Bahnchef Rüdiger Grube muss nach dem angekündigten Rückzug seines Stellvertreters Volker Kefer in den nächsten Monaten um seine Vertragsverlängerung kämpfen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bekräftigte zwar die „volle Unterstützung“ des Bundes als Bahn-Eigentümer für die von Grube angekündigte Strategie mit zusätzlichen Investitionen und einer Ausweitung des ICE-Netzes.
Er nannte aber auch die Herausforderungen mehr Pünktlichkeit, kostenloses WLAN auch in der 2. Klasse des ICE und den Wettbewerb mit den Fernbussen. Ein Konzernverlust wie 2015 dürfe sich zudem nicht wiederholen.
Grubes Vertrag läuft bis Dezember 2017. Der 64-Jährige würde gern darüber hinaus im Chefsessel bleiben. Diese Frage werde beantwortet, wenn sie sich stelle, und dies sei „zum Ende dieses Jahres und nicht zur Mitte dieses Jahres“, sagte Dobrindt. „Deswegen gibt es dazu momentan überhaupt keine Überlegungen, weder in die eine noch in die andere Richtung.“
Aufsichtsrat Klaus-Dieter Hommel sagte, über Vorstandsverträge werde jeweils ein Jahr vor Ablauf entschieden. „Diese Entscheidung steht für Herrn Grube noch nicht an.“ Ambitionen auf den Posten werden auch dem früheren Kanzleramtsminister und heutigem Bahn-Vorstand Ronald Pofalla nachgesagt.
Zum zweiten Mal in acht Tagen trat am Mittwoch der Aufsichtsrat der Bahn zusammen, dabei ging es um die verlustreiche Güterbahn und die Probleme beim Bauprojekt Stuttgart 21.
Kefers Rückzug sorgt für Unruhe
Für Unruhe an der Spitze des Konzerns hatte gesorgt, dass der auch für das umstrittene Projekt Stuttgart 21 zuständige Vorstand Volker Kefer am Dienstagabend überraschend angekündigt hatte, seinen bis Ende 2017 laufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen. Er reagierte damit auf Vorwürfe aus dem Aufsichtsrat, er habe die Aufseher zu spät über Kostensteigerungen bei dem Projekt informiert, das den Bau eines Tiefbahnhofs in Stuttgart mit angeschlossener Tunnelstrecke beinhaltet.
„Wir wollen keine weiteren Überraschungen bei den Kosten und beim Zeitplan erleben“, sagte Hommel nach der Sitzung des Kontrollgremiums. Klarheit soll bis September ein Gutachten geben, dass der Aufsichtsrat im März in Auftrag gegeben hatte. Es soll auch klären, ob der bisherige Finanzierungsrahmen von 6,5 Milliarden Euro ausreicht. Der finanzielle Puffer von 500 Millionen Euro ist fast aufgebraucht. Kefer hatte vor zwei Wochen deutlich gemacht, dass sich die für 2021 geplante Eröffnung des Bahnhofs verzögern könnte.
Der Aufsichtsrat bestätigte im Grundsatz den Sanierungsplan des Vorstands für die Güterbahn DB Cargo. Er sieht vor, rund 200 der 1500 Güterbahnhöfe zu schließen. „Da sind auch welche dabei, die schon seit Jahren keinen Güterwagen mehr gesehen haben“, sagte Gesamtbetriebsratschef Jörg Hensel. Die Zentrale von DB Cargo in Mainz bleibe bestehen, bei der Zahl der Arbeitsplätze werde es dort aber nicht beim Alten bleiben
Der Vorstand hatte sich mit der Arbeitnehmerseite auf diesen Kompromiss geeinigt. Eine Zahl für den Stellenabbau wird nicht mehr genannt. Zuvor hatten die Pläne der Geschäftsführung einen Wegfall von 2100 Arbeitsplätzen in der Sparte vorgesehen. „Über die Einzelheiten wird weiterverhandelt“, kündigte Hommel an.
Die Pannen bei Stuttgart 21
Der für Stuttgart 21 zuständige Bahn-Vorstand Volker Kefer hatte im Sommer 2013 eingeräumt, mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit werde das Vorhaben 2022 fertig, mit 40-prozentiger erst 2023. Vor diesem Hintergrund scheint es wenig realistisch, dass die Inbetriebnahme 2022 zu halten ist. Offiziell hält die Bahn am Fertigstellungstermin für den Stuttgarter Bahnknoten Ende 2021 fest, auch um den Druck auf beteiligte Firmen aufrecht zu erhalten. Gegner wie Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) halten 2025 für machbarer.
Der Baufortschritt wird immer wieder durch neue Auflagen etwa beim Brand- oder Artenschutz gebremst. Ein weiterer Grund sind schleppende Baugenehmigungen - dabei ist unklar, ob das Eisenbahnbundesamt als Aufsichtsbehörde mit zu wenig Fachpersonal oder die Bahn mit womöglich unvollständigen Unterlagen verantwortlich ist. Die Verzögerungen schlagen insofern zu Buche, als dass die Bahn Firmen länger vorhalten muss als vorgesehen. Und die Erlöse aus dem Betrieb des Bahnhofs rücken immer weiter in die Ferne.
Der Puffer im vom Bahn-Aufsichtsrat 2013 beschlossenen Finanzierungsrahmen von 6,526 Milliarden Euro ist laut einer neuen Prognose des Unternehmens fast ausgeschöpft. Wenn alle neu identifizierten Risiken einträten, verblieben nur noch 15 Millionen Euro für weitere Unwägbarkeiten in den nächsten Jahren. Daraus ergibt sich ein sogenannter Gegensteuerungsbedarf von 524 Millionen Euro, der in internen Unterlagen für die nächste Aufsichtsratssitzung an diesem Mittwoch (15. Juni) in Berlin zu finden ist. Dort wird sich der Bahn-Vorstand Berichten zufolge auf starke Kritik gefasst machen müssen. Vize-Chefaufseher Alexander Kirchner sagte der Deutschen Presse-Agentur, er werde Aufklärung vom Management fordern.
Es gibt erste Überlegungen - wie den Schichtbetrieb an den Baustellen auszuweiten, eine neue Autobrücke am Bahnhof zu errichten, um die Bauarbeiten zu erleichtern, und die Bauabläufe weiter zu optimieren.
Es gibt drei große Posten. Mehrkosten von 144 Millionen Euro könnten durch eine veränderte Tunnelbauweise entstehen, um Schäden durch das aufquellende Mineral Anhydrit zu vermeiden. 147 Millionen Euro gehen auf Risiken zurück, die mit über 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit auftreten, zum Beispiel beim Arten- und Lärmschutz. Der größte Block sind 290 Millionen Euro, die womöglich durch einen langsameren Fortschritt wegen schleppender oder neu beantragter Baugenehmigungen verursacht werden. So kamen Verzögerungen zustande, weil die Bahn im Tiefbahnhof die Fluchttreppen an die Enden der Bahnsteige verlegt und den Brandschutz für deutlich stärkere Feuer auslegen muss.
In den Koalitionsverhandlungen war das Thema heftig umstritten. Die CDU wollte der Bahn Entgegenkommen signalisieren; die Grünen wollten auf jeden Fall die bisherige strikte Ablehnung, sich an Mehrkosten zu beteiligen, nicht aufweichen. Laut Koalitionsvertrag will das Land in möglichen neuen Finanzierungsgesprächen darauf bestehen, „dass über die im Vertrag genannten Kostenanteile in Höhe von 930,6 Millionen Euro hinaus von Seiten des Landes keine Zahlungen zu leisten sind“. Beim Treffen des Lenkungskreises am 30. Juni muss die Bahn den Projektpartnern von Land, Landesflughafen, Stadt und Region Stuttgart die Lage erklären. Diese fordern vehement mehr Transparenz ein.
Das S-21-Tunnelsystem von knapp 60 Kilometern Länge ist zu einem Viertel erstellt. Die Grundsteinlegung der Bodenplatte des Tiefbahnhofs ist für spätestens September 2016 anvisiert. Aus Bahn-Sicht ist dieses Ereignis der größte Meilenstein vor der Inbetriebnahme der neuen Station - wann auch immer diese sein mag.
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 meint: ja. Ein modernisierter Kopfbahnhof sei verkehrstechnisch sowie finanziell weit günstiger als die bisherige Durchgangslösung, die die Kritiker auf Kosten von 9,8 Milliarden Euro taxieren. Und was soll mit der Grube geschehen? Die kann nach Ansicht der S-21-Gegner als Bahnhof für Fernbusse dienen.
Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD beharren unterdessen auf einer Einbeziehung des Bundestags vor Entscheidungen zur umstrittenen Teilprivatisierung von Auslandstöchtern der Bahn. Vor einem Beschluss des Aufsichtsrats sollten sich der Haushalts- und Verkehrsausschuss „umfassend mit den Plänen des DB-Vorstands beschäftigen“, heißt es in einem Brief der zuständigen Fraktionsvize Arnold Vaatz (CDU), Sören Bartol (SPD), Ralph Brinkhaus (CDU) und Carsten Schneider (SPD). Das Schreiben liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
Bahnchef Grube will Minderheitsanteile der weltweit tätigen Logistiktochter Schenker und der Tochter Arriva verkaufen, die den Personenverkehr im Ausland bündelt. Dafür will der bundeseigene Konzern bis Herbst ein genaues Konzept als Grundlage für Entscheidungen vorlegen.