Als Rüdiger Grube 2009 zum neuen Vorstandschef der Deutschen Bahn ernannt wurde, war sein Name nur wenigen Leuten ein Begriff. Grube war damals noch Strategievorstand bei Daimler. Doch die Spuren, die er hinterließ, waren kaum sichtbar. Er fädelte zwar den Ausstieg des Autokonzerns aus der ungeliebten Liaison mit Chrysler ein und vertrat Daimler im Verwaltungsrat beim Flugzeugbauer EADS. Doch wenige Monate nachdem Grube Daimler in Richtung Berlin verließ, wurde sein Vorstandsposten ersatzlos gestrichen.
Grubes Bilanz fällt auch bei der Deutschen Bahn wenig schmeichelhaft aus. Der Vorstandsvorsitzende steuert auf sein neuntes Jahr als Bahnchef zu. Seitdem ist viel passiert, aber wenig zum Guten. Die Fernbusse treiben die Fernverkehrssparte vor sich her, die Wettbewerber luchsen der Nahverkehrstochter DB Regio wertvolle Verkehrsverträge ab und die Güterbahntochter DB Cargo steckt im existenzbedrohenden Sanierungsstau. Acht Jahre haben nicht gereicht, um den Konzern in allen Sparten auf die Erfolgsspur zu bringen.
Und so paradox es klingt: Genau aus diesem Grund darf Grube als oberster Bahner weitermachen. Auf der heutigen Aufsichtsratssitzung wird Grubes Vertrag, der eigentlich Ende dieses Jahres ausläuft, aller Voraussicht nach um mindestens zwei Jahre verlängert. Wahrscheinlich ist, dass es drei Jahre werden. Damit wäre Grube bis Ende 2020 Bahnchef. Kein Vorgänger hätte länger gedient als er.
Wie die Deutsche Bahn 6,3 Milliarden Euro vergeudet
Umwandlung der Bundes- und der Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG mit den Töchtern Fernverkehr, Regionalverkehr, Güterverkehr, Bahnhöfe und Netz.
Hartmut Mehdorn wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme von Stinnes Logistik mit der Spedition Schenker. (Kosten: 2,5 Milliarden Euro)
Übernahme des US-Logistikdienstleisters Bax Global. (Kosten: Eine Milliarde Euro)
Ausgliederung des Beförderungs- und Transportgeschäfts in die DB Mobility Logistics AG mit dem Ziel des Börsengangs (wegen der Finanzkrise abgeblasen).
Rüdiger Grube wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme des britischen Nahverkehrsanbieters Arriva. (Kosten: 2,8 Milliarden Euro)
Endgültiger Abschied vom Börsengang.
Schenker und Arriva sollen - zunächst in Teilen - wieder verkauft werden.
Ausgerechnet die schlechte Lage der Deutschen Bahn sichert Grube nun die Vertragsverlängerung. Vor etwa einem Jahr startete der Konzern nämlich ein radikales Umbauprogramm. Die bis zu 50 Einzelmaßnahmen sollen die Deutsche Bahn wirtschaftlich erfolgreicher machen. Das Programm kommt eigentlich viel zu spät. Es hätte schon vor vier oder fünf Jahren eingeleitet werden müssen. Aber weil es Erfolg verspricht, so heißt es im Aufsichtsrat, soll es Grube nun persönlich verantworten und exekutieren. Die dahinter liegende Botschaft: Besser spät als nie.
Die Begründung für die Vertragsverlängerung dürfte Grube daher wohl selbst am wenigsten erfreuen. Denn nicht der erreichte Konzernerfolg ist das ausschlaggebende Argument für den Deal, sondern der erhoffte Turnaround irgendwann in der Zukunft. Mit solchen Vorschusslorbeeren und Hoffnungswerten holt man normalerweise Manager zu einem Unternehmen dazu, weil man Zukunft neu gestalten will. Aber als Argument für eine Vertragsverlängerung wirkt die Begründung wenig überzeugend.
Zumal Grube in der Vergangenheit allzu oft gezeigt hat, dass seine ausgerufenen Ziele und Maßnahmen nicht immer nachhaltig waren. Den Umsatz wollte er einmal auf 70 Milliarden Euro bis 2020 verdoppeln. Dazu berief er 2012 große Konferenzen ein. Das Ziel wurde inzwischen abmoderiert. Es ist schlicht nicht erreichbar. Der Umsatz lag 2016 bei rund 41 Milliarden Euro.
Der neuen Konkurrenz auf der Straße wollte man in dem 2013 liberalisierten Fernbusmarkt trotzen, indem man erst einmal abwartet und die eigene Fernbustochter BLB an der kurzen Leine hält. Doch der Markt explodierte. Zwei Jahre später kündigte der Vorstand dann eine Vervielfachung der Linien an. Nun wurde das Geschäft Ende 2016 eingestellt. Rein, raus, rein, raus.
Die Bahn wollte auch die Konzerntöchter Schenker und Arriva in diesem oder den kommenden Jahren in Teilen an der Börse verkaufen. Das kündigte Grube vor einem Jahr an. Damit sollte die Verschuldung gedrückt werden. Inzwischen sind die Pläne wieder einkassiert. Der Brexit sei dazwischen gekommen, heißt es als Begründung. Doch Schenker hätte man auch ohne Brexit verkaufen können. Die Wahrheit ist, dass die Bahn vom Bund mit einer Sondergeldspritze in Höhe von 2,4 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren gepampert wird. Das verkündete der Verkehrsminister Alexander Dobrindt im Herbst 2016. An solchen Tagen wirkt der Konzern eher wie eine Behördenbahn statt eine Deutsche Bahn AG.
Die Güterbahn sollte bis 2014 kernsaniert werden. Oder zumindest wollte die Bahn bis dahin ein neues Konzept einleiten, dass die Produktionsprozesse auf den Kopf stellt. Doch 2015 sorgte dann eine Sonderabschreibung bei DB Cargo für den ersten Konzernverlust seit zwölf Jahren. Heute ist die Situation bei DB Cargo schlechter denn je. Im vergangenen Jahr ging der Umsatz erneut um vier Prozent zurück. Die Alarmglocken schrillen laut.
Nun darf Grube also noch einmal und ein letztes Mal beweisen, dass er die Deutsche Bahn nach vorne bringt. Der eigentliche Ideengeber des Umbauprogramms „Zukunft Bahn“, Volker Kefer, hat den Konzern inzwischen verlassen. Immerhin stellen sich inzwischen erste Erfolge ein. Die Abfahrtspünktlichkeit der ICE- und Intercity-Züge an den Startbahnhöfen hat sich deutlich verbessert. Die Züge kommen also nach ihrem Stopp in der Werkstatt oder dem Betriebshof schneller auf die Piste. Die Fern- und Nahverkehrssparten wirken robuster als vor einem Jahr. Außerdem dürften die neuen ICE4-Züge und die neue Schnellstrecke zwischen Berlin und München ab Ende des Jahres einen positiven Effekt auf die Konzernergebnisse haben.
Mit dem Erfolg und Misserfolg des Programms steht und fällt das abschließende Image von Grube als Bahnmanager. Kriegt er den Konzern auf die Spur, hat der Aufsichtsrat auf der heutigen Sitzung alles richtig gemacht. Wenn nicht, steht Grube 2020 für zwölf verlorene Jahre, in der der Staatskonzern nicht wirklich vom Fleck gekommen ist.