Ankerherz-Verlag Der Bestseller, den das Meer gemacht hat

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Geschäftsmodell: Tolle Persönlichkeiten plus Ghostwriter

Für die Bücher heuert der Verlag Ghostwriter an, meist Journalisten. Sie erzählen die Geschichte der Protagonisten, dazu lichten Fotografen sie in persönlichen Bildern ab. Auch äußerlich werden die Bücher aufwendig gestaltet. Das verantwortet Julia Krücken, Ehefrau des Verlagsgründers, Geschäftsführerin und ehemalige Fotojournalistin. Sie sorgt für edles Papier aus nachhaltiger Herstellung, lässt in Deutschland drucken, um bei Problemen schnell vor Ort zu sein, ummantelt die Bücher mit Leinen und lässt die Frontseite prägen.

Bibliophile spüren es sofort: Die Krückens lieben Bücher. Doch diese Liebe kostet. Zurzeit ist kaum ein Buch in den Bestsellerlisten so teuer wie Kapitän Schwandts „Sturmwarnung“. 29,90 Euro. Das ist schon ein Wort.

Dass sich die Bände trotzdem gut verkaufen, wundert Literaturexperten wie Rolf-Bernhard Essig nicht. „Der Trend zur Personalisierung hält an, nicht nur in der Presse und im Fernsehen. Auch die Literatur bricht Themen heute gerne in Einzelschicksale herunter“, sagt Essig, dessen Vater selbst Seefahrer war.

Als nüchternes Sachbuch sei ein Thema wie „Der Wandel der Seefahrt im vergangenen Jahrhundert“ vielen Lesern erst mal zu sperrig. Erzählen aber die Kapitäne von ihren Erlebnissen, von den Veränderungen an Bord, von der Entromantisierung ihrer Profession, werde von dem Buch sogleich angenommen, es lese sich flüssig, spannend und informativ zugleich. Hinzu kommt, dass das Sujet der Ferne, des Aufbruchs und des Abenteuers offenbar besonders leicht verfängt. „Seefahrer faszinieren uns“, sagt Essig, weil „sie immer wieder in eine Welt aufbrechen, die wir nicht kennen und die wir uns deshalb umso fantastischer, bedrohlicher oder romantischer ausmalen können“.

Die beliebtesten Bücher seit Erfindung des Buchdrucks

Entsprechend viele Helden zur See kennt die Literatur, von der Irrfahrt des Odysseus bei Homer über Jack Londons „Seewolf“ bis hin zu Pi, dem Jungen aus Yann Martels „Schiffbruch mit Tiger“. Immer geht es um das Wagnis, es als Mensch mit der Natur aufzunehmen, hinauszufahren auf das offene Meer, den Elementen zu trotzen – und zu überleben. Insofern spiele der Ankerherz Verlag mit seinen Kapitänen geschickt mit einem uralten Menschheitsthema, sagt Essig – und mit der Differenz, die zwischen dem Abenteuer von einst und dem effizienten Containerschiff-Alltag von heute liegt: Je größer die modernen Schiffe, desto größer die Verklärung der Koggen, Windjammer und Dieselkähne.

Tatsächlich wirken Krückens maritime Helden wie aus der Zeit gefallen. Weil sie für den Job hohe Risiken eingehen – anders als die meisten Berufe in den Industrienationen bleibt die Seefahrt aller technischen Hilfsmittel zum Trotz gefährlich. Und weil sie körperlich hart arbeiten. Mut und Kraft sind immer noch wichtige Zutaten für überzeugende Helden, sagt Essig.

Zumindest bilden sie die Basis des Ankerherz-Rezepts. Helden des Alltags also, Schweiß, Blut und Tränen, Männlichkeit à la Hemingway: neben Kapitänen auch Boxer und Zechenarbeiter. Und natürlich starke Frauen. Eine eigensinnige Person wie die Malerin Françoise Gilot etwa, die Pablo Picasso verließ, um nicht im Schatten des Genies zu ersticken („Die Frau, die Nein sagt“). Ein Sturkopf wie der New Yorker Polizist Edward Conlon, der Mordversuchen trotzt, Bandenkriege bekämpft und dabei den Glauben an das Gute nicht verliert („In den Straßen der Bronx“). Oder die Erfolgsgeschichte des ehemaligen Bundesligafußballers Bobby Dekeyser, der ein millionenschweres Unternehmen hochzieht und dennoch dem Geldbesitz abschwört („Unverkäuflich!“).

Diese kulturellen Highlights bietet 2016
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Ein weiterer Trumpf des Ankerherz Verlags: Er weiß die persönliche Nähe seiner Figuren im Umgang mit den Kunden zu beglaubigen. Noch heute verpacken die Mitarbeiter in einer alten Tanzhalle in Hollenstedt, 40 Kilometer südwestlich von Hamburg, jedes Buch einzeln, wenn es bei Ankerherz direkt bestellt wird. Schlagen es in Seidenpapier ein und legen Stammkunden einen handgeschriebenen Gruß dazu. Lädt der Verlag zur Lesung in eine Hamburger Hafenkneipe, liest der Chef selbst.

Und so hat es sich weit herumgesprochen, dass der Verlag Lebensgeschichten überzeugend inszeniert. Die Zahl der unverlangt eingesandten Manuskripte steigt, auch die von Stars und Sternchen. Doch das Hauptaugenmerk der Krückens liegt auf dem Ausbau des Kerngeschäfts: Abenteuer und Seemannsgarn. Wer mag, kann bei Ankerherz neuerdings den Whiskey zum Buch bestellen – oder gleich eine Schiffsreise.

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