Billigflieger Angriff des Angstgegners

Für die Deutsche Lufthansa ist der heute verkündete Start des Erzrivalen Ryanair an ihrem Hauptflughafen Frankfurt ein Schock– im besten Fall aber ein heilsamer.

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Flugzeuge von Ryanair (vorne) und Lufthansa (hinten) am Flughafen Frankfurt am Main. Quelle: dpa

Wüste Beleidigungen von Politikern, plumpe Witze über Wettbewerber und anzügliche Werbung für den eigenen Service: Ryanair-Chef Michael O’Leary kannte bislang keine Tabus, bis auf eines: an Europas größten Flughäfen zu landen. „Wir machen zwar jeden Quatsch, wenn es uns öffentliche Aufmerksamkeit bringt – aber in London-Heathrow, Paris-Charles de Gaulle oder Frankfurt zu landen, das ist selbst uns zu verrückt“, so O’Leary.

Den Grundsatz hat O‘Leary heute kassiert. Kurz vor Mittag verkündete Europas größter Billigflieger in einer hastig einberufenen Pressekonferenz, er komme ab Frühjahr auch an den Flughafen Frankfurt. Der war dem irischen Preisbrecher bislang zu teuer. Und das nicht nur wegen der Gebühren für Starts und Abfertigung, sondern auch weil das unvermeidliche Herumfahren der Jets auf dem riesigen Gelände zu lange dauert und zu Verspätungen führt. „Da ist die Zeit zwischen Landung und Start oft länger als die meisten unserer Flüge“, so O’Leary.

Der Start der Iren mit der Harfe auf dem Leitwerk dürfte in der Lufthansa Aviation Center genannten Konzernzentale zwischen den Bahnen der Airports einen spürbaren Schock ausgelöst haben. Denn bisher galt der Heimatflughafen der Lufthansa nicht zuletzt dank O’Learys markiger Sprüche als sicher vor den im Rest Europa allgegenwärtigen Attacken der Angstgegner. Ryanair, Easyjet oder Wizzair wagten sich bisher an große Flughäfen wenn überhaupt nur dann, wenn da der Marktführer schwach war und sie mindestens ein Dutzend Flüge boten. Damit waren sie groß genug, um nicht gleich von den Platzhirschen mit Kampfpreisen in die Ecke gedrängt zu werden. Und zu guter Letzt hgalt Frankfurt als zu klein. Denn trotz der neuen Landebahn bot der Airport vor allem zu den Stoßzeiten morgens und abends nicht genug Platz.

Europas größte Billigflieger
Platz 10: Jet 2Jet 2 ging aus der 1978 gegründeten Channel Express hervor und nahm im Jahr 2013 ihren Flugbetrieb auf. Sie fliegt vor allem Urlaubsdestinationen am Mittelmeer sowie europäische Hauptstädte an. Der britische Billigflieger mit Sitz in Leeds startete im Juli 1846 Mal, verfügte über 345.414 Sitze und flog 516 Strecken.Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt; Ranking auf Grundlage der Starts im Juli 2017
Transavia Quelle: REUTERS
 Aer Lingus Quelle: AP
Wizz Air Quelle: AP
Norwegian Air Shuttle Quelle: REUTERS
Flybe Quelle: REUTERS
Eurowings/Germanwings Quelle: dpa

Dass Ryanair nun tut, was die selbst in Paris-Charles de Gaulle präsente Easyjet scheute ist der größte Schock für die Lufthansa-Beschäftigten seit sich vor ein paar Jahren Air Berlin für ein paar Monate nach Frankfurt wagte.

Damals war das ein heilsames Erlebnis. Weil die Bahnen in Frankfurt nicht nur vom Bordpersonal sondern auch von den Verwaltungsgebäuden der Lufthansa gut einsehbar sind, sorgte die Attacke der Hauptstädter für ein gesundes Umdenken weg vom damals üblichen „uns kann keiner was“. Sichtbarstes Signal: Kurz darauf bekam die damals noch als Germanwings fliegende umstrittene Lufthansa-Billigtochter mehr oder weniger freie Hand.

Das wäre dem Kranich-Konzern auch heute wieder zu wünschen. Das naheliegende Mittel wäre der schon länger diskutierte Tabubruch, die Billigtochter Eurowings möglichst bald auch in Frankfurt starten zu lassen – und nicht nur wie angekündigt im kommenden Jahr in München.

Damit das Erfolg hat, braucht Eurowings aber auch mehr Ryanair-ähnliche Methoden. Wie zu hören ist, begnügen sich die Iren wie überall auch in Frankfurt mit Außenpositionen, aber vor allem abgelegene nahe an den Landebahnen. Das spart lange Rundfahrten, drückt die Bodenzeit auf 35 Minuten und erlaubt mehr Flüge pro Maschine.

Insider vermuten darüber hinaus, dass Ryanair noch weiter geht. Um Zeit zu sparen, werden die Busse mit den neuen Passagieren am Gate wohl nicht erst losfahren, wenn der Flieger geputzt ist, sondern bereits lange bevor der letzte Passagier des ankommenden Flugs die Maschine verlassen hat.

Ein neuer Ruck wäre für die Lufthansa gut. Denn auch wenn die Angstgegner in den vergangenen Monaten immer näher an klassische Lufthansa-Ziele wie Hamburg heran rückten, ist der Billig-Elan im Konzern zuletzt doch merklich abgeflacht. Obwohl klar ist, dass im Hause Lufthansa wegen der vergleichsweise hohen Betriebskosten vorerst nur noch die Billigtöchter und die Langstrecke wachsen, hangelt sich der Konzern quasi von einem Streik zum anderen. Das verschreckt die Kundschaft, die angesichts der unsicheren Zukunft von Air Berlin dann noch stärker in die Arme der Billigflieger getrieben wird.

Billigflieger im Anflug auf Deutschland

Die sind ohnehin im Anflug auf Deutschland. Zwar mögen viele die Ryanair-Offensive am Main nicht recht ernst nehmen. Die einen beklagen die Gebührenrabatte von dem Vernehmen nach bis zu 30 Prozent als unzulässige Subvention. Andere belächeln, dass die großmäulige Linie mit gerade mal zwei Flugzeugen und vier täglichen Flügen quasi nur in Spaßgröße angreift und im Betrieb wahrscheinlich erstmal Verluste macht.

Doch das wird sich ändern. Wie sich zuletzt in Hamburg, Leipzig oder Nürnberg lernen ließ, beginnen die Iren immer erst mal klein, schlicht und mit langem Vorlauf. Aber dann steigern sie sich gewaltig und fahren den Flugplan meist noch vor dem ersten Start auf ein Vielfaches hoch. Dazu steuern die Iren geschickt ihre Preise, so dass sie nach spätestens einem halben Jahr nicht draufzahlen, selbst wenn sie wie auf der Route Köln-Berlin für die Hälfte der Tarife bei Eurowings oder Air Berlin fliegen. 

Denn auch wenn der Start in Frankfurt nur wie ein weiterer Tabubruch der rauflustigen Iren wirkt wie zuvor die Einführung von Sitzplatzreservierungen oder eines Vielfliegerclubs: O’Leary hält sich an seine Versprechen noch weniger als an die Regeln der Branche und kommentiert das lässig mit: „Wollen Sie mir vorwerfen, dass wir täglich klüger werden?“

Doch bei aller Lockerheit: Am Ende ist das Ryanair-Prinzip, neue Märkte erschließen bevor es ein anderer tut und dabei möglichst Unfrieden stiften, für die Linie keine Frage des Wollens, sondern des Müssens.

So schneiden Deutschlands Flughäfen ab
Flughafen Berlin‐Tegel Quelle: Günter Wicker/Flughafen Berlin Brandenburg GmbH
Köln Bonn Airport Quelle: Köln-Bonn GmbH
Düsseldorf Airport Quelle: dpa
Hamburg Airport Quelle: Michael Penner
Flughafen Stuttgart Quelle: Presse
Airport Nürnberg Quelle: Presse
Bremen Airport Quelle: Flughafen Bremen

Die Iren haben wie Easyjet gut 100 Flugzeuge bestellt, die sie irgendwo beschäftigen müssen. Dabei kommt das bisherige Geschäftsmodell der Iren, von kleinen Airports abseits der Bundesrepublik zu starten, an seine Grenzen. In Frankreich, Großbritannien, Italien oder Spanien sind nach der starken Expansion der vergangenen 20 Jahre für die Iren wie für alle Billigflieger die meisten lukrativen Ferienstrecken vergeben.

Gleichzeitig lockt der deutsche Markt stärker denn je. Hierzulande ist der Marktanteil der Flugdiscounter geringer als im Rest des Kontinents. Und die die Preise sind im Schnitt höher. Während Reisende im Rest Europas eher sparen, leisten sich die Deutschen dank der soliden Konjunktur mehr Flugreisen und zahlen gern einen Aufpreis, wenn sie nahe an ihrem Wohnort von einem Großflughafen abheben können, statt zu Flugplätzen irgendwo im Nirgendwo reisen zu müssen.

Und zu guter Letzt haben Lufthansa und Air Berlin den deutschen Markt billiggerecht aufbereitet und ihre Kundschaft fast auf dem Silbertablett serviert: Sie haben in den vergangenen Jahren an ihren Stammairports Flüge gestrichen und die Discountern quasi eingeladen, den Platz zu füllen. Gleichzeitig haben Lufthansa und Air Berlin den Discount-Service auch bei Geschäftskunden hoffähig gemacht, weil sie sich verlustbringende Flüge angesichts zu hoher Betriebskosten und des harten Wettbewerbs durch Golflinien nicht mehr leisten konnten.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr immerhin reagierte spontan auf den Ryanair-Vorstoß in Sichtweite seins Büros. Er will nun endlich den lange geforderten Gebührennachlass vom Frankfurter Flughafen, was Lufthansa rund eine Viertelmilliarde Euro pro Jahr sparen ließe. „Dass mir nun ausgerechnet Michael dabei hilft, den Nachlass bekommen, damit kann ich leben“, sagte Spohr.

Der Scherz dürfte jedoch nicht alles sein. Denn auch wenn Spohr einen Start seiner Eurowings offiziell erst in 2018 für machbar hält, wird er um einen früheren Einsatz seines besten Billig-Gegenmittels kaum herumkommen. „Wenn wir erst in anderthalb Jahren in Frankfurt loslegen, hat Ryanair dort statt zwei Maschinen längst mehr als ein halbes Dutzend und zu viele Ziele, um sie noch bremsen zu können“, so ein Konzerninsider. „Und wenn wir Pech haben, ist dann auch Easyjet schon da.“

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