Dachser gegen Nagel Der Kampf der Lebensmittel-Versorger

Die Transportunternehmen Dachser und Nagel sind die größten Rivalen um die Vorherrschaft in einem der wichtigsten Geschäfte für das tägliche Leben: der Versorgung mit Lebensmitteln. Im Kampf um die Versorgung des Landes setzen sie auf ganz unterschiedliche Strategien.

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Blick auf das Logo der Metro Group über einer Filiale des Unternehmens Quelle: APN

Wenn das Dunkelblau der Halle sich langsam vom Dunkelblau des Nachthimmels abhebt, wenn die Vögel zu zwitschern beginnen und die meisten Menschen sich noch einmal gemütlich in ihren Betten umdrehen, erwacht der Betrieb am Metro-Stammsitz im Düsseldorfer Norden. Langsam rollt eine Lkw-Karawane auf den Hof: darunter blaue Sattelzüge mit gelber Schrift und weiße mit blauer Schrift. Die Trucks bringen Wurst, Milch oder Müsli in die Märkte der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.

Demnächst gehört das an sechs Tagen in der Woche immer gleiche Ritual der Vergangenheit an: Dann werden nur noch die weiß-blauen Lkws des Transportunternehmens Nagel-Group aus Versmold die Cash & Carry-Märkte der Metro mit Lebensmitteln beliefern. Die gelb-blauen Laster vom Konkurrenten Dachser aus Kempten im Allgäu müssen draußen bleiben.

Kampf der Systeme

Damit ist eine der größten Schlachten der deutschen Lebensmittellogistik entschieden: Branchenführer Nagel hat seinem größten Konkurrenten Dachser einen Auftrag im Volumen von 15 Millionen Euro im Jahr weggeschnappt: Ab August übernehmen die Westfalen auch den Transport ungekühlter Lebensmittel für den Handelskonzern – neben Milch, Käse und Wurst, wie bisher schon, liefert Nagel dann auch Nudeln, Müsli und Gewürze an die zu Metro gehörenden Cash & Carry-Märkte, die Real-Supermärkte und die Lebensmittelabteilungen von Galeria Kaufhof.

Der Kampf um die Versorgung des Landes mit dem täglich Notwendigen ist auch ein Kampf der Systeme: Zwei Familienunternehmen, eines aus dem Norden und eines aus dem Süden, mit unterschiedlichen Größen, Strukturen und Philosophien prallen im gleichen Segment aufeinander. Dachser erwirtschaftete 2013 fast fünf Milliarden Euro Umsatz, davon 620 Millionen in der Lebensmittellogistik. Die Nagel-Gruppe macht ausschließlich Lebensmittellogistik und kommt damit auf knapp 1,7 Milliarden Euro Umsatz im Jahr.

Dachser und Nagel im Vergleich

Die Rivalen der Autobahn unterscheiden sich nicht nur in der Größe. Bei Dachser hat immer noch die Familie das Sagen, bei Nagel machen angestellte Manager den Job. Nagel unterhält einen eigenen Fuhrpark und europaweit eigene Niederlassungen, Dachser ist Mitglied eines europäisches Netzwerkes für Lebensmittellogistik und lässt Subunternehmer für sich fahren.

Beide wollen Marktführer in Europa werden. Die Entscheidung über den Metro-Auftrag gibt dem Wettbewerb eine neue Dimension: „Bei dem Metro-Auftrag geht es um ein sehr großes Volumen“, sagt Logistikexperte Wolf-Rüdiger Bretzke von der Unternehmensberatung Barkawi in München. Schließlich gehen so große Volumina nicht jeden Tag über den Tresen.

Angefangen hat der Wettkampf Allgäu gegen Westfalen schon mit der Gründung der beiden Logistiker in den Dreißigerjahren. Während Thomas Dachser Allgäuer Käse ins Rheinland transportierte und auf dem Rückweg Industriegüter aus dem Rheinland in den Süden brachte, baute Kurt Nagel seine Spedition auf, um die schon seit dem 19. Jahrhundert in ganz Deutschland beliebten Versmolder Wurstwaren in den Süden zu schaffen. Auf dem Rückweg nahmen sie unter anderem Kohle aus dem Ruhrgebiet mit in den Nordwesten.

Von einem europäischen Netz würden beide profitieren

Ein Fahrzeug des Logistikkonzerns Dachser Quelle: dpa

Vor allem im Ringen um die Großaufträge von Kraft oder Unilever lieferten sich die Wettbewerber seitdem gnadenlose Bieterkämpfe. „Bis heute bilden die beiden Logistiker in Deutschland bei den frischen Lebensmitteln ein Oligopol – das bedeutet große Marktmacht, verbunden mit einem harten Konkurrenzkampf“, sagt Bretzke.

Die Belegschaften der beiden Lebensmittelspediteure haben den Wettkampf verinnerlicht: „Es ist ein bisschen wie Schalke gegen Dortmund“, sagt ein Nagel-Mitarbeiter. Gerade steht es eins zu null für Nagel. Zwar ist Nagel schon seit mehr als 13 Jahren für die gekühlten Lebensmittel der Metro-Gruppe zuständig. Den Zuschlag für die ungekühlte Ware konnte sich aber bislang Dachser sichern.

In der wegen des anhaltenden Konzentrationsprozesses auf Händler- wie auf Produzentenseite hart umkämpften Lebensmittellogistik kommt der Auftrag den Transporteuren aus Versmold gerade recht: Das Unternehmen hat ehrgeizige Ziele. Auf zwei Milliarden Euro wollen die einstigen Wurstspediteure wachsen, die Marge soll auf rund drei Prozent steigen – in den vergangenen Jahren war sie gerade mal halb so hoch. Zudem hofft Nagel auf eine Sogwirkung des Metro-Auftrags: „Wir haben schon eine Hand voll Folgeaufträge generiert“, freut sich Nagel-Chef Bernhard Heinrich. „Hersteller, bei denen wir jetzt auf den Hof fahren, haben uns auch mit ihrer Logistik beauftragt.“

Gut vernetzt

Zwar sind die Margen für den Transport ungekühlter Lebensmittel meist deutlich niedriger als für Kühlware, zudem ist Metro bei den Spediteuren als knallhart verhandelnder Kunde verschrien, dennoch gilt die Vertragserweiterung bei Experten als Segen für die Westfalen: „Nagel hat mit dem Auftrag im Trockensegment auch den Auftrag für die Logistik frischer Lebensmittel abgesichert und realisiert für die Metro Vorteile aus der Bündelung“, sagt Sven Rutkowsky, Logistikexperte der Unternehmensberatung A.T. Kearney.

Der Gegenangriff von Dachser dürfte nicht lange auf sich warten lassen. „Wir schlagen uns immer das nasse Handtuch um die Ohren – Wettbewerb belebt nun mal das Geschäft“, sagt Nagel-Chef Heinrich. Die Mobilmachung läuft bereits auf Hochtouren: Vor knapp einem Jahr gründeten die Kemptener das European Food Network. Zwölf der führenden europäischen Lebensmittellogistiker haben sich unter Dachsers Führung zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, darunter die niederländische Raben Group, die österreichische Brummer Logistik und Papp Italia. Mit zwölf Partnern in 21 Ländern will Dachser mit Nagel um die Spitzenposition streiten.

„Wir wollen das führende Netz für innereuropäische Lebensmitteltransporte werden“, sagt Dachsers geschäftsführender Gesellschafter Bernhard Simon. Erste Erfolge kann er vorweisen: Die Volumina aus den Netzwerk-Ländern nach Deutschland haben sich 2013 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Ein großes europäisches Netz ist für Dachser wie für Nagel von Vorteil: „50 Prozent der Aufträge des Gesamtunternehmens haben einen internationalen Anteil, wir sehen eine ähnliche Entwicklung auch im Food-Sektor“, sagt der Dachser-Chef. „Außerdem sind internationale Transporte immer lukrativer, unter anderem aufgrund der etwas höheren Komplexität“, sagt Logistikexperte Jens Riedl vom Beratungsunternehmen Boston Consulting Group.

Simon hätte sich grundsätzlich zwar auch vorstellen können, ein europaweites Netz für Lebensmittellogistik im Alleingang aufzubauen. Dafür wäre aber eine hohe Grundauslastung nötig gewesen. Zumindest in der Anfangsphase hätte ein solcher Schritt darum Verluste in Millionenhöhe verursacht.

Verschiedene Welten

Rund 600 Kilometer liegen zwischen den Unternehmensstandorten der beiden Logistiker in Kempten im Allgäu und Versmold am Rande des Teutoburger Wald. Versmold ist bekannt für seine Fleisch- und Wurstindustrie. Unternehmen wie Reinert, Wiltmann und Heinrich Nölke mit den Marken Gutfried, Müritzer oder Menzefricke haben hier ihren Sitz.

Kempten dagegen ist Käseland. Hier sind Unternehmen wie Edelweiß mit den Marken Bresso, Brunch oder Milkana und die Käserei Champignon mit Cambozola, Rougette und Hofmeister oder Striegistaler Zwerge ansässig.

Unterschiede in Führungsstruktur und Firmenphilosophie

Ein Lkw der Nagel-Gruppe Quelle: Presse

So unterschiedlich die Herkunft, so verschieden ist auch die Führungsstruktur der beiden Mittelständler. Bei Dachser steht seit 2005 mit Bernhard Simon der Enkel des Firmengründers als Sprecher der Geschäftsführung an der Spitze des Unternehmens mit knapp 25.000 Mitarbeitern. Die 40 Jahre davor hatte ein externer Geschäftsführer das Sagen. Ein Gesellschaftervertrag regelt, dass die Geschäftsführung mehrheitlich aus Nichtfamilienmitgliedern bestehen muss.

Eine gegensätzliche Entwicklung erlebte Nagel. Seit Kurt Nagel, Sohn des Unternehmensgründers, 2008 mit nur 46 Jahren plötzlich starb, steht Bernhard Heinrich, der zuvor schon zur Geschäftsführung gehörte, an der Spitze der rund 11.000 Mitarbeiter. Die persönlich haftende Gesellschafterin Marion Nagel und ihr Sohn Tobias sitzen zusammen mit fünf externen Mitgliedern im Beirat. Marion Nagel ist zudem Geschäftsführerin der Nagel Logistics Holding, der Dachgesellschaft der Nagel-Gruppe. „Die Familie Nagel ist täglich im Unternehmen, natürlich auf eine andere Art als der frühere geschäftsführende Gesellschafter Kurt Nagel“, sagt Heinrich.

Die größten Logistiker für frische Lebensmittel in Deutschland 2013 Quelle: Kille-Schwemmer Top 100 in Logistic - Schätzungen Januar 2014

Auch zwischen den Firmenphilosophien der beiden Wettbewerber liegen Welten. Nagel fokussiert sich mit seinem Lebensmittelgeschäft auf Europa, betreibt eine eigene Flotte und eigene Niederlassungen in 17 Ländern. Dachser kooperiert im Lebensmittelgeschäft mit europäischen Logistikunternehmen und lässt andere für sich fahren.

Die volle Kontrolle hat für Nagel Vor- und Nachteile: „Unser Weg, solch ein Netzwerk zu bauen, kostet viel Zeit und Geld“, räumt Nagel-Chef Heinrich ein. „Dafür können wir zum Beispiel spontan über Investitionen entscheiden und brauchen nicht um Kompromisse mit unseren Partnern zu ringen.“ Außerdem ist Nagel flexibler, etwa, wenn ein Kunde seinen Produktionsstandort verlagert. Die Einnahmen blieben dann trotzdem in der Nagel-Gruppe, sagt Heinrich.

In eigener Hand

Zum Nagel-Fuhrpark gehören über 1500 eigene Lkw sowie knapp 4000 Trailer. Zuletzt wurden 2011 rund 100 Millionen Euro in neues Equipment investiert. „Wir betreiben eine eigene Flotte, da das Lebensmittelgeschäft sehr volatil ist. Die Leute fangen zum Beispiel spontan an, die Grillsaison zu eröffnen. Wir nehmen den hohen Fixkostenblock in Kauf, weil er uns erlaubt, flexibel zu reagieren“, sagt Heinrich. Insgesamt sind für die Versmolder Spedition täglich 6000 Lkw im Einsatz, für die zusätzlich auch Subunternehmen verpflichtet werden.

Das Dachser-Konzept hat andere Vorteile: vor allem weniger Risiko und eine geringere Kapitalbindung. Die Allgäuer haben nur eine kleine eigene Lkw-Flotte mit 160 Fahrzeugen, dafür aber viele eigene Wechselbrücken, wie die Container-ähnlichen Kästen, die auf die Sattelschlepper aufgesetzt werden, im Fachjargon heißen. Das logistische Rückgrat bilden selbstständige Fuhrunternehmer, die im Dachser-Auftrag auf Europas Straßen unterwegs sind: rund 9000 Lkw im Nah- und 4000 im Fernverkehr. Für die Lebensmitteltransporte des European Food Network bewegen alle Partner täglich rund 3500 Lkw.

Ehrgeizige Ziele

Welche Branchen optimistisch in die Zukunft blicken
Branchenausblick Logistik 2014 Quelle: dpa
Branchenausblick Maschinenbau 2014 Quelle: dpa
Branchenausblick IT 2014 Quelle: dpa
Branchenausblick Medien 2014 Quelle: dpa
Branchenausblick Luftfahrt 2014 Quelle: dpa
Branchenausblick Chemie 2014 Quelle: dpa
Branchenausblick Gesundheitswirtschaft 2014 Quelle: dpa

Im Gegensatz zu Dachser beschränkt sich Nagel ausschließlich auf den Transport von Lebensmitteln. In fünf Temperaturbereichen von tiefgekühlt bis ungekühlt werden Lebensmittel durch ganz Europa kutschiert, nicht nur auf der Straße, sondern auch auf dem Seeweg. Kunden sind Hersteller, Handelsunternehmen, Restaurants und Hotels. Zusätzlich betreibt Nagel Lager für seine Hersteller und packt und etikettiert Sendungen.

Andere Logistikbereiche außerhalb von Lebensmitteln interessieren Nagel zurzeit nicht, stattdessen will Heinrich aber vor allem den europäischen Tiefkühlbereich ausbauen. „Wir sehen in unserem Geschäftsbereich ein Marktpotenzial von 25 Milliarden Euro, wir wollen die Ersten sein, die ein flächendeckendes Netz für Tiefkühllogistik in Europa haben.“ Erst vor wenigen Wochen kaufte Nagel ein Kühlhaus in Rostock. In Italien und Skandinavien will Heinrich außerdem in der sogenannten Kontraktlogistik wachsen. Dieser Bereich umfasst neben dem Transport auch den Betrieb von Lagern im Kundenauftrag.

Noch im Anfangsstadium ist dagegen das als besonders anspruchsvoll geltende Geschäft mit der Zustellung auf der letzten Meile und damit Lieferungen bis zur Haustür des Verbrauchers. Für das Hamburger Unternehmen „Kommt essen“, das Rezepte inklusive aller Zutaten verschickt, betreibt Nagel ein Lager, stellt die Pakete zusammen und beliefert ein paar Hundert Haushalte in Hamburg.

Rivale Dachser hat mit dem Privatkundengeschäft nichts am Hut. „Unser Geschäft ist für die Rampe ausgelegt, nicht für die Haustüre“, sagt der Dachser-Chef. „Die Endkundenlieferung ist viel teurer als die an Geschäftskunden“, sagt Simon.

Lebensmitteltransporte sind aber nur eines der Dachser-Geschäftsfelder, gerade mal zwölf Prozent seiner Umsätze macht der Spediteur in diesem Bereich. Wachsen wollen die Kemptener Logistiker, die zu den Marktführern im europäischen Lkw-Transport zählen, auch in anderen Geschäftsbereichen wie dem europäischen Landverkehr und der Luft- und Seefracht. Angaben zum Gewinn macht Dachser zwar nicht, Experten schätzen die Marge aber auf zwei bis drei Prozent.

Für die ehrgeizigen Ziele wird kräftig investiert. Auf Einkaufstour gegangen ist Dachser zuletzt vor allem in Spanien: Vor gut einem Jahr wurde der spanische Logistikdienstleister Azkar übernommen, der Marktführer im Stückgutverkehr des Landes. Außerdem verleibte sich Dachser das spanische Luft- und Seefrachtspeditionsunternehmen Transunion ein. Allein das Luft- und Seefrachtgeschäft soll bis 2017 von zuletzt 1,4 Milliarden Euro auf 2,2 Milliarden Euro 2017 steigen. „In der Luftfracht sind die Margen in der Regel höher als auf der Straße“, sagt Logistikexperte Riedl. Eine weitere Milliarde Euro will Dachser in den nächsten fünf Jahren in den Ausbau seiner weltweit 471 Niederlassungen in 42 Ländern investieren.

Nagel-Chef Heinrich wird in Zukunft wohl häufiger als bisher auf die blau-gelben Transporter seines Konkurrenten stoßen. Aber zumindest an den Lebensmittelrampen der Metro ist bald Dachser-freie Zone.

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