Autonom fahrende Züge Deutsche Bahn testet Loks ohne Führer

Die Deutsche Bahn will bald Züge ohne Lokführer aufs Gleis setzen - noch bevor die Autoindustrie fahrerlose Autos auf die Straße bringt.

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Ein Güterzug auf einem Gleis Quelle: dpa

Immer dann, wenn die Lokführer in den vergangenen Jahren die Deutsche Bahn bestreikten, erreichten den Konzern wütende Briefe und Fragen von mitunter genervten Journalisten: Ob autonom fahrende Züge denn in Zukunft eine Alternative seien. Die Deutsche Bahn winkte stets ab: „Kein Thema“.

Doch die Haltung des Konzernmanagements hat sich inzwischen um 180 Grad gedreht. „Ja, wir können uns vorstellen, dass in Zügen irgendwann keine Lokführer sitzen“, sagte Bahnchef Rüdiger Grube am Mittwoch auf einem Termin in Berlin. Das werde nicht morgen sein. „Aber wir wollen nicht erst nach der Automobilindustrie autonom fahren, sondern vorher."

Die wichtigsten Baustellen der Bahn 2015

Grube erhöht damit den Druck im Konzern, die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, und riskiert damit hausinternen Krach mit den beiden Bahn-Gewerkschaften EVG und GDL, die Lokführer in ihren Reihen vertreten und autonom fahrende Züge wegen Sicherheitsbedenken ablehnen.

Die Bahn hat sogar erste konkrete Pilotprojekte in Angriff genommen. So werden autonome Systeme bei der Erzgebirgsbahn getestet. Zudem sollen ab 2016 im Güterverkehr Streckenloks mit entsprechender Technik ausgerüstet werden. Ein weiteres Feld seien automatische Rangierloks, betonte Grube in Berlin. „Wir arbeiten völlig ergebnisoffen“, so der Bahnchef, im Klartext: alles ist möglich.

In vielen Städten gibt es schon autonome Bahnen

Autonome Bahnsysteme gehören in vielen Städten bereits zur Realität, beispielsweise U- und S-Bahnen in Lille, Vancouver und London. In Kopenhagen fahren Züge ohne Fahrer vom Flughafen in die Innenstadt. Auch die Metros in Dubai, Rom und Wien funktionieren teils ohne Steuermann. Auch in Nürnberg fährt die U-Bahn-Line 3 seit 2008 ohne Fahrer. München hat ein paar U-Bahn-Strecken immerhin vorgerüstet.

Wer nach Grubes Umbau im Bahn-Vorstand sitzt
VorstandsvorsitzenderRüdiger Grube (64) ist seit Mai 2009 Vorsitzender des Vorstands. Sein Vertrag läuft bis Ende 2017. Quelle: dpa
FinanzvorstandRichard Lutz (51), zuständig für Finanzen und Controlling, verantwortet zusätzlich für die internationale Bustochter Arriva und die Gütertransporte jenseits des Schienenverkehrs zuständig sein (Lastwagen, Schiff, Flugzeug). Quelle: REUTERS
Vorstand für Infrastruktur und DienstleistungenVolker Kefer (60) ist seit Herbst 2009 im Vorstand. Er fungiert inzwischen als Stellvertreter Grubes und wie zuletzt das Ressort Infrastruktur und Dienstleistungen leiten, ergänzt um Teilbereiche der Technik. Die Aufgaben der Techniksparte wurden nach dem Weggang ihrer Chefin Heike Hanagarth verteilt Quelle: dpa
PersonalvorstandUlrich Weber (66 ), Personalvorstand, ist aus dem langen Tarifkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL bekannt. Er durfte bleiben. Quelle: dpa
RechtsvorstandRonald Pofalla (56), löste Gerd Becht (63) als Konzernvorstand für Regeltreue, Datenschutz, Recht und Konzernsicherheit ab. Außerdem behält der Ex-Kanzleramtschef seine bisherige Aufgabe bei der Bahn: die Kontaktpflege zu Politikern im Bund und bei der EU in Brüssel. Quelle: dpa
Vorstand Personen- und GüterverkehrBerthold Huber (52), war bis August 2015 Chef der Bahntochter DB Fernverkehr. Seitdem leitet er als Vorstandsmitglied nicht nur den gesamten Personenverkehr, sondern auch die Güterbahn. Quelle: dpa
AusgeschiedenUlrich Homburg (60) schied im August 2015 als Vorstand für den Personenverkehr aus dem Gremium aus. Berthold Huber ersetzt aber nicht nur Homburg, sondern auch... Quelle: dpa

Doch anders als bei der U- und S-Bahn will die Deutsche Bahn autonome Züge auch auf das deutsche Schienennetz setzen, das durch Mischverkehr geprägt ist. Dort kreuzen sich Güterbahnen, Nahverkehrsbahnen und ICE-Züge. Das macht die technischen Voraussetzungen komplexer als bei geschlossenen Systemen wie einer U-Bahn.

Der Staatskonzern hat mit den Pilotprojekten eine neue Ära eingeläutet. Grube will die Möglichkeiten der Digitalisierung konsequent nutzen. Das gilt auch für die Daten im Schienennetz. Lange Zeit bekämpfte die Bahn Unternehmen und Start-ups, die auf Verkehrsdaten des Konzerns zugreifen wollten, um damit etwa neue Apps zu entwickeln. Nicht einmal die Daten aus den öffentlich in Schaufenstern ausgehängten Fahrplänen wollte die Bahn rausgeben. „Wir stellen Infrastrukturdaten neuerdings ins Netz“, so Grube, „da waren wir früher sehr zurückhaltend“.

Ideen für neue Apps und nützliche Anwendungsmöglichkeiten will die Bahn nun auch von ihren Kunden einholen. Die Bahn hat deshalb eine Plattform unter dem Namen Ideenschmiede gestartet. Bahnreisende können dort eintragen, wo und wie die Bahn besser werden müsste. Im Rahmen eines Wettbewerbs werden die Projektideen analysiert, ausgewertet und im besten Fall auch umgesetzt.

Wie so ein Projekt aussehen könnte: Künftig wolle die Bahn rund 3300 Aufzüge und Rolltreppen mit Sensoren ausrüsten, die Live-Daten dann ins Internet übertragen, so Grube. Ein App werde zudem demnächst anzeigen, ob sie funktionieren.

Wer das allerdings wirklich braucht, hat Grube nicht verraten.

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