Bahn-Gewerkschaften EVG und GDL fahren weiter zweigleisig

Der längste Streik der Bahn-Geschichte ist vorbei, Zeichen für Bewegung im Tarifkonflikt fehlen. Auch eine Kooperation der beiden konkurrierenden Gewerkschaften ist längst nicht in Sicht.

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Stimmen zum längsten Bahnstreik der Geschichte
Fast eine Woche lang wollen die Lokführer der Bahngewerkschaft GDL streiken. Es ist der bislang längste Ausstand im Tarifkonflikt bei der Bahn. Bahnreisende müssen sich auf starke Einschränkungen einstellen, auch im Güterverkehr drohen massive Verzögerungen. „Maßlos und unangemessen“ nennt die Bahn das Vorgehen der GDL. Das sagen führende Köpfe aus Politik und Wirtschaft zum Ausstand der Lokführer. Quelle: dpa
Eric SchweitzerDIHK-Präsident Eric Schweitzer befürchtet durch den langen Streik hohe Kosten für die Wirtschaft. „Lager laufen leer, die Produktion stottert, es kann sogar zu Produktionsausfällen kommen. Alles in allem drohen Streikkosten von einer halben Milliarde Euro“, sagte Schweitzer dem Handelsblatt (Dienstagausgabe). Der Bahnstreik koste die Wirtschaft nicht nur Nerven, sondern richtig Geld. „Wenn der Streik wie angekündigt sechs Tage dauert, kommt die Lieferkette ins Stocken“, befürchtet Schweitzer. Quelle: dpa
Sigmar GabrielDie neue Streikankündigung der Lokführer-Gewerkschaft GDL ist in der Regierungskoalition auf scharfe Kritik gestoßen. Der für knapp eine Woche angekündigte Streik werde Pendler und Reisende, aber auch die Deutsche Bahn und die gesamte deutsche Wirtschaft insgesamt schwer treffen, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu "Bild". "Alle Beteiligten müssen sich fragen, ob der Schaden, den dieser Ausstand anrichten könnte, noch in einem vernünftigen Verhältnis zur eigentlichen Auseinandersetzung steht." Nötig seien ernsthafte Verhandlungen. Quelle: dpa
Alexander DobrindtBundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, die Grenze der Akzeptanz dieses Tarifstreits in der Bevölkerung sei zunehmend erreicht. "Ich habe Verständnis dafür, dass viele Bürger über das Ausmaß des Streiks verärgert sind", so Dobrindt. Quelle: dpa
Michael FuchsUnd noch ein Koalitionspolitiker schoss scharf gegen die Lokführergewerkschaft: Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Fuchs (CDU), kritisierte: "Die GDL wird zu einem Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland." Die volkswirtschaftlichen Folgeschäden seien gewaltig. Quelle: dapd
Anton HofreiterDiese scharfen Vorstöße kritisiert Oppositionspolitiker Anton Hofreiter. Die Bundesregierung müsse moderierend auf den Tarifkonflikt bei der Bahn einwirken, so der Grünen-Fraktionschefs. "Ich bin der Meinung, dass die Bundesregierung sich nicht verschärfend einmischen sollte als Eigentümerin der Bahn, sondern moderierend einmischen und versuchen, den Tarifkonflikt mit beizulegen", sagte Hofreiter dem Sender NDR Info. Quelle: dpa
Klaus DauderstädtIn den eigenen Reihen wächst derweil der Druck auf die Lokführer-Gewerkschaft GDL. Der Vorsitzende des zuständigen Dachverbands Deutscher Beamtenbund (dbb) macht sich für eine Schlichtung stark. "Wenn dieser Streik nicht zu einem Verhandlungsergebnis führt, wird es sinnvoll sein, auf einen unabhängigen Dritten zurückzugreifen", sagte ddb-Chef Klaus Dauderstädt der "Süddeutschen Zeitung". Ein solches Schlichtungsverfahren lehnt die Gewerkschaft bislang ab. Die GDL ist Mitglied des dbb. Quelle: dpa

Im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn arbeiten Lokführergewerkschaft GDL und die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG weiterhin nicht zusammen. Unmittelbar nach Ende des bislang längsten GDL-Streiks beschloss die Tarifkommission der EVG am Montag in Fulda erwartungsgemäß, an den eigenen Forderungen festzuhalten.

Da GDL und EVG jeweils für ihre Mitglieder in gleichen Berufsgruppen Abschlüsse erzielen wollen, zogen sich die Gespräche bislang in die Länge. Jede Gewerkschaft musste befürchten, dass ihr Ergebnis von der anderen - notfalls mittels Streik - überboten wird. Die Bahn würde dann zwar wohl den höheren Abschluss auf alle Beschäftigten ausdehnen. Die Gewerkschaft mit dem ersten Verhandlungsergebnis stünde dann aber als Verlierer im Konzern da.

Die unterschiedlichen Forderungen der beiden Gewerkschaften in den parallelen Verhandlungen sind das Haupthindernis für übereinstimmende Tarifverträge, wie sie das Unternehmen anstrebt. Während die EVG vor allem mehr Gehalt für die Beschäftigen erreichen will, verlangt die GDL kürzere Arbeitszeiten und günstigere Sozialvorschriften. Von überproportionalen Gehaltssteigerungen für die unteren Lohngruppen, wie von der EVG verlangt, wollen die Lokführer hingegen nichts wissen.

Fahrgastrechte während des Bahnstreiks

Die EVG halte an ihren Grundsätzen fest, erklärte die Verhandlungsführerin Regina Rusch-Ziemba. „Wir wollen einen Tarifvertrag, der für alle Beschäftigten gleichermaßen gilt und der vor allem für alle Berufsgruppen das gleiche Ende der Laufzeit vorsieht. Eine Spaltung des Belegschaft wird es mit der EVG nicht geben“. Die Bahn müsse bei den Verhandlungen an diesem Dienstag in Frankfurt noch deutlich nachlegen. „4,7 Prozent mehr bei einer Laufzeit von 29 Monaten sind für uns nicht akzeptabel, ebenso ist der angebotene Mindestbetrag von 75 Euro viel zu niedrig.“ Die EVG fordert 6 Prozent mehr, mindestens aber 150 Euro im Monat mehr.

Immer mehr rücken in dem Streit die rund 3000 Lokrangierführer in den Fokus, die nach Forderung der GDL das gleiche Geld wie die Streckenlokführer erhalten sollen. Die EVG, die nach eigenen Angaben mindestens 75 Prozent dieser Berufsgruppe als Mitglieder hat, will hingegen für die Beschäftigten ein neues, besser bezahltes Berufsbild des Transportlogistikers schaffen. Die Kollegen müssten längst nicht mehr nur die Wagen zusammenkoppeln, sondern hätten zahlreiche weitere Aufgaben übernommen, die bislang aber nicht vergütet würden, sagte der EVG-Sprecher. Bislang hat ausschließlich die EVG Tarifverträge für die Lokrangierführer abgeschlossen.

Für die GDL birgt eine solche Zuspitzung wohl die größere Gefahr als das Tarifeinheitsgesetz, das noch im Sommer beschlossen werden soll. Da die Regierung damit den Einfluss von Spartengewerkschaften begrenzen will, vermutet die GDL, dass die Bahn die Verhandlungen verzögert. Schließlich habe sie mit dem Gesetz im Rücken dann eine bessere Position.

Experten sind allerdings skeptisch: "Ob diese Wirkung eintritt, die man sich vom Tarifeinheitsgesetz verspricht, halte ich keineswegs für ausgemacht", sagt der Arbeitsrechtler Stefan Greiner von der Uni Bonn. "Die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes steht auf ganz wackligen Beinen." Schließlich gehe es hier um ein Grundrecht. Zudem lasse der Gesetzentwurf offen, ob Streiks einer kleineren Gewerkschaft damit wirklich verhindert werden könnten. Arbeitsgerichte müssten auch dann über die Verhältnismäßigkeit der Streiks entscheiden und würden diese nach seiner Einschätzung eher bejahen.

Eine Lösung über eine Schlichtung, wie von Regierung und Bahn gefordert, will die GDL allerdings auch nicht. Und Greiner hat dafür Verständnis. In einem solchen Verfahren könne ihr die Vertretung für eine Berufsgruppe abgehandelt werden, womit sie auf ein Grundrecht verzichten müsste. "Dann ist es auch konsequent, dass eine Gewerkschaft sagt, es gehört quasi zu unserem Verfassungsauftrag, für unsere Mitglieder auch Tarifverträge zu schaffen", sagt Greiner.

Der Druck auf die GDL wächst jetzt dennoch: Mit Bahnchef Rüdiger Grube und Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie den Dachverbänden der Gewerkschaften hat sich die höchste Ebene in den Streit eingeschaltet. Die GDL und ihr streitbarer Vorsitzender Claus Weselsky scheinen zunehmend isoliert. Käme jetzt ein attraktiver Abschluss mit der EVG zustande, brächte das die kleinere Gewerkschaft in Zugzwang. Die Strategie von Streik und neuen Verhandlungen mit besseren Angeboten würde so kaum noch funktionieren, da die Bahn sich mit dem EVG-Vertrag für alle Berufsgruppen festgelegt hätte. Ein neuer Streik müsste nach dem Rekord-Ausstand dann noch eine ganz andere Dimension annehmen. Aber nach dem achten Ausstand erwartet auch Arbeitsrechtler Greiner Ermüdungserscheinungen bei den Lokführern: "Sobald ein akzeptables Angebot vorliegt, dürfte die Streikbereitschaft der Mitglieder nachgeben."

Der Bahnverkehr lief am Montag erstmals nach dem am Sonntagmorgen beendeten Lokführerstreik wieder weitgehend normal, wie das Unternehmen berichtete. In der vergangenen Woche sei nur gut jeder zweite geplante Zug gefahren. Verhältnismäßig viele Verbindungen fielen im Fernverkehr aus, wie ein Bahnsprecher am Montag in Berlin sagte. Auf den Langstrecken verkehrte täglich nur ein Drittel der sonst rund 800 Züge. Genau umgekehrt war das Verhältnis im Güterverkehr: Von täglich 3600 Güterzügen sei etwa ein Drittel nicht gefahren. Bei der großen Masse der regionalen Fahrten sei etwa die Hälfte streikbedingt ausgefallen.

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