Der Gang nach Brüssel ist für Vorstandsvorsitzende europäischer Staatsbahnen gelebte Routine. Doch wenn Bahnchef Rüdiger Grube heute in Brüssel aufschlägt, dürfte das Treffen mit EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc von der gewohnten Agenda abweichen. Grube ärgert es, dass die Deutsche Bahn zu Hause auf eine Vielzahl von Wettbewerbern trifft, während er im europäischen Ausland ausgesperrt bleibt. Diesen Missstand will er ändern.
Außerhalb des Heimatmarktes ist die Deutsche Bahn auf dem europäischen Festland zwar als Güterbahnbetreiber unterwegs. In Frankreich und Großbritannien gehört die Deutsche Bahn sogar zu den größten Wettbewerbern der einstigen Staatsbahnen. Doch vor allem im Personenverkehr sind viele Märkte geschütztes Terrain.
„Die Öffnung der Märkte in der EU kommt nicht voran“, sagt Frank Miram, Leiter Wirtschaft, Politik und Regulierung bei der Deutschen Bahn. Er wird Grube zusammen mit Lobby-Vorstand Ronald Pofalla in Brüssel begleiten. Vor allem Frankreich schotte sich ab. „Frankreich ist komplett dicht.“
Das hochkarätige Trio will Druck machen auf Bulc. Die EU fordert zwar die Liberalisierung der Schienenmärkte spätestens ab 2019, aber Fortschritte sind kaum absehbar. Noch immer hängt ein großes Reformprojekt der Kommission, das vierte Eisenbahnpaket, im parlamentarischen Prozess fest. In Italien gibt es zwar Konkurrenz im Fernverkehr auf der Schiene, aber kaum im Nahverkehr. Frankreich lässt zwar Wettbewerb bei städtischen U-Bahn- und Bussystemen zu – mehr als in Deutschland sogar -, aber mauert vor allem beim Verkehr mit Regionalzügen. Ähnlich schlecht sind die Chancen, im französischen Schienenfernverkehr Fuß zu fassen.
Insgesamt lässt sich festhalten: Es zeigen sich die Nachteile eines europäischen Verkehrsmarktes, der fast ausschließlich mit Staatsbahnen besetzt ist. Eine Regierung, die den eigenen Schienenverkehrsmarkt liberalisiert, muss nämlich zwangsläufig mit zusehen, dass ihre heimische Staatsbahn unter Druck gerät. Das ist zwar langfristig sowohl für Kunden als auch für das Unternehmen selbst von Vorteil, doch kurzfristig sind harte Einschnitte wie Personalabbau unvermeidbar. Viele Regierungen scheuen diesen Weg.
Und so entwickeln sich die Verkehrsmärkte sehr unterschiedlich. Positive Ausnahmen sind Großbritannien und Schweden. Beide Länder lassen ausländische Wettbewerber gewähren. Hier ist auch die Bahn-Tochter Arriva besonders aktiv. Doch die meisten anderen Märkte bleiben schwierig.
Dies geht auch zulasten der Deutschen Bahn. Im Heimatmarkt kommt sie immer stärker unter Druck. Denn Deutschland ist früh den Weg der Liberalisierung gegangen. Im Nahverkehr sank ihr Marktanteil im vergangenen Jahr auf nur noch 71 Prozent. Ende 2016 dürfte er auf 67 Prozent fallen. An dieser Situation dürfte sich zudem kaum etwas ändern. Es sind neue Wettbewerber nach Deutschland gekommen, die an künftigen Ausschreibungen im Nahverkehr großes Interesse haben. Britische Unternehmen wie Go Ahead und National Express gehen besonders aggressiv vor.
Die Deutsche Bahn braucht deshalb zusätzliche Optionen jenseits der Grenzen. Darauf wird Grube hinweisen, wenn er EU-Kommissarin Bulc heute den neuen Wettbewerbsbericht der Deutschen Bahn vorlegt. Dort ist von einer „dynamischen Entwicklung“ im deutschen Personenverkehrsmarkt und einer „positiven Entwicklung“ im Güterverkehrsmarkt die Rede. Soll heißen: Der Wettbewerb in Deutschland funktioniert.
Dabei ist auch Deutschland in Sachen Wettbewerb wahrlich kein Musterschüler. Erst kürzlich monierte das Bundeskartellamt unfaire Konditionen bei den Vertriebspraktiken der Deutschen Bahn. Das Eisenbahnregulierungsgesetz hat der Bundestag zudem erst vergangene Woche verabschiedet. Es sieht schärfere Kontrollen der Schienennetztochter der Deutschen Bahn vor. So müssen die Trassenpreise künftig vorab von der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Die Verschärfung ist sinnvoll, um Missbrauch zu verhindern.
Doch eine ähnliche Novelle ist in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert – auch durch Intervention der Deutschen Bahn. Die Staatsbahnen agieren allzu oft janusköpfig. Sie fordern eine Liberalisierung im Ausland, aber missbilligen eine Änderung des Status quo in ihrer Heimat.
Die Folgen dieses Ränkespiels: Der Marktanteil der Schiene insgesamt in Deutschland verharrt hartnäckig bei acht Prozent im Personenverkehr und bei 17 Prozent im Güterverkehr. Das ist die traurige Nachricht, die Grube mit nach Brüssel nimmt. Und es dürfte sich wenig ändern. Die Mineralölpreise sind niedrig, was den Lkw-Transporteuren in die Hände spielt. Und den Fernbusmarkt hat selbst Frankreich inzwischen komplett freigegeben. Die Zeiten für Europas Eisenbahnen werden rauer.