Der große Kofferwahnsinn – und seine Folgen So nutzen Sie Airline-Services richtig

Der Hickhack um kleineres Handgepäck endet mit einem blamablen Rückzug der Airlines. Das zeigt auch, dass Verbraucher viel von ihren Billigflügen erwarten. Es gibt aber auch Fallen, die man beim Buchen beachten sollte.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Von einem neuen Größenstandard für das Handgepäck ist der Weltluftfahrtverband erstmal wieder abgerückt. Quelle: dpa

In Punkto Kundennähe bekam der Weltluftfahrtverband IATA gerade schmerzhafte Nachhilfe. Anfang vergangener Woche schlug die Organisation vor, dass die ihr angeschlossenen Fluglinien künftig nur noch deutlich kleineres Handgepäck zulassen sollten. Ende voriger Woche beteuerte sie dann wiederholt, alles sei nur freiwillig. Mittwoch Abend legte sie die Initiative schließlich ganz auf Eis. IATA erlitt 70 Jahre nach seiner Gründung sein wohl größtes Debakel.

Kein Wunder: Beim Ausarbeiten der Gepäck-Idee hatte der sonst vor allem beim Verfassen technischer Standards aktive Airline-Verband zwar an vieles gedacht, allen voran seine Mitglieder und deren Flugbegleiter. Aber leider nicht an die rund 3,5 Milliarden Kunden, die in diesem Jahr irgendwo auf der Welt ein Flugzeug besteigen. Prompt stiegen die auf die Barrikaden und das besonders in den USA. „Die Reaktion lag irgendwo zwischen Häme und blankem Entsetzen“, so ein führender Manager einer US-Linie, die samt und sonders den Vorschlag bekämpften.

Zwar könnte bei dem kleineren Kofferformat jeder Passagier bei fast allen Flügen sein Gepäck in den Fächern über dem Sitz unterbringen. Heute schaffen das in der Regel nur die ersten zwei Drittel der Reisenden und der Rest muss seinen Koffer irgendwo im Flieger unterbringen oder nachträglich aufgeben. „Doch offenbar ist den meisten Passagiere der Kampf am Gate um die Führung beim Einsteigen lieber als leicht zu packen“, so der US-Airliner.

Passagiere und Verbraucherschützer vermuteten vielmehr eine Art Abzocke zu ihren Lasten. Weil in die Koffer der neuen IATA-Norm bis zu 40 Prozent weniger rein passt als in die bislang zugelassenen Kabinentrolleys, müssten die Reisenden öfter Gepäck aufgeben. Damit – so der Verdacht – wollten sich die Airlines hohe Zusatzeinnahmen sichern.

Top 10 Fluglinien nach der Anzahl der Passagiere weltweit

Die Zurückhaltung, den Koffer aufzugeben, ist nicht unbegründet. Nicht nur Billigflieger, sondern auch die etablierten Linien der USA wie Delta oder United haben aufgegebenes Gepäck zuerst kostenpflichtig gemacht und dann die Gebühren kräftig erhöht. Dem Beispiel folgen nun auch Lufthansa, Air France und British Airways mit eigenen „nur-Handgepäck“-Tarifen.

Darüber hinaus kostet es nicht nur Geld, Gepäck aufzugeben, sondern auch Zeit. In vielen Flughäfen wie Berlin-Tegel dauert die Rückgabe der Koffer oft länger als die anschließende Taxifahrt in die Stadt. Wer richtig Pech hat, bei dem gehört der Koffer zu dem knapp einem von Tausend, der nicht mitgekommen ist oder in einer anderen Stadt landet. Wer kann, reist also mit Handgepäck.

Was Flugreisende am meisten nervt
VerspätungenDie Reise-Webseite Trip-Advisor hat mehr als 1200 Reisende gefragt, was sie auf dem Flug in den Urlaub gar nicht mögen. Überraschend: Anders als bei der Bahn scheinen verspätete Flüge für gar nicht so viel Frust zu sorgen. Sie finden sich eher unten in der Liste der Nervtöter. Rund ein Drittel der Gäste (30 Prozent) ärgert sich, wenn die Maschine unpünktlich losfliegt oder landet. Quelle: dpa
Der Kampf um die ArmlehneFür mehr Unmut sorgen da die lieben Nachbarn. 32 Prozent der Befragten fühlen sich gestört, sobald ein Mitreisender versucht, die Armlehne in Beschlag zu nehmen. Quelle: dpa
Nervige SteuernAirline-Steuern und zu teure Tickets finden 33 Prozent der Reisenden gar nicht gut. Schließlich macht die Flugverkehrssteuer, die auf Mittelstreckenflügen 25 Euro beträgt, auch die Flüge von günstigen Airlines teurer. Quelle: dpa
Lange WarteschlangenGeduld mag zwar im Arbeitsalltag eine Tugend sein. Wenn es jedoch in den Urlaub geht, können viele Fluggäste den Trip ans Meer kaum abwarten. Deshalb finden wohl 49 Prozent von ihnen lange Warteschlangen an den Sicherheitsschleusen am Flughafen besonders frustrierend. Quelle: dpa
Zu wenig Platz für die HandtascheEs kann schon Mal verlockend sein, das Handgepäck-Limit der Airline so richtig auszuschöpfen – der Urlaub dauert ja seine Zeit. Blöd nur für die anderen Fluggäste, die ihr Gepäck neben den prall gefüllten Handtaschen und Rucksäcken ihrer Mitreisenden in den Ablagefächern über den Sitzen verstauen müssen. 51 Prozent finden das unmöglich. Quelle: dpa
Die rückende RückenlehneEbenso viele Befragte bringt es auf die Palme, wenn der Nachbar die Rückenlehne seines Flugsitzes mehrmals verstellt. Die eigene Bequemlichkeit geht eben vor. Quelle: DAPD
Die lieben KleinenEine Mehrheit der Fluggäste empfindet Kinder von Mitreisenden als Störenfriede. 52 Prozent fühlen sich von den Kleinen belästigt und können es gar nicht verstehen, wenn die Eltern den Nachwuchs nicht unter Kontrolle haben. Besonders ätzend finden sie, wenn Kinder aus Langeweile gegen den Sitz treten. Dabei sind die Kinder nur Teil des Problems. Ginge es nach den Zahlen der Umfrage, so würden die meisten Fluggäste am liebsten ein Privatflugzeug chartern – 69 Prozent von ihnen fühlen sich in irgendeiner Weise von den Nachbarn gestört. Quelle: REUTERS

Dabei hätten die Fluglinien auch andere Möglichkeiten, an Bord mehr Handkoffer unterzubringen: indem sie nicht nur Regeln für Handgepäck verkünden und an die Schalter Metallrahmen mit der maximalen Größe stellen, sondern die Regeln auch mal durchsetzen. Stattdessen lassen besonders US-Airlines geschätzt die Hälfte der Kunden an Bord mit Gepäck in der Größe eines kleineren Gefrierschranks – und gerne noch einer zweiten Reisetasche. Und seit die Airlines an vielen Orten indirekt an den Flughafenshops mit verdienen, auch noch eine Tüte aus den Airport-Läden.

Das geschieht angeblich aus Freundlichkeit – und weil besonders das Personal am Flugsteig den Ärger mit den Multi-Koffer-Kunden gern den Kollegen an Bord überlässt. Doch mit der Nachlässigkeit fördern die Fluglinien die ohnehin hohen Ansprüche ihrer Kundschaft. Denn auch 20 Jahren nach Beginn des Billigflugbooms erwarten Verbraucher bei Flugreisen mehr als bei anderen Einkäufen. Während es bei Autos oder Computern jeder Käufer gewohnt ist, sich aus einem Sammelsurium von Möglichkeiten sein Wunschprodukt zusammen zustellen, tun sich Flugreisende immer  noch schwer mit dem Grundsatz, dass zusätzliche Leistungen mehr kosten.

So vermeiden Sie Buchungsfallen

Das rührt zum einen aus der Historie der Branche, wo noch bis in die neunziger Jahre hinein jede Fluglinie zumindest bei der Economy-Klasse innerhalb Europas mehr oder weniger das gleiche bieten musste. Ob Urlauber mit zwei Koffern und Billigticket oder Geschäftsmann mit Handgepäck und Flugschein: "Jeder bekam das Gleiche, egal, was er bezahlt hatte. Und jeder musste für alles zahlen, egal, ob er die Dinge brauchte oder nicht", spottet Germanwings-Chef Thomas Winkelmann.

"Und zu guter Letzt haben wir das, was den Kunden einen Aufpreis wert war – wie Sitze im vorderen Flugzeugteil oder in Reihen mit größerer Beinfreiheit – nach dem Zufallsprinzip verschenkt." Das führte – wie beim Gepäck – zu einem Windhund-Prinzip, wo sich alle freuten, die bessere Plätze und Raum im Gepäckfach erobern konnten.

Der einfachere Weg wäre es, wie alle anderen Branchen für besseren Service zu kassieren. Das klappt erstaunlich gut, wenn es um besseres Essen geht oder wer auf den geräumigeren Stühlen am Notausgang sitzen darf. Vielleicht sollten die Fluglinien auch mal beim Handgepäck versuchen, für zu große Stücke einen Aufpreis zu verlangen. Das verhindert nicht nur das Gedränge an Bord. Wer das System geschickt nutzt und Fallen vermeidet, kann davon profitieren.

5 Wege gegen Buchungsfallen

So sehr das Fernweh auch inspiriert: Auch wer spontan verreist, sollte kurz überlegen, was er braucht.

1. Vor der Buchung überlegen, wieviel Service soll es sein

Denn während der Buchung werben die Airlines geschickt mit Zusatzangeboten. Davon gilt es, sich nicht beirren zu lassen und zu überlegen, ob es etwa beim Shoppingurlaub auf dem Hinflug lohnt, das Sparangebot nur mit Handgepäck zu nutzen. In jedem Fall gilt: Es ist billiger, den Koffer gleich mit dem Flug zu buchen als nachträglich am Airport. Dazu bieten Fluglinien wie Ryanair auch die Möglichkeit, kleinere Koffer mit 15 Kilogramm aufzugeben statt der üblichen Standardgröße von 23 Kilo.

2. Servicepakete prüfen

Viele Airlines wie Germanwings bieten Pakete, wo sie neben dem Koffer auch eine Gratisreservierung für den Sitzplatz anbieten. Das in der Regel billiger als die Bestandteile einzeln zu buchen. Dank der vielen Sonderangebote können auch etablierte Fluglinien am Ende günstiger sein als Billigflieger–Tickets mit Extras.

3. Vorsicht bei Extras anderer Anbieter

Fast alle Fluglinien vermitteln im Laufe der Buchung auch Leistungen anderer Unternehmen wie Versicherungen, Mietwagen oder Hotel. Einige, wie zusätzliche Krankenversicherungen, sind oft überflüssig oder anderswo billiger. Wer sicher sein will, sucht am besten in einem anderen Browserfenster nach Alternativen.

4. Bei der Buchung nicht ablenken lassen

Obwohl es gegen EU-Recht ist, setzen immer noch Fluglinien automatisch Häkchen bei manchen Extras. Darum vor dem Weiterklicken immer genau auf die Seite schauen, ob sich da kein unerbetenes Kreuzchen eingeschlichen hat.

5. Die richtige Buchungsseite nutzen

Vor der Suche auf der Airline-Seite bei neutralen Portalen schauen. Manche wie Kayak bieten auch die Möglichkeit, gezielt nach Tarifen mit bestimmten Extras wie mit oder ohne Gepäck zu suchen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%