittel, der im kommenden Jahr in Deutschland starten dürfte.
Doch nicht nur Amazon bringt die Händler in Wallung. Dutzende junger Start-ups versuchen derzeit den mit Abstand größten Brocken im deutschen Handel zu kapern, das 250 Milliarden Euro schwere Geschäft mit Lebensmitteln. Der Online-Anteil liegt bisher erst bei appetitlosen 0,6 Prozent.
Doch die Erwartungen sind immens. So haben Investoren den Berliner Kochboxenversender Hellofresh in der letzten Finanzierungsrunde bereits mit schwer verdaulichen 2,6 Milliarden Euro bewertet. Ein Hype kocht hoch, der die Marktbedingungen im deutschen Lebensmittelhandel großteils ignoriert.
Das sind Amazons nächste Projekte
Unter Amazon Dash versteht der Internetkonzern eine Art Einkaufsliste auf Knopfdruck. Die kleinen Aufkleber mit Taste können die Kunden einfach im Haus an das Waschmittel oder an das Hundefutter kleben - und wenn die Packung leer ist, per Knopfdruck schnell bei Amazon eine neue bestellen. Bisher ist der Service nur für Kunden des Premiumdienstes Amazon Prime in den USA und in Großbritannien erhältlich - für 4,99 US-Dollar je Button.
Mit "Amazon Handmade" macht der Online-Händler Anbietern wie Etsy oder DaWanda Konkurrenz. Auf dem Marktplatz will Amazon Künstler und Bastler versammeln, die individualisierbare Produkte verkaufen: Selbstgeschneiderte Kleider und Taschen, Schmuck, Armbänder, Möbel. Die Plattform befindet sich in den USA noch im Aufbau. Wer dort verkaufen will, kann sich jetzt schon bewerben. Allerdings kostet ein professioneller Verkäufer-Account knapp 40 Dollar im Monat, und Amazon will bei jeder Bestellung zwölf Prozent Provision einstreichen. Bei anderen Plattformen sind diese Konditionen weitaus günstiger für die Verkäufer - allerdings erreichen sie dort wahrscheinlich nicht so viele Kunden. Ob und wann Amazon Handmade auch nach Deutschland kommen soll, ist nicht bekannt.
Über seine Plattform "Amazon Home Service" vernetzt der Online-Händler in den USA Techniker, Handwerker und Trainer mit seinen Kunden in den Großstädten. Wer bei Amazon einen neuen Fernseher kauft, kann also gleich einen Techniker beauftragen, der den Fernseher anschließt und einrichtet. Auch Yoga-Stunden und Gitarren-Lehrer lassen sich über die Plattform buchen. Bis zum Jahresende will Amazons einen Service in 30 amerikanischen Großstädten anbieten.
In der Amazon-Heimatstadt Seattle fährt seit diesem Sommer der "Treasure Truck" - ein Lkw, vollgeladen mit Sonderangeboten. Kunden können die Waren auf dem Truck per App bestellen und direkt liefern lassen - zum Beispiel ein Surfboard für den Preis von 99 Dollar anstatt den üblichen 499 Dollar.
Prime Music ist der Musik-Streamingdienst von Amazon, eine Konkurrenz zu Spotify oder Apple. Wer Mitglied beim Amazon Premiumdienst Prime ist, kann den Service in den USA und auch in Großbritannien ohne Zusatzkosten nutzen. Allerdings verfügt Amazon bisher nur über eine Bibliothek von etwa einer Millionen Songs.
Amazon begnügt sich schon lange nicht mehr, Medien zu verkaufen - der Online-Händler produziert sie mittlerweile auch selbst. Über seinen Streamingdienst zum Beispiel hat Amazon die ersten Folgen der Serie "The Man in the High Castle" veröffentlicht. Darin geht es um die Frage: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Auch einen eigenen Kinofilm mit dem Titel "Elvis & Nixon" produziert Amazon. Was danach kommt? Wahrscheinlich ein eigenes Videospiel. Laut Medienberichten hat Amazon Entwickler von bekannten Spielen wie World of Warcraft oder Halo verpflichtet.
Denn nirgendwo sonst in Europa ist das Netz von Drogerien und Discountern, Super- und Verbrauchermärkten ähnlich dicht gespannt wie in Deutschland. In weltweit kaum einer Region sind die Margen mickriger und die Verbraucher knauseriger. Zum anderen haben die Chefs vieler Handelsketten die Verwerfungen etwa im Buchhandel genau beobachtet und wollen nun mit Verve verhindern, dass die Onliner ihrer Kundschaft nach den Kochbüchern auch noch die Zutaten liefern. Sie rüsten zum Gegenschlag.
So startete Mitte September der Online-Ableger der norddeutschen Handelskette Bünting - Mytime.de - eine Kooperation mit dem Rezepte-Portal Chefkoch.de. Die Idee: Statt wie bei Hellofresh vorgegebene Rezepte nachzubrutzeln, können digitalaffine Hobbyköche die Chefkoch-Datenbank nach eigenem Gusto durchstöbern.
Per Klick landen die Zutaten des Wunschgerichts in einen elektronischen Warenkorb. Tags drauf wird aufgetischt. Rund 200 der beliebtesten Chefkoch-Rezepte wurden bereits in das Mytime-Sortiment integriert. Ein Kochduell zwischen den Norddeutschen und Hellofresh bahnt sich an.