BMW als erster Werbetreibender auf der Smartwatch - was für eine Leistung, welch geniale Umsetzung: Kein Nutzen, keine Anwendung. Nur eine simple Anzeige. Darauf muss man erstmal kommen.
Wer eine Smartwatch besitzt, dem ist jede Zehntelsekunde Zeitersparnis wichtig - sonst hätte er das Gerät nicht. Und genau diesen Menschen will BMW nun laut Medienberichten sieben (!) Sekunden Lebenszeit klauen. "Ein siebensekündiges Startinterstitial, auf dem der BMW X4 abgebildet ist, erscheint beim Öffnen der App sowie vor den Breaking News und Top-Nachrichten des Tages auf der Smartwatch".
Sieben Sekunden. Eine Ewigkeit in Zeiten des Internets - und Arroganz par Excellence. Hat das Marketing immer noch nicht begriffen, dass Werbung alte Probleme lösen sollte anstatt neue zu schaffen? Dass sie den Menschen Zeit sparen, aber nicht Zeit stehlen soll wie die grauen Herren in Michael Endes "Momo"?
Schon lange macht das Marketing sich etwas vor. Es redet sich seine Komfortzone schön, egal wie rasend schnell diese schrumpft - und begeht dabei sieben Torheiten.
1. Marketing ist Marketingkommunikation!
Die Älteren werden sich erinnern: Einst bestand Marketing neben der Kommunikation (Promotion) aus drei weiteren "P" - "Product", "Place" und "Price". Das Marketing dirigierte einst das Markenkonzert im Unternehmen. Heute belächelt man es hinter seinem Rücken und beraubt es seiner wichtigsten Kompetenzen.
2. Marketingkommunikation ist Werbung!
Marketer sterben aus und Unternehmen setzen Werber an ihre Stelle. Klar, dass da alleine Werbung übrigbleibt. Dabei stellt gerade die klassische Werbung seit jeher die langweiligste Kommunikationsform für einen Markenprofi dar. Die Kommunikation mit dem Konsumenten via Produktentwicklung, Marktforschung und Kundenservice war schon immer um ein Vielfaches erfüllender, denn nur dort gab es vor dem Internet und Social Media den Rückkanal vom potenziellen Konsumenten. Welch ein spannendes Feld für die Werbung! Fast ist man geneigt zusagen, nur dann funktioniere Werbung. Aber nein. Denn...
3. Werbung ist Monolog!
Klar, und deshalb ist alle Werbung heute wie "Schnupperpreise bei C&A" aus den Siebzigern: ein bunter Hund, der in ein Megaphon schreit. Haben wir uns in 40 Jahren - trotz des Internets - kein bisschen weiterentwickelt? Anscheinend nicht.
4. Werbung ist TV!
Vor 1987 kaprizierten sich die Werber auf die Doppelseite im "Stern" als den Heiligen Gral der Werbung. Kurze Zeit später, mit dem Sieg des Privat-TV, tanzten Werbung und Marketing um das Goldene Kalb 30-Sekunden-Spot. Print, Radio, Plakat und Kino blieben image-mäßig auf der Strecke. Web und Social Media werden heute immer noch nicht so recht verstanden. Seit dem Jahre 2000 könnte man im ständigen Echtzeit-Dialog mit seiner Zielgruppe, seinen Fans, seinen Konsumenten sein. Stattdessen sendet das Marketing ihnen (bewegte) Bildchen vom Produkt. Packshots, garniert mit austauschbaren Models, egal, ob die Packung von Lidl oder L'Oreal stammt. Als wäre die Welt eine einzige große Automesse mit züchtig drumherum drapierter Jungfräulichkeit. Man könnte die Konsumenten mit Dialog, Digitalisierung und Social Media begeistern, an sich binden. Doch dann kamen die Social Media Gurus, die auch nichts richtiges gelernt hatten und sprachen...
Ein Tweet ist kein Dialog
5. Social Media Kommunikation ist Werbung!
Der schlaue Marketingwerber glaubte dies und erkannte: Dann kann ich auch TV machen! Aber ein 30-Sekunden-Spot ist kein Dialog - auch nicht auf YouTube. Sorry. Ein Tweet ist kein Dialog. Wie oft muss man das noch gebetsmühlenartig wiederholen?
Machen Sie den Test: Nehmen Sie einen beliebigen Werbespot und stellen Sie sich diesen im Netz vor. Sie lachen - genau das ist das Problem. Warum aber verstehen Marketing und Agenturen den Unterschied nicht? Viral, lebendig, sich virusartig verbreitend ist diese heutige Werbung keineswegs. Auch Facebook ist mitnichten immanent sozial, sondern nur ein Marktplatz - auf dem die Marktschreier sich gegenseitig anschreien.
Sozial wird es, wenn die Markenmarktfrau mit der Konsumentin über ihre Wehwehchen, die Familie, die Zukunft sprechen würde. Zuhörenkönnen ist 'Social', reines Senden ist 'Media' oder Werbung. Einen Fake-Twitter-Account erkennt man daran, wem dieser Account folgt, wem er also zuhört! Soweit denken die meisten Ghostwriter-Agenturen nicht. Achten Sie mal darauf. Sie werden wieder lauthals lachen. Und dann kamen die Mobile Gurus, die früher Social Media Gurus waren, und sprachen:
6. Mobile Social Media Kommunikation ist Werbung!
Da Werbung gleich Monolog - wie der Marketingwerber deduzierte -, kann es natürlich zu sieben-sekündigen Printanzeigen auf einer Smartwatch kommen.
7. Was Werbung sonst noch fehlt!
Werber und Werbung sind heute gefangen im Bermudadreieck ihres vorauseilenden Gehorsams, gleichzeitig möglichst aufmerksamkeitsstark, humorvoll und unangreifbar zu sein. Das ist kontrakreativ, kontrainnovativ und kontraproduktiv - und zwar aus drei Gründen
Erstens löst Werbung keine Probleme - aber sie könnte. Dabei ist Werbung heute das Problem. Sie hält uns davon ab, was wir gerne tun. Surfen, fernsehen, Musik hören, spannende Artikel und Texte lesen. Stattdessen könnte die Werbung zum Nutzen transzendieren, Service oder gar Lösung werden.
Zweitens ist Werbung kein Content - aber sie könnte es sein. Content ist das, was man früher in der Zeitschrift 'Redaktion', im Gegensatz zur Werbung, nannte. Davon ist Werbung heute meilenweit entfernt. Tanzende Mädchen um Yogurette, Bebe und Tutus reichen nicht.
Drittens Werbung ist nicht feministisch - aber sie könnte es sein. Frauen haben Blasen an den Füßen und Gewichtsprobleme. Männer sind erfolgreiche Manager, Autofahrer, Biertrinker, Alkoholiker, Sportler, Versicherungsvertreter. Frauen haben die Probleme, Männer sind erfolgreich? Was stimmt da nicht mit dem Weltbild der Werbung? Wer erinnert noch die Zeiten, als das Marketing gesellschaftliche Grenzen hinausschob? Heute bleibt es gar hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurück, mehr noch: Es manifestiert diese - aus Angst vor einem Shitstorm.
Früher waren Marketingprofis Generalisten. Sie waren empathisch. Innovativ. Intuitiv. Und dachten an die Zukunft.
Heute bleibt anscheinend allein die umfängliche Vorgaukelung falscher Tatsachen übrig. Statt über sich hinauszuwachsen, kapriziert sich das Marketing immer weniger auf seine eigentlichen Fähigkeiten. Ein Teufelskreis, der in der Selbstauflösung enden wird.
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