Aßmanns Arbeitgeber Enercon gehört zu den wenigen Ausnahmen, die mit der Güterbahn profitabel unterwegs sind. Enercon baut Windräder in Aurich und Magdeburg. Jedes Rotorblatt und jeder Turm braucht auf der Straße eine Sondergenehmigung als Schwertransport. Vor zehn Jahren entschied sich der Mittelständler deshalb, die Produkte, so oft es geht, über die Schiene zu transportieren. „Anfangs sind wir gefahren wie ein Taxi auf der Schiene“, sagt Vertriebsleiter Christian Stavermann. Der Transport auf Abruf war zwar flexibel, aber teuer. Heute fährt Enercon zwischen den Produktionsstandorten und auf anderen Strecken im täglichen Pendelverkehr – und hängt bei Nachfrage Containerwagen anderer Kunden an. „Dieses Geschäftsmodell funktioniert. Wir haben feste Abfahrts- und Ladezeiten.“ Daraus habe sich ein „profitables Geschäft entwickelt“. Ein Güterzug ersetze bis zu 50 Lastwagen.
Doch die starren Vorschriften bremsen auch Stavermanns Ambitionen aus, noch schneller zu wachsen. Vor Kurzem wollte er eine neue Linie nach Österreich ins Leben rufen, um Rotorblätter und Baustellenmaterial dorthin zu transportieren – im Idealfall mit Containern externer Kunden. Doch die Lizenz von Enercons Güterbahntochter e.g.o.o. gilt für Deutschland, aber nicht für den südlichen Nachbarn. Nun übernimmt ein beauftragter Dienstleister die Bahnfahrt durch die Alpenrepublik. „Das ist teuer und kostet Flexibilität“, sagt Stavermann.
Zahlreiche Regelungen wirken irgendwie seltsam aus der Zeit gefallen. Während ein Lastwagen innerhalb des Schengenraums jede Grenze passieren darf, muss ein Lokführer die Landessprache auf der Strecke beherrschen. Englisch als Arbeitssprache – wie in der Luft üblich – wird bei der Bahn noch nicht einmal ernsthaft diskutiert. Das Personal wird deshalb je nach Sprachkenntnis an der Grenze weggeschickt und ausgetauscht. Und an den letzten Wagen eines Güterzuges müssen Lokführer in Italien ein Blinklicht dranhängen, in Frankreich eine Dauerleuchte und in Deutschland eine Metallscheibe mit rot-weißen Kreuzen. Wer von der Rückkehr der Grenzkontrollen in Europa träumt, sollte mal bei Lokführern nachfragen, wie das in der Praxis aussieht.
Stavermann fordert endlich einen fairen Wettbewerb. Ein Lokführer darf zum Beispiel selbst in Deutschland nur auf Strecken fahren, die er kennt. Kollege Aßmann musste mehrmals von Magdeburg nach Lippstadt fahren, bis er den Güterzug alleine steuern durfte. Und das, obwohl ein schienengeführter Zug gar nicht vom Weg abkommen kann und automatisch abgebremst wird, wenn er das Höchsttempo überschreitet. Weil Stavermann jüngst keinen streckenkundigen Lokführer auftreiben konnte, ließ er einen externen Lotsen kommen, der auf einer 35 Kilometer langen Strecke über die Schulter schaute. Der koste 60 Euro pro Stunde. Ein Lkw dürfe einfach losfahren, ein „gravierender Nachteil für alle Güterbahnen“ angesichts der niedrigen Margen.
Wegen des frustrierenden Zustands des Schienengüterverkehrs beraumte Verkehrsminister Alexander Dobrindt Ende 2016 einen runden Tisch mit Güterbahnchefs und Beamten ein, der nun regelmäßig tagen soll. Die Regierung will die Trassenpreise bald senken. Den Güterbahnen winkt eine Entlastung von rund 350 Millionen Euro pro Jahr. Aber reicht das wirklich aus? Muss nicht das verfahrene System endlich im 21. Jahrhundert ankommen?
Zur Wahrheit auf der Schiene gehört auch, dass viele Probleme hausgemacht sind. Thorsten Bieker findet den Güterbahntransport eigentlich richtig gut. Seit mehr als 20 Jahren managt der 53-Jährige die Logistik beim Chemieriesen BASF. Aus seinem Bürofenster im Werk Ludwigshafen blickt er links auf ein Dutzend Gleise, auf denen Güterzüge zusammengestellt werden.