Billig-Airlines Der Preiskampf über Deutschland

Billigflieger attackieren Lufthansa stärker denn je und verdrängen kleine Anbieter. Die Freude über günstige Tickets dürfte aber nicht lange währen.

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Billigflieger: Preiskampf über den Wolken. Quelle: imago, Montage

Den 5. November wird Renate Moser aus gleich zwei Gründen nie vergessen. An diesem Tag gründete die heute 73-Jährige 2001 ihre Fluglinie Intersky, die vor allem vom Bodensee-Airport in Friedrichshafen abhob. Und auf den Tag genau 14 Jahre später musste die österreichische Unternehmerin den Betrieb wieder einstellen und Insolvenz beantragen.

Das verdankt Moser nicht zuletzt den Chefs von Europas größten Billigfliegern: Carolyn McCall (Easyjet), Michael O’Leary (Ryanair), Alex Cruz (Vueling) und József Váradi (Wizz Air). Sie haben ihr durch direkte Konkurrenz am Bodensee oder von Flughäfen in der Region wie Basel, Stuttgart oder Memmingen so viele Kunden abgejagt, dass die Intersky-Flieger oft halb leer blieben.

Geschäftszahlen europäischer Fluglinien

Mosers Schicksal ereilte 2015 bereits gut ein Dutzend Airlines in Europa. Und es dürften bald deutlich mehr werden. Denn in diesem Winter wollen die vier Billigflieger erst richtig loslegen. Sie bekommen jedes Jahr bis zu 200 neue Jets geliefert und wollen 2016 beim Umsatz um bis zu 25 Prozent wachsen. „Den Wettbewerb überleben nur wir, Easyjet und die Gruppen um Lufthansa oder British Airways, für den Rest wird es ein Blutbad“, so O’Leary genüsslich. Weil die Passagierzahl in Europa 2016 nur um gut drei Prozent zulegen wird, müssen die Low-Cost-Linien Wettbewerbern immer mehr Kunden abjagen. Das sorgt erst mal für billige Tickets, aber mittelfristig dürfte Fliegen teurer werden.

Ums Überleben kämpfen müssen neben Air France-KLM vor allem kleinere Airlines ohne großen Heimatmarkt, so wie die nationalen Linien aus Kroatien, Rumänien oder Bulgarien. Doch Zentrum des Kampfs ist Deutschland, und hier vor allem die größeren Flughäfen. „Darum herrscht in der Lufthansa-Zentrale derzeit spürbare Nervosität“, heißt es in einer Studie des auf die Branche spezialisierten australischen Marktforschers Capa.

Ryanair hat im kommenden Februar 35 tägliche Flüge mehr als heute, fliegt dann auch innerdeutsch von Köln nach Berlin und hat in Düsseldorf und München Landerechte angefragt. „Wir wollen unseren Marktanteil bei euch bis 2020 von 5 auf 20 Prozent steigern“, sagt O’Leary. Das wären statt bislang zehn Millionen Passagiere pro Jahr deutlich mehr als 40 Millionen. Auch Easyjet will „in Deutschland über unserem Schnitt von acht Prozent zulegen“, kündigt Landeschef Thomas Haagensen an. Transavia, eine Billigtochter von Air France-KLM, die ab März von einer Basis in München 17 neue Flugziele bedienen will.

Einladung auf dem Silbertablett

Interesse an deutschen Großflughäfen hatten die ausländischen Billiganbieter schon immer. Doch bislang konnten sie nur schwer Fuß fassen. Platz gab es nur auf Provinzpisten wie Hahn im Hunsrück, Altenburg-Nobitz zwischen Sachsen und Thüringen, in Lübeck oder auf dem Berliner Zweitflughafen Schönefeld – nicht jedoch in Düsseldorf, Frankfurt oder Hamburg. Denn hier können Neulinge nur landen, wenn eine Fluglinie ihre Startrechte aufgibt.

Schaffte es eine Gesellschaft trotzdem in die Metropolen, musste sie, wie Easyjet in München, mit Kampfpreisen rechnen, von Lufthansa, von deren Billigtochter Germanwings oder von Air Berlin. Also versuchten es die Billiglinien lieber rund ums Mittelmeer, wo Flughäfen Platz hatten und sich angeschlagene Marktführer wie Alitalia und Air France kaum wehren konnten. „Wir wollen Gewinn und nicht nur Marktanteile“, erklärte Ex-Easyjet-Chef Andy Harrison einst die Strategie.

Attraktiver denn je

Diese Zeiten sind vorbei. Nach der Billigexpansion der vergangenen Jahre sind in Italien, Spanien und Frankreich nicht nur die meisten lukrativen Strecken vergeben. Die Marktführer schlagen auch zurück, entweder mit dem Geld neuer Investoren wie Alitalia mit den Petrodollars von Etihad aus Abu Dhabi oder mit effizienten Billigtöchtern wie Iberia mit Vueling oder Air France mit Transavia.

Der deutsche Markt aber ist attraktiver denn je. Während Reisende im Rest Europas eher sparen, leisten sich die Deutschen dank der soliden Konjunktur mehr Flugreisen und zahlen gern einen Aufpreis, wenn sie nahe an ihrem Wohnort von einem Großflughafen abheben können, statt zu abgelegenen Billigflugplätzen reisen zu müssen.

Zudem präsentieren Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Air-Berlin-CEO Stefan Pichler den Billigfliegern ihre Kundschaft fast auf dem Silbertablett: Denn sie haben in den vergangenen Jahren an ihren Stammflughäfen im großen Stil Platz gemacht, weil sie sich verlustbringende Flüge angesichts zu hoher Betriebskosten und des harten Wettbewerbs durch Golflinien nicht mehr leisten konnten.

Unfreiwillig billig

Und beide haben ihren Kunden die Billigangst genommen, etwa durch eigene Service-Kürzungen. Dazu gibt Lufthansa immer mehr Flüge an Germanwings oder Eurowings ab und Air-France-KLM-Chef Alexandre de Juniac an seine Linien Hop und Transavia. „Damit flogen viele Statuskunden unfreiwillig billig und merkten, das ist meist besser“, freut sich Easyjet-Chefin McCall. Zumal die Billiganbieter oft clevere Extras bieten. Norwegian hat seit Jahren Gratis-WLAN an Bord. Und bei Easyjet dürfen Vielflieger künftig kostenlos umbuchen.

Überangebot im Anflug: Flugzeugbestellungen ausgewählter Fluglinien bis 2020. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Zu guter Letzt sind auch die Flughäfen den Billigfliegern entgegengekommen. Denen waren bisher die Gebühren der Groß-Airports zu hoch. Doch seit die Provinzflughäfen auf Druck der EU-Wettbewerbshüter Fluglinien kaum noch mit Subventionen locken dürfen, ist der Unterschied geschrumpft, zumal viele Airports den Neulingen die Marketingzuschüsse nur in den ersten Jahren gewährten. So kostet viele Billigflieger die Landung in den Metropolen kaum mehr als in der Provinz. „Und den verbliebenen Rest dürften die höheren Ticketpreise in den Großstädten mehr als wettmachen“, sagt René Steinhaus, Branchenspezialist der Beratung A.T. Kearney.

Wie der Luftkampf über Deutschland ausgeht, ist aber noch keineswegs entschieden. Zwar haben Ryanair und Co. nach einer Übersicht der Capa-Marktforscher neben der höchsten Rendite in Europa auch die niedrigsten Kosten. Um einen Passagier einen Kilometer weit zu fliegen, zahlt der ungarische Ultra-Billigflieger Wizz Air mit 3,8 Cent nur 40 Prozent dessen, was Air France ausgibt. „Doch der Abstand hat sich wegen Sparmaßnahmen der etablierten Linien verringert“, so Berater Steinhaus.

Für Kunden zunächst erfreulich

Auch der niedrige Ölpreis spielt den etablierten Großlinien in die Hände. Easyjet, Norwegian, Ryanair, Vueling und Wizz Air haben insgesamt fast 900 neue Flugzeuge bestellt, um ihre Flugkosten zu senken. Die modernen Airbus- und Boeing-Maschinen sind teurer in der Finanzierung, fliegen aber, weil sie weniger verbrauchen, deutlich billiger als die meist betagten Flotten der etablierten Linien.

Nun aber hat der drastische Verfall des Ölpreises dafür gesorgt, dass die neuen Jets unterm Strich oft teurer fliegen als die alten, bereits abgeschriebenen Flotten von Lufthansa und Co. Darum müssen die Billigflieger künftig mehr nicht rentable Strecken fliegen, um zumindest einen Teil der Finanzierungskosten ihrer Jets zu decken. Und sie können weniger stark expandieren als geplant.

Für die Kunden ist das Drama am Himmel zunächst erfreulich. Der Preiskampf und niedrige Spritpreise bescheren ihnen billigere Tickets. Selbst wenn, wie zu erwarten ist, einige Fluglinien pleitegehen, wird das Angebot zunächst kaum kleiner. „Als Malev in Ungarn verschwand, war nach einer Woche auf fast jeder ihrer Strecken eine andere Airline unterwegs“, sagt Thomas Jaeger, Chef des Schweizer Marktforschers CH-Aviation. Doch irgendwann, wenn es noch mehr Pleiten gegeben hat, endet die Freude.

Die wichtigsten Billigflieger in Deutschland

Bestes Beispiel sind die USA. Dort sind nach gut zehn Jahren Konsolidierung von einst gut 30 Linien nur American, Delta, United und Billigflieger Southwest übrig geblieben, plus einige wenige kleine Airlines. Fliegen ist spürbar teurer geworden, besonders da, wo nur ein oder zwei Linien unterwegs sind.

Das kann auch in Europa passieren. Preisbrecher Ryanair verlangt zwar im Schnitt weniger als 50 Euro pro Ticket. „Doch wenn es die Nachfrage zulässt“, sagt Jaeger, „werden es auch mal 240 Euro und mehr.“

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