Hinter den Kulissen des BER
Karsten Mühlenfeld darf das. Er steht vor einer weißen Leuchttafel mit den roten Initialen BER. Neben ihm steht eine Handwerkerleiter, die Decken über ihm sind abgehängt. Seit etwas mehr als einem Jahr ist Mühlenfeld Chef der Berliner Flughäfen. Er hat das Chaos am neuen Hauptstadt-Airport BER nicht zu verantworten. Es muss nur beseitigen, was ihm seine Vorgänger hinterlassen haben. Und so kann er aussprechen, was man sonst so nicht sagen würde. „Als man sich 2012 vom Planer trennte, hätte man die Bauarbeiten stoppen müssen, um neu zu planen“, sagt Mühlenfeld. „Aber Baustilland wollte die Politik vermeiden.“
Ein Satz, der einiges verrät über Deutschlands peinlichste Baustelle. Nicht nur, dass Planung und Bau im Vorfeld von Dilettanten erledigt wurde. Die Fehler wurden anschließend sogar wiederholt. Erst planen, dann bauen - so sollte es zugehen auf den Baustellen dieser Nation. Doch am BER war das anders.
Die Folgen sind bis heute zu spüren. Mühlenfeld hat die WirtschaftsWoche auf einen Rundgang durch den BER mitgenommen: durch die Haupthalle, den Duty-Free-Bereich, die Entrauchungskanäle und Gepäcksortieranlage. Fast überall wird gehämmert, geschweißt und geschraubt. An den Wänden hängen Baupläne. „Vereinzelt müssen wir Planungen noch immer auf den aktuellen Stand bringen“, sagt der 53-Jährige. Vier Jahre nach dem geplanten Eröffnungstermin! Man habe Brandlasten, also brennbare Materialien, an Stellen gefunden, wo sie laut Planfeststellung nicht hätten sein dürfen. Bis heute wird nachgezeichnet.
Am Ziel, den BER in der zweiten Jahreshälfte 2017 zu eröffnen, hält Mühlenfeld weiterhin fest. Er muss es tun. „Wir brauchen den Termindruck“, sagt er. Sonst lassen die Baufirmen wieder Hammer und Schrauber fallen.
BER ist die Lachnummer der Nation
Doch wen interessiert es eigentlich noch, ob der BER 2017 oder 2018 oder 2019 eröffnet? Der Hauptstadt-Flughafen bleibt so oder so die Lachnummer der Nation. Der BER ist Gesprächsthema auf der ganzen Welt. Internationale Medien haben berichtet und konnten kaum glauben, dass so etwas in Deutschland möglich ist.
Doch es war möglich. Der Untersuchungsausschuss des Berliner Landtags hat gerade seinen Abschlussbericht vorgelegt. Drucksache 17/3000, zwei Bände, 1269 Seiten. Wer ist schuld am Totalversagen des Bauprojekts, das den Steuerzahler nun sechs statt zwei Milliarden Euro kosten wird? Am ehesten die damalige Geschäftsführung, also die früheren Flughafenmanager Rainer Schwarz und Manfred Körtgen, heißt es in dem Bericht: „Bereits aus rechtlichen Gründen ist bei der Geschäftsführung eine übergeordnete Verantwortung für den Gesamtverlauf des Projektes anzusiedeln.“ Doch so ganz genau weiß man es nicht. Der Bericht spricht auch von „geteilten Verantwortlichkeiten“ und „kollektiven Wirklichkeitsverlust“. Es durfte nicht wahr sein, was wahr wurde.
Hat der BER überhaupt noch eine Chance?
Die wesentliche Argumente sind: Es tauchen immer neue Probleme auf, die auch hohe Extrakosten verursachen. Niemand könne garantieren, dass der Eröffnungstermin nicht doch noch einmal verschoben werden muss, wenn der nächste Fehler entdeckt werden sollte. Dass eine Reihe weiterer Fehler im Terminal gefunden werden könnte, hält Vize-Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider nach eigenen Worten für möglich. Er lässt dennoch am Eröffnungstermin in der zweiten Jahreshälfte 2017 nicht rütteln. Ursprünglich sollte der BER im Oktober 2011 in Betrieb gehen.
Eine Idee ist, das Terminal zwar stehen zu lassen, aber den Innenausbau noch einmal von vorne zu beginnen. Die zweite Variante wäre, das Hauptgebäude aufzugeben und nebenan ein neues, größeres Abfertigungsgebäude zu bauen. Unabhängig davon halten es mehrere Kritiker des gegenwärtigen Zustands für unentbehrlich, die Flughafengesellschaft in eine Betreiber- und eine Projektgesellschaft zu trennen. Die Projektfirma könnte sich mit aller Kraft um den neuen Flughafen kümmern. Heute muss sich das Unternehmen bei stark wachsender Passagierzahl auch den Betrieb der Flughäfen Tegel und Schönefeld (alt) im Griff behalten.
Es sind Politiker aus der Opposition im Bund und in den Ländern Brandenburg und Berlin, die zumindest dafür plädieren, über einen Neuanfang nachzudenken. Dazu gehören die Grünen-Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter und Renate Künast, der CDU-Abgeordnete Jens Koeppen aus Brandenburg und Martin Delius von der Piraten-Partei, der Vorsitzender des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus ist. Es ist niemand darunter, der Verantwortung für den BER trägt.
Man könnte mit Planung und Bau neu beginnen und dabei die aktuellen Standards der Technik und Sicherheit berücksichtigen. Der Neubau könnte nach den jüngsten Prognosen für die benötigten Passagierkapazität ausgerichtet werden. Der Flughafen-Aufsichtsrat rechnet mit rund 40 Millionen Passagieren, die im Jahr 2023 in Berlin abgefertigt werden müssen. Derzeit sind es schon 28 Millionen in Tegel und Schönefeld. Der BER ist nur für 27 Millionen Fluggäste geplant. Deshalb hat der Aufsichtsrat am Freitag schon eine Erweiterung beschlossen.
Man müsste mit Planung und Bau neu beginnen. Milliarden Euro wären in den Sand gesetzt. Wie sich beim BER gezeigt hat, können vom ersten Entwurf bis zur Inbetriebnahme mit Planfeststellung und Gerichtsverfahren leicht 20 Jahre vergehen. In dieser Zeit müsste aber eine sehr lange Zwischenlösung für den Luftverkehrsstandort Berlin gefunden werden, was auch eine äußerst schwierige Aufgabe wäre. Nach einer Entscheidung über ein Ende des BER würde die Diskussion um den Standort wieder losbrechen. Brandenburgs Flughafenkoordinator Bretschneider sagte zu dem Vorschlag eines neuen Neubaus: „Es erhöht die Zeitprobleme und es erhöht die Kostenprobleme.“
Die Flughafengesellschaft versucht die Eröffnung bis Ende 2017 noch hinzukriegen. Nach der jüngsten Panne sagte Flughafenchef Karsten Mühlenfeld, dass mit zusätzlich drei bis vier Monaten Bauverzögerung am BER zu rechnen sei. „Wir haben dann aber noch Potenzial bei der technischen Inbetriebnahme, so dass wir die Möglichkeit haben, im zweiten Halbjahr 2017 fertig zu werden“, fügte er hinzu.
Im Flughafen selbst kann man sich jedenfalls bis heute ein Bild von den Versäumnissen machen. Was ging schief?
Da ist die Entrauchungsanlage. Vier Ventilatoren sollten im Brandfall dafür sorgen, dass der Rauch aus dem Terminal durch unterirdische Kanäle ins Freie geleitet wird. „Jeder Laie weiß: Rauch steigt nach oben“, sagt Mühlenfeld. Man habe die Anlage deshalb aufgeteilt. Obere Etagen werden über Schornsteine durchs Dach entraucht, die unteren Ebenen weiter durch den unterirdischen Tunnel. Und ganz wichtig: Die Ventilatoren sind jetzt regulierbar. „Sie laufen also nicht auf Volllast, wenn man einen kleinen Raum entrauchen muss“, so der Flughafen-Chef. „Das war vorher nicht möglich. Ein Planungsfehler.“
Einer von vielen. Aber ein entscheidender. Denn im Prinzip hätte der hohe Unterdruck, den die Ventilatoren erzeugt hätten, Leitungen regelrecht implodieren lassen. Die fehlende Steuerung der Entrauchungsanlage, von Mitarbeitern liebevoll das „Monster“ genannt, musste nachträglich eingebaut werden. Kilometerlang zusätzliche Kabel durch das gesamte Flughafengebäude. Deshalb hängen fast überall die Decken ab.
Der BER ist vom Start weg zu klein
Was das für den Baufortschritt bedeutet, lässt sich nur erahnen. Mühlenfeld steht im zukünftigen Hauptabflugs-Gate für Schengen-Flüge. Zweite Etage. Er blickt auf die Decke. Dort sind Entrauchungskanäle und Kabeltrassen befestigt, vereinzelt hängen Kabel herunter.
Eigentlich sollte die Etage gar nicht existieren. Doch in den Jahren nach dem Baubeginn 2006 dämmerte den Planern und Gesellschaftern, dass der Flughafen, den man für 17 Millionen Passagiere ausgelegt hatte, nicht ausreichen würde. Man brauchte Platz. Nach oben bauen wollte man nicht. Der Flughafen wäre dann im bautechnischen Sinne ein Hochhaus, mit zusätzlichen und schärferen Auflagen. Also zog man eine Zwischenetage ein. „Auch in diese mussten wir Entrauchungskanäle und Kabeltrassen zwängen“, so Mühlenfeld. Viel Platz ist da nicht.
So kam eins zum anderen. Denn der Ausbau des BER mit einer Zwischenetage und zwei Pavillons für den Check-In wurde nach 2006 zwar politisch entschieden. Die Bauplanung wurde aber nicht nachgezogen. So wurde gehämmert, geschweißt und geschraubt was das Zeug hält. Aber im Prinzip ohne Ziel. Hunderte Firmen arbeiteten ohne Rücksicht auf die anderen ihren Teilauftrag ab. Hauptsache fertig werden. Irgendwie. Der ursprüngliche Eröffnungstermin 2012 rückte immer näher. Kontrolle hatte keiner mehr.
Im gleichen Jahr kam es dann zu einem fatalen Fehler der Geschäftsführung. Das Unternehmen trennte sich aus Frust von dem damaligen Planer des Flughafens, PG BBI, fristlos. Der Planungsgesellschaft wird zwar bis heute nachgesagt, mit den Bauzeichnungen am BER überfordert gewesen zu sein. Doch von heute auf morgen ging so das gesammelte Wissen der Planer verloren. Die Geschäftsführung stand auf dem Nullpunkt. Dennoch bauten die Firmen fleißig weiter.
Fertig ist der BER noch lange nicht. „Wir haben 70 Prozent unserer Aufgaben abgearbeitet. Eigentlich wollten wir bei über 80 Prozent sein“, sagt Mühlenfeld. „Das ist ärgerlich.“
Selbstgemachte Probleme mit der Bahn-Anbindung
Auch aus anderen Gründen gibt es Schwierigkeiten: Der Flughafen sollte ein architektonisches Highlight werden. Ein Leuchtturm. Schönheit ging über Zweckmäßigkeit. Zwischen Flughafen und Bahnhof gibt es deshalb keine trennenden Türen. „Das ist weltweit einmalig“, so Mühlenfeld. Und heute ein Problem.
Das bisherige Management hatte lange gehofft, dass die Bahn ihr abgenommenes Brandschutzkonzept im Interesse des Flughafens ändert. Ein Fehler, denn die Bahn kann das faktisch nicht tun, denn dann würde ihre Bahnhofszulassung erlöschen. „Jetzt müssen wir Zulufttürme einbauen, um im Brandfall Frischluft ins Terminal zu bekommen“, sagt der BER-Chef. Bis Juli will das Unternehmen den Behörden nachweisen, dass der Brandschutz funktioniert. „Ursprünglich wollten wir im Mai fertig sein. Wir kommen voran, aber der Zeitplan bleibt kritisch.“
Kritisch wird auch die Kapazität, wenn der BER irgendwann mal eröffnet. Die Gepäcksortieranlage gilt als Nadelöhr. Die acht Gepäckbänder sind für rund 25 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt. Doch im vergangenen Jahr fertigten die beiden Flughäfen in Tegel und Schönefeld bereits fast 30 Millionen Passagiere ab. Wann immer der BER auch eröffnen wird: Er wird „vom ersten Tag an zu klein“ sein, sagt Mühlenfeld.
Bis 2023 werde deshalb das Terminal in Schönefeld weiterbetrieben. Vorübergehend wird Berlin dann bis zu 32 Millionen Passagiere abfertigen können. Danach muss der BER ausgebaut werden. Einen Masterplan will Mühlenfeld noch in diesem Jahr vorlegen. Eins ist ihm schon jetzt klar. „Wir werden definitiv mit einem Generalunternehmer bauen, nicht mehr in Eigenregie.“