Es ist nicht so, dass bei der Bahn gar nichts funktioniert. Mancher funktioniert sogar eher zu gut. Ronald Pofalla zum Beispiel. Acht zerstrittene Bahnverbände trafen sich im Sommer vergangenen Jahres in Berlin, um zu bereden, wie sie endlich mehr Gehör in der Politik finden. Sie einigten sich darauf, künftig mit einer Stimme zu sprechen und sich auf drei Kernforderungen zu fokussieren. Eine davon: die Halbierung der Schienenmaut. Der Vorstoß war auch mit Pofalla abgesprochen, dem zuständigen Bahn-Vorstand. Und er war es, der das Thema immer wieder gegenüber der Bundesregierung platzierte.
Offenbar mit Erfolg. Das Bundesverkehrsministerium setzt nämlich trotz des unerwarteten Abgangs von Bahn-Chef Rüdiger Grube zu einem ebenso unerwarteten Hilfsprogramm für die darbenden Güterbahnen an. Noch vor der Bundestagswahl will Minister Alexander Dobrindt den Güterverkehr auf der Schiene mit einem Volumen von 330 bis 350 Millionen Euro entlasten. Die Trassenpreise, die ein Zugbetreiber pro Kilometer an die Infrastrukturtochter DB Netz zahlen muss, sollen merklich sinken. „Fachlich ist das dringend nötig“, heißt es an hoher Stelle im Ministerium. Nur so hätten die Güterbahnen eine faire Chance gegen den Lkw-Transport auf der Straße, der billiger, schneller und flexibler ist.
Die Unterstützung für die notleidenden Güterbahnen in Deutschland – inmitten des Wirbels – ist ein voller Erfolg von Pofalla. Und es ist nicht sein einziger Coup. Müsste so jemand nicht die besten Chancen haben, Grube als Bahn-Chef zu beerben? So einfach ist es aber nicht. Denn es geht um die Deutsche Bahn.
Wie die Deutsche Bahn 6,3 Milliarden Euro vergeudet
Umwandlung der Bundes- und der Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG mit den Töchtern Fernverkehr, Regionalverkehr, Güterverkehr, Bahnhöfe und Netz.
Hartmut Mehdorn wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme von Stinnes Logistik mit der Spedition Schenker. (Kosten: 2,5 Milliarden Euro)
Übernahme des US-Logistikdienstleisters Bax Global. (Kosten: Eine Milliarde Euro)
Ausgliederung des Beförderungs- und Transportgeschäfts in die DB Mobility Logistics AG mit dem Ziel des Börsengangs (wegen der Finanzkrise abgeblasen).
Rüdiger Grube wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme des britischen Nahverkehrsanbieters Arriva. (Kosten: 2,8 Milliarden Euro)
Endgültiger Abschied vom Börsengang.
Schenker und Arriva sollen - zunächst in Teilen - wieder verkauft werden.
Pofalla, der frühere Kanzleramtsminister, pflegt zwar einen ganz engen Draht in die Bundesregierung und hat ein Gespür dafür, wie sich Politiker überzeugen lassen. Doch genau das ist jetzt sein Problem: Viele Kontrolleure und Politiker schätzen Pofalla zwar als gewieften Strippenzieher, nicht aber als Topkandidat für die Grube-Nachfolge. Dessen plötzlicher Rücktritt trifft daher nicht nur die Deutsche Bahn in einer schwierigen Phase. Der Fernverkehr schwächelt, der Nahverkehr strauchelt, und die Güterbahn ist seit jeher ein Krisenfall. Auch für Pofalla kommt der Abgang zu früh. Ihm fehlt die nötige Managerkompetenz. Das Büro hoch oben im Bahntower am Potsdamer Platz in Berlin bleibt erst einmal leer, der Konzern führungslos.
Dabei galt der CDU-Politiker und Duz-Freund von Grube als Kronprinz, seit er vor zwei Jahren zur Bahn wechselte. Pofalla übernahm die Rechts- und Lobbyabteilung und machte das, wofür er geholt wurde: Er besorgte Geld für den Konzern. So sagte Dobrindt der Bahn im Herbst 2016 überraschend eine außergewöhnliche Finanzspritze in Höhe von 2,7 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre zu. Der Bund erhöht das Eigenkapital und verzichtet auf Dividende. In Wahrheit war das ein riesiges Rettungspaket. Nur so bekommt die Bahn die Verschuldung in den Griff. Der Konzern verzichtete daraufhin auf den geplanten Teilverkauf der Auslandstochter Arriva und der Spedition Schenker. Es war Pofallas Werk.
Doch in Bahn- wie Regierungskreisen regt sich trotzdem Widerstand gegen eine mögliche Berufung von Pofalla. Eigentlich wollte der erfolgreiche Lobby-Vorstand nun unter Beweis stellen, dass er auch operativ erste Klasse ist. Der Manager leitet seit Januar den Bereich Infrastruktur. Den Chefposten hätte er dann von Grube in den nächsten Jahren geschmeidig übernehmen können. So war der Plan. Doch nun ist Grube weg.
Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Sauberkeit
Formal muss der Bundesverkehrsminister einen neuen Bahn-Chef nominieren. Dobrindt hat zunächst den Aufsichtsrat mit der Suche beauftragt. „Die Bahn braucht einen Manager und Techniker, keinen Politiker“, heißt es aus dem Gremium. In Wahrheit läuft die Personalie ohnehin über die Tische der großen Koalition. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte sofort ein Mitspracherecht bei der Personalie. Die SPD könne derzeit keinen Kandidaten erkennen, „der sich sofort aufdrängt“, sagt Fraktionsvize Sören Bartol. Konzernweit hofft man auf eine Lösung bis März.
Tatsächlich kommen die Chaostage in Berlin äußerst ungünstig. Vor einem Jahr startete der Vorstand ein radikales Reformprogramm, das den Nah-, Fern- und Güterverkehr auf der Schiene zu einem Aushängeschild des Staatskonzerns machen sollte. Das Unternehmen wollte zurück zu alten Tugenden: Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Sauberkeit. Grube war verantwortlich.
Tatsächlich gibt es auch Lichtblicke, vor allem im Fernverkehr. Das Unternehmen konnte die Abläufe an den Bahnhöfen verbessern, sodass sich die Abfahrtspünktlichkeit der ICE- und Intercity-Züge deutlich erhöhte. Der Betrieb hat sich stabilisiert. Außerdem verstärken neue ICE-Züge die Flotte ab Jahresende. Andererseits bleibt das Geschäft unter Druck. Die Sparpreise im Fernverkehr als Reaktion auf die Fernbusse treiben zwar den Umsatz nach oben, gehen aber zulasten der Rendite.
Der Nachfolger von Grube braucht daher sowohl ein Gespür für den Markt als auch Kennnisse, wie das Eisenbahn-Geschäft in Deutschland funktioniert.
Ein externer Manager wird daher wahrscheinlicher: Der Chef der Schweizer Bundesbahnen (SBB), Andreas Meyer, wäre ein Kandidat. Er war bereits 2009 im Gespräch, als die Regierung Ersatz für Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn suchte. Meyer hat die SBB inzwischen zehn Jahre lang erfolgreich geführt. Und er kennt die Bahn von innen. Bis 2006 war er in führenden Positionen des Berliner Staatskonzerns tätig.
Auch über ein Comeback von Volker Kefer wird spekuliert. Der 61-Jährige war bis Ende 2016 Vize-Konzernchef. Er warf das Handtuch im Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Kefer war außerdem unzufrieden, weil die geplante Verlängerung mit Grube seine Aussicht auf die Nachfolge minimierte. Kefer hat im Aufsichtsrat einige Unterstützer, wenngleich sein Führungsstil umstritten ist.
Dann wäre da noch ein dritter Name, der als aussichtsreich gilt: Siemens-Mobility-Chef Jochen Eickholt. Der 55-Jährige bringt genau das mit, was Kritiker vom Neuen erwarten: technische Expertise und Konzernerfahrung. Eickholt ist studierter Elektrotechniker und als Chef für die Nah- und Hochgeschwindigkeitszüge verantwortlich.
Vor allem die Güterbahn braucht eine schnelle Lösung
Die Zeit für den personellen Neuanfang drängt, denn der Staatskonzern braucht vor allem bei der Güterbahn eine schnelle Lösung. Zunächst führt Finanzvorstand Richard Lutz die Geschäfte weiter. Doch er wird die Probleme nicht beheben. Die Entwicklung bei DB Cargo sei „eine reine Katastrophe“, klagt ein Aufsichtsrat. Das Kontrollgremium hatte sich am vergangenen Montag intensiv mit der Geschäftssparte auseinandergesetzt, die seit Jahren den Erwartungen hinterherfährt. 2016 brach der Umsatz um vier Prozent auf 4,6 Milliarden Euro ein – ein Rekordminus. Eine Kehrtwende ist frühestens für 2018 geplant.
Doch selbst das ist nur wahrscheinlich, wenn die geplanten Reformen auch wirklich greifen. Aus neun Betriebsregionen in Deutschland will das Management drei machen. Ein Zug soll künftig von einem Disponenten betreut werden und nicht wie bisher an virtuellen Gebietsgrenzen übergeben werden. Gleichzeitig setzt das Management auf Innovationen wie Güterwagen, die ihren Standort senden – im Vergleich zur Lkw-Branche, die schon automatisiertes Fahren plant, ziemlich antiquiert.
Offenbar ist auch der Aufsichtsrat skeptisch, ob das reicht. Zwar hat er die Maßnahmen abgenickt, setzt dem Management aber einen Aufpasser an die Seite. Ein Sachverständiger soll die Sanierungsprozesse bei DB Cargo begleiten, erfuhr die WirtschaftsWoche. Es gibt zwar bereits eine Unternehmensberatung, die sämtliche Prozesse auf den Prüfstand stellt. Doch nun soll wohl eine zusätzliche Instanz McKinsey kontrollieren.
Der Vorgang ist so einmalig wie der Ablauf der gesamten Aufsichtsratssitzung, auf der Grube seinen unerwarteten Rücktritt erklärte. Vor allem dem Chefaufseher Utz-Hellmuth Felcht ist die Sitzung voll entglitten. Am Montagmorgen im 21. Stock des Bahntowers hatte sich Felcht im vierköpfigen Personalausschuss mit den Aufsichtsratskollegen vorab auf eine dreijährige Vertragsverlängerung für Grube geeinigt. Doch Felcht weihte andere Kontrolleure nicht ein. Als Aufsichtsratsmitglied Jürgen Großmann später in großer Runde Zweifel äußerte, entfachte sich eine Eigendynamik. Immer mehr Aufsichtsräte sprachen sich gegen die drei Jahre aus.
Einerseits, weil Grube schon 66 Jahre alt ist, andererseits, weil die Erfolge des Bahn-Chefs allenfalls mäßig ausfallen. Die Arbeitnehmer machten ihr Okay für Grube daraufhin von der Einstimmigkeit auf der Arbeitgeberseite abhängig. Felcht konnte die Kritiker nicht mehr einfangen – eine totale Fehlleistung. Es ist nicht der einzige Fehltritt des früheren Degussa-Managers. Immer wieder warfen ihm Aufsichtsratskollegen einen Mangel an Professionalität vor. Die Sitzungen seien schlecht vorbereitet und zu langatmig. Es gebe zu viel Klein-Klein, keinen Fokus aufs Wesentliche.
Ein Kontrolleur monierte bereits vor einigen Jahren das vertraute „Du“, das Felcht mit den Bahn-Bossen pflege. Ein anderer sagte: Felcht referiere lieber ausschweifend über herunterfallende Klodeckel in der ICE-Toilette, statt sich auf die wahren Probleme zu konzentrieren.
Deshalb wird Felcht seinen Job wohl verlieren. Die mangelhafte Leistung des 70-Jährigen könnte ganz neue Optionen für die Koalition eröffnen. Union und SPD hätten dann jeweils einen neuen Posten zu vergeben.