Am 17. März 2015 unterschreibt Peter Schwenkow einen kurzen Brief, nur eineinhalb Seiten lang, aber vollgeladen mit Sprengstoff. Der Chef des Berliner Konzertveranstalters Deag wendet sich an die Geschäftsführung der Nürburgring-Betriebsgesellschaft Capricorn Nürburgring GmbH (CNG). An der Rennstrecke soll am letzten Maiwochenende das Rockfestival „Der Ring – Grüne Hölle Rock“ stattfinden.
So jedenfalls lautete bisher der Plan. Doch die CNG ist mit dem Partner Deag unzufrieden und will schon vor der ersten Austragung raus aus dem Fünfjahresvertrag, hat bereits eine Auflösung des Kontrakts gefordert. Das aber weist Schwenkow scharf zurück: „Den Bedingungen der von Ihnen vorgeschlagenen Vertragsaufhebung“ könne er nach Rücksprache mit dem Aufsichtsrat „nicht zustimmen.“
Denn bis Mitte März, so listet Schwenkow auf, waren erst schlappe 800.000 Euro an Vorverkaufserlösen eingegangen, an Kosten aber bereits mehr als 3,5 Millionen Euro aufgelaufen. 2,68 Millionen davon entfallen auf Vorauszahlungen für Künstlergagen, 843.000 Euro auf sonstige Kosten. Schwenkow weist zudem darauf hin, dass Ende März die nächste Vorabzahlung für Künstlergagen von fast 1,27 Millionen Euro ansteht. Doch die Vorverkaufserlöse, heißt es weiter, reichen nicht aus, um die Vorkosten zu decken.
Die zehn größten Musikfestivals nach Umsatz 2014
Das Bravalla Festival in Schweden zog im vergangenen Jahr fast 60.000 Besucher an. Die spülten 16,3 Millionen US-Dollar in die Kassen der Betreiber.
Quelle: Pollstar
70.000 Besucher lockten die Betreiber von Rock im Park im vergangenen Jahr nach Nürnberg. Damit machten sie einen Umsatz von 16,7 Millionen US-Dollar.
Das Lollapalooza Chile spielte einen Umsatz von 16,8 Millionen US-Dollar ein. Verkauft wurden dafür 110.000 Tickets.
Zum Stagecoach in den USA kamen 190.000 Besucher. Die Betreiber machten damit im vergangenen Jahr einen Umsatz von 18,6 Millionen US-Dollar.
Das Outside Lands Music & Arts Festival in San Francisco lockte mehr als 200.000 Besucher. Der Umsatz betrug 19 Millionen US-Dollar.
Rock am Ring ist das größte deutsche Festival. Im vergangenen Jahr kamen 82.000 Besucher zum Nürnburgring und sorgten für einen Umsatz von mehr als 20 Millionen US-Dollar.
Das Lollapalooza in den USA lockte vergangenes Jahr 300.000 Festival-Besucher. Die Betreiber machten einen Umsatz von 28,8 Millionen US-Dollar.
Zehn Millionen US-Dollar mehr spielte Austin City Limits Music in den USA ein. 450.000 Tickets verkauften die Veranstalter.
Das zweit-umsatzstärkste Festival der Welt ist das Mysteryland – ein Festival das ebenfalls in den USA stattfindet. 48 Millionen US-Dollar betrug der Umsatz 2014. Verkauft werden mussten dafür nur 40.374 Tickets.
Das umsatzstärkste Festival der Welt ist das Coachelle Valley Music & Arts Festival. 579.000 Besucher generierten vergangenes Jahr einen Umsatz von 78 Millionen US-Dollar.
Deshalb gibt Schwenkow eine Kontonummer an und fordert die CNG auf, innerhalb einer kurzen Frist „Liquidität zur Verfügung zu stellen.“ Auf Nachfrage dazu stellt Schwenkow klar, dies bedeute kein Liquiditätsproblem. Allerdings seien bisher alle Künstlergagen von der Deag bezahlt worden, wogegen eine hälftige Aufteilung der Kosten vereinbart worden sei. „Jetzt sind die mal dran, sich zu beteiligen.“ Ein CNG-Sprecher wollte dazu nicht Stellung nehmen.
Krisentreffen kommende Woche
Das Tischtuch zwischen den Partnern ist völlig zerschnitten, sogar eine Absage des Festivals steht im Raum. Auf Nachfrage, ob er eine Absage ausschließen könne, sagt ein CNG-Sprecher nur: „Kein Kommentar.“ Schwenkow bestätigt dagegen auf Anfrage, dass er eine Verlegung des Festivals in Erwägung zieht. Obwohl es nur noch zwei Monate bis zum Festival sind, werden alternative Ausrichtungsorte für die Veranstaltung 2015 geprüft. Über eine Ausfallversicherung sieht Schwenkow die Deag zudem gut abgesichert. Bis zur kommenden Woche soll sich die Zukunft des Festivals klären – und dabei, so klingt auf beiden Seiten durch, dürfte es noch „richtig knallen.“
Für die Deag kommt der Festivalärger äußerst ungelegen. Im November hatten die Berliner einen „Wachstumsschub“ durch den „massiven Eintritt in den Rockfestivalmarkt“ angekündigt. Drei neue Festivals sollten der künftige Umsatztreiber werden. Neben „Der Ring“ läuft am letzten Maiwochenende parallel „Rockavaria“ im Münchner Olympiapark. Eine Woche später folgt „Rock in Vienna“ auf der Wiener Donauinsel.
Metallica, Muse und Kiss sollen Zehntausende zu den Festivals locken. Massiv und wachsend sind derzeit allerdings vor allem die Probleme im Festivalgeschäft. Der Vorverkauf läuft holprig, die Strategie geht nicht wie geplant auf.
Anfang Februar hatte die Deag eine Statistik der verkauften Tickets für „Der Ring“ erstellt. Über alle Verkaufskanäle hinweg waren damals insgesamt nur rund 7500 Tickets verkauft. Schwenkow will sich zu der Zahl auf Nachfrage nicht äußern. Neuerdings bietet Deag auch Tagestickets an, für jedes Festival sind seit 11. März 30.000 Tagestickets erhältlich, für jeden Festivaltag je 10.000 Stück.
Rockavaria läuft am besten
Dass Tagestickets nicht für überragende Verkaufserfolge sprechen, weiß jeder in der Musikszene. Das Bandprogramm ist dann nicht stark genug, ausreichend Käufer für die Tickets über alle drei Tage anzuziehen. Schwenkow selbst sagte im November der Koblenzer „Rhein-Zeitung“, er „hoffe, dass es keine Tagestickets gibt.“ Jetzt gibt es bereits zweieinhalb Monate vor den Festivals Zehntausende.
Kombiniert – Drei-Tages-Tickets und Tageskarten – wurden für Rockavaria (Kapazität: 68.000 Besucher) nach Informationen der WirtschaftsWoche bisher rund 33.000 Tickets verkauft, für Rock in Vienna (Kapazität: 55.000 bis 60.000) etwa 16.000. Schwenkow will auch diese Zahlen nicht kommentieren: „Der heutige Stand interessiert uns nicht. Wir werden am Ende gute Besucherzahlen haben.“
Der Deag-Boss muss darauf hoffen, dass der Ticketverkauf in den anstehenden Wochen schnell anzieht. Ein positives Signal ist, dass die börsennotierte Deag bisher noch keinen Anlass für eine Gewinnwarnung gesehen hat. Und wenn Schwenkow am kommenden Dienstag die Ergebnisse 2014 vorstellt, werden die Zahlen voraussichtlich recht gut sein.
Im Zwischenbericht für das dritte Quartal 2014 heißt es: „Deag ist nach 9 Monaten über Plan und erwartet starkes Gesamtjahr 2014.“ Nach 975.000 Euro Nettogewinn 2013 kündigen die Berliner in dem im November veröffentlichten Quartalsbericht auch an, für das Gesamtjahr 2014 und für 2015 „eine weitere Steigerung bei Erlös und Ertrag“ zu erwarten.
Deag im Deflations-Dilemma
Kommt die Trendwende beim Ticketverkauf allerdings nicht, könnte der positive Ausblick auch schnell Makulatur sein. Das Dilemma der Deag ist dabei, dass sie außer den Tageskarten auch schon diverse Rabattaktionen am Laufen hatte. Die muss sie auch bringen, damit sich beim Ticketverkauf etwas bewegt.
Allerdings bringen sich Veranstalter mit jedem Rabatt tiefer in eine Spirale, die einer volkswirtschaftlichen Deflation bis aufs Haar gleicht: Kaufzurückhaltung in Erwartung künftig sinkender Preise. Wer in einschlägige Foren wie www.ringrocker.com schaut, kann erkennen: Einige Fans wollen mit dem Kauf noch warten und spekulieren darauf, dass es kurz vor Toreschluss noch viel größere Rabatte gibt.
Im Sog der Festivalkrise hat auch ein weiteres Wachstumsprojekt mehr Anlaufschwierigkeiten als erhofft: Das Deag-eigene Ticketportal MyTicket.de. Als das im November an den Start ging, schwärmte die Deag: „Die sorgfältig vorbereitete Ausweitung der Wertschöpfungskette eröffnet der DEAG erhebliche Ergebnispotenziale.“ Trotz Fernsehwerbung während des Weihnachtsgeschäfts lief der Vorverkauf für „Der Ring“ über MyTicket allerdings höchst bescheiden an.
In der Deag-Aufstellung von Februar, in der alle Verkaufskanäle separat ausgewiesen sind, stehen bei MyTicket weniger als 50 verkaufte Tickets. Schwenkow hält dagegen, dass mittlerweile eine stattliche Zahl von Tagestickets für „Der Ring“ und „Rockavaria“ über MyTicket verkauft worden sei. „Bei MyTicket zeichnet sich eine Erfolgsgeschichte ab. Wir sehen das als Long Run, haben einen Businessplan für fünf Jahre. Der ist aktuell sogar übererfüllt, aber wie es nach wenigen Monaten aussieht, sagt ohnehin nicht allzu viel aus.“