Deutsche Bahn Jetzt kommt der harte Kurswechsel

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"Die Bahn zahlt bei jedem Euro, den sie in neue Züge steckt, drauf"

Doch selbst Grube, der Mehdorn nach dem abgeblasenen Börsengang 2008 und einer Spitzelaffäre 2009 ablöste, änderte an dem Kurs zunächst nichts und erwarb weiter Töchter. Erst der Einbruch im operativen Geschäft seit 2013, verursacht durch die Fernbus-Konkurrenz und notorische Verluste bei der Güterbahn, öffnete dem 64-Jährigen die Augen, dass er die Strategie stoppen muss, will er das Eisenbahngeschäft langfristig nicht aufs Spiel setzen.

Diese Gefahr ist inzwischen beträchtlich. Die Eigenmittel für Investitionen schrumpfen. Das Eisenbahngeschäft aber ist kapitalintensiv, drei Viertel des Kapitals steckt im Schienennetz, in Zügen und Bahnhöfen. Doch dessen Verzinsung sinkt, anstatt zu steigen. „Letzteres ist aber essenziell“, so Grube im Aufsichtsrat.

Wer nach Grubes Umbau im Bahn-Vorstand sitzt
VorstandsvorsitzenderRüdiger Grube (64) ist seit Mai 2009 Vorsitzender des Vorstands. Sein Vertrag läuft bis Ende 2017. Quelle: dpa
FinanzvorstandRichard Lutz (51), zuständig für Finanzen und Controlling, verantwortet zusätzlich für die internationale Bustochter Arriva und die Gütertransporte jenseits des Schienenverkehrs zuständig sein (Lastwagen, Schiff, Flugzeug). Quelle: REUTERS
Vorstand für Infrastruktur und DienstleistungenVolker Kefer (60) ist seit Herbst 2009 im Vorstand. Er fungiert inzwischen als Stellvertreter Grubes und wie zuletzt das Ressort Infrastruktur und Dienstleistungen leiten, ergänzt um Teilbereiche der Technik. Die Aufgaben der Techniksparte wurden nach dem Weggang ihrer Chefin Heike Hanagarth verteilt Quelle: dpa
PersonalvorstandUlrich Weber (66 ), Personalvorstand, ist aus dem langen Tarifkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL bekannt. Er durfte bleiben. Quelle: dpa
RechtsvorstandRonald Pofalla (56), löste Gerd Becht (63) als Konzernvorstand für Regeltreue, Datenschutz, Recht und Konzernsicherheit ab. Außerdem behält der Ex-Kanzleramtschef seine bisherige Aufgabe bei der Bahn: die Kontaktpflege zu Politikern im Bund und bei der EU in Brüssel. Quelle: dpa
Vorstand Personen- und GüterverkehrBerthold Huber (52), war bis August 2015 Chef der Bahntochter DB Fernverkehr. Seitdem leitet er als Vorstandsmitglied nicht nur den gesamten Personenverkehr, sondern auch die Güterbahn. Quelle: dpa
AusgeschiedenUlrich Homburg (60) schied im August 2015 als Vorstand für den Personenverkehr aus dem Gremium aus. Berthold Huber ersetzt aber nicht nur Homburg, sondern auch... Quelle: dpa

Ausdruck für die desolate Lage ist der Gewinn, bezogen auf das Kapital, mit dem die Bahn arbeitet. Der betrug im ersten Halbjahr 2015 nur magere fünf Prozent „und liegt damit deutlich unterhalb unserer Kapitalkosten“, sagt Finanzchef Lutz. Das heißt, die Bahn zahlt bei jedem Euro, den sie in neue Züge oder Weichen steckt, drauf.

Das Geschäftsjahr 2014 der Deutschen Bahn

Grubes Pläne kosten Geld, das sie Bahn nicht hat

Gleichzeitig gelang es Grube bislang nicht, die Verschuldung zu drücken und so genügend Mittel für Investitionen in Züge freizuschaufeln. 2015 könnten die Verbindlichkeiten auf den Rekordwert von 18 Milliarden Euro steigen – ein Plus von elf Prozent innerhalb nur eines Jahres.

Wie Grube die ambitionierten Pläne erfüllen will, die er zuletzt präsentierte, ist unklar. So soll sein neuer Super-Eisenbahn-Chef Huber bis 2030 im Fernverkehr eine Leistung von 160 Millionen Zugkilometern pro Jahr schaffen, 25 Prozent mehr als heute. Dafür muss er aber 130 neue ICE-Züge für 5,3 Milliarden Euro in Dienst stellen, weitere könnten folgen. 200 Millionen Euro kostet allein die Renovierung der ICEs der dritten Generation von 2016 an. Außerdem werden 660 Millionen Euro fällig, um alte Intercitys durch Doppelstockzüge zu ersetzen. Mit insgesamt zwölf Milliarden Euro schlägt die Offensive zu Buche, hinzu kommen weitere Milliarden fürs Schienennetz.

Die größten Pannen der Deutschen Bahn
Juli 2015Wegen der großen Hitze sind die Luftkühlungen mehrerer IC-Züge ausgefallen. Anders als im Sommer 2010 reagierte die Bahn diesmal schnell: Sie stellte für die besonders betroffene Linie Berlin-Amsterdam zwei Ersatzzüge bereit. Sie sollen eingesetzt werden, wenn die Luftkühlung in anderen IC auf der Strecke versagt, wie ein Sprecher mitteilte. Außerdem wurden in Osnabrück mehrere Busse stationiert. Dort mussten insgesamt mehrere Hundert Fahrgäste in nachfolgende Züge umsteigen, weil in ihren Zügen die Klimaanlage ausgefallen war. Es habe aber kein Fahrgast gesundheitliche Probleme bekommen, so der Sprecher. Bei etwa einem Dutzend älterer Intercitys auf der Linie Berlin-Amsterdam hatten die Klimaanlagen ihre Arbeit eingestellt. Quelle: dpa
Oktober 2014Ein Warnhinweis sorgt für Lacher, Spott und eine Entschuldigung der Deutschen Bahn: „Cannstatter Wasen: Es ist mit Verspätungen, überfüllten Zügen und verhaltensgestörten Personen zu rechnen“ ist am Samstag auf den Anzeigetafeln an mehreren Bahnhöfen in der Region Stuttgart zu lesen gewesen, wo das Volksfest an seinem letzten Wochenende in diesem Jahr wieder Tausende Besucher anlockte. „Wir entschuldigen uns dafür“, sagte eine Bahn-Sprecherin am Sonntag und bestätigte Online-Berichte der „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“. Ein Mitarbeiter habe den Text entgegen aller Vorgaben verfasst. Er werde Anfang der Woche zum Rapport bestellt. Dann solle auch der gesamte Vorgang aufgeklärt werden. Quelle: dpa
August 2013Ein ungewöhnlich hoher Krankenstand in der Urlaubszeit sorgte im August 2013 für ein Fahrplanchaos am Mainzer Hauptbahnhof - und für massiven Ärger bei den Fahrgästen. Die Deutsche Bahn hat für das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof wegen massiver Personalprobleme auf Facebook um Entschuldigung gebeten. „Für die derzeitigen Einschränkungen möchte ich mich entschuldigen“, antwortete ein Mitarbeiter in dem Sozialen Netzwerk auf Beschwerden einer Nutzerin. Die Situation sei „wahrlich nicht schön“. Quelle: dpa
August 2013Um dem Problem der häufig verstopften und verdreckten Zugtoiletten Herr zu werden, setzt die Bahn ab sofort neue Reinigungskräfte, sogenannte Unterwegsreiniger, in ICE-Zügen ein. Die Reinigungskolonne, die auf der Fahrt die Toiletten putzt, wird um 50 Beschäftigte auf 250 aufgestockt, wie der Vorstandsvorsitzende DB Fernverkehr, Berthold Huber, ankündigte. Die Mitarbeiter sollen zugleich stärker entsprechend der Zugauslastung eingesetzt werden. Damit würden die Toiletten in besonders gefragten Bahnen mindestens zweimal und damit doppelt so oft auf der Fahrt gereinigt wie bisher. Der Fahrgastverband Pro Bahn und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) lobten die Initiative, wiesen aber zugleich auf andere Probleme hin. „Neben den kaputten oder dreckigen Toiletten gibt es tagtägliche Kundenbeschwerden vor allem über die Klimaanlagen und Verspätungen“, sagte Pro-Bahn-Bundessprecher Gerd Aschoff. Und das sind nicht die einzigen Pannen der Deutschen Bahn... Quelle: dpa
November 2011Nach der persönlichen Anmeldung im neuen elektronischen Ticketsystem „Touch & Travel“ waren für nachfolgende Nutzer die Kundendaten sichtbar. Quelle: dpa
Juli 2010Am einem Wochenende fallen in mehreren ICE-Zügen die Klimaanlagen aus. Fahrgäste kollabierten, Schüler mussten dehydriert ins Krankenhaus eingeliefert werden. Im Zuge der Panne wurde bekannt, dass die Klimaanlagen der Bahn nur bis 32 Grad funktionieren. Damals fielen in Dutzenden Zügen die Klimaanlagen aus. Quelle: dpa
April 2010 - ICE verliert TürBei voller Fahrt verliert ein ICE auf dem Weg von Amsterdam nach Basel eine Tür. Das Stahlteil schlägt in einen entgegenkommenden ICE ein. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln werden sechs Menschen leicht verletzt. Ursache für den Unfall ist eine lose Stellmutter an der Verriegelung. Foto: dpa

Von 2008 bis 2015 verbrannte die Bahn eine halbe Milliarde Euro

An so viel Geld, so Grubes Einsicht, kann die Bahn nur auf drei Wegen gelangen. Entweder sie zapft den Steuerzahler an. Doch der überweist der Bahn bis 2019 schon acht Milliarden Euro mehr als in den letzten fünf Jahren – nicht machbar, auch wenn sich der Betrag teils aus der Bahn-Dividende speist. Oder die Bahn macht mehr Schulden, „was wir definitiv aber nicht vorhaben“, so Lutz.

Damit bleibt dem Bahn-Chef nur, mit der Vergangenheit aufzuräumen. Ein erster Schritt ist die Abschaffung der Zwischenholding DB Mobility Logistics, in die Vorgänger Mehdorn das Transport- und Logistikgeschäft ausgegliedert hatte, um dieses Konstrukt unabhängig vom Schienennetz an die Börse zu bringen. Durch Abschaffung der Zwischenholding spart die Bahn jährlich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Rückblickend verbrannten Mehdorn und Grube damit von 2008 bis 2015 bis zu eine halbe Milliarde Euro.

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