Ronald Pofalla steht in der hintersten Reihe einer Gruppe von Bahn-Mitarbeitern, seine Arme hängen seitlich herab. Ganz vorne steht sein Chef, Rüdiger Grube, er eröffnet in der Technischen Universität in Berlin ein Akustiklabor. Die Kameras zoomen auf Grube, als er doziert, wie die Deutsche Bahn Schienenlärm reduzieren will: mehr Flüsterbremsen, höhere Lärmschutzwände, bessere Schienenschleifsysteme.
Auf Pofalla zoomt niemand, ganz still steht er an seinem Platz ganz hinten. Als Grube fertig ist, trottet er hinter seinem Chef zurück zur Bahn-Zentrale am Potsdamer Platz. Den ganzen Termin, 90 Minuten lang, hat er kein Wort gesagt.
Hinten stehen und zuhören – das ist Pofallas neue Welt. Seit Januar dieses Jahres ist der CDU-Politiker Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen der Deutschen Bahn. Er tauschte Macht gegen Geld. Als Chef des Bundeskanzleramts war Pofalla engster Vertrauter von Kanzlerin Angela Merkel. Wer zu ihr wollte, bat ihn um Audienz. Heute ist der gebürtige Klever selbst einer derjenigen, der Zugänge sucht; ein Dienstleister. Pofalla hilft nun anderen dabei, zu gestalten.
Selbst gestaltet er eher seine Karriere: Noch im August soll Pofalla in den Vorstand des Konzerns aufrücken, erfuhr die WirtschaftsWoche aus Bahn-Kreisen. Er soll den Aufgabenbereich von Rechtsvorstand Gerd Becht übernehmen, der offenbar in den Ruhestand wechselt. Gleichzeitig behält Pofalla seine Zuständigkeit für die Kontaktpflege in die Politik.
Bis dahin möchte man bei der Bahn aber wenig Lärm um die Personalie machen. Das liegt auch daran, wie sein Wechsel zustande kam. Grube wollte Pofalla direkt in den Vorstand holen. Doch Opposition und Medien empörten sich, der Widerstand im Aufsichtsrat wurde zu groß. Grube parkte Pofalla auf der zweiten Führungsebene. Die Bundesregierung beschloss gar ein Gesetz, das längere Wartezeiten für Minister vorsieht, wenn diese in die Wirtschaft wechseln.
Pofallas leiser Einstieg bei der Bahn
Nach so viel Aufsehen hat sich Pofalla in seinen ersten 200 Tagen für einen leisen Einstieg in die Welt der Bahn entschieden. Termine wie die Grube-Begleitung an der TU Berlin sind typisch in seinem Arbeitsleben. Antrittsbesuch mit dem Chef beim Minister, den Staatssekretären, den Länderverkehrschefs. Wie ein Schulbub sitzt Pofalla dann da, erzählen Leute, die ihn beobachtet haben. Er hört artig zu und spricht nur, wenn er gefragt wird. „Geschieht das, dominiert er aber gleich die Diskussionen“, erzählt einer, der bei solchen Terminen dabei war.
Schließlich ist Pofalla ein politisches Schwergewicht. Grube holte ihn zur Bahn, weil er Kontakte in die Ministerien hat und bei der Bahn wichtige Weichenstellungen anstehen: Bund-Länder-Verhandlungen über das zukünftige Budget für den Nahverkehr, neue Gesetze zur Eisenbahnregulierung, Streit über das Vorhaben, Nacht- und Autoreisezüge einzuschränken: Grube wurde all dies zu viel. Pofalla muss die Stimmung bei Kommission, Bund und Ländern zugunsten der Bahn beeinflussen. Er soll die Bahn als Partner ins Gespräch bringen und aus der Schusslinie holen.
Die wichtigsten Baustellen der Bahn 2015
Von Mitte Januar bis Anfang Mai wird auf der Nord-Süd-Verbindung der Oberbau, die Leit- und Sicherungstechnik und der Tunnel unter die Lupe genommen. In dieser Zeit ist die Strecke zwischen Gesundbrunnen und Yorkstraße gesperrt. Von Ende August bis Ende November wird außerdem eine Brückenkonstruktion am erst 2006 eröffneten Berliner Hauptbahnhof saniert. Fernzüge halten dann im unteren Teil des Kreuzungsbahnhofs.
Mitte Mai sollen auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwölf Weichen erneuert werden. Während der Bauzeit wird die Strecke gesperrt. Der Fernverkehr wird von Hannover über die alte Strecke nach Göttingen umgeleitet. Das dauert 30 Minuten länger.
Von Mitte April bis Mitte Mai werden auf der ICE-Strecke 44 Kilometer Schienenstrang ausgewechselt. Dazu wird die Strecke durch den Westerwald an vier Wochenenden gesperrt. Die Züge werden dann am Rhein entlang fahren. Die Fahrzeit verlängert sich um 60 Minuten.
Die Strecke bekommt von Ende Juni bis Mitte August auf 22 Kilometern neue Gleise. Fernzüge fahren einen Umweg über Venlo und brauchen dafür 45 Minuten länger. Auf der Route Köln-Siegen werden im gleichen Zeitraum 35 Kilometer Gleise renoviert. Davon sind in der Bauzeit 77 Nahverkehrszüge betroffen, die durch Busse ersetzt werden.
Von Mitte September bis Ende Oktober werden auf der Schnelltrasse Gleise und Weichen ausgetauscht. Dafür wird die Strecke zwischen Kraichtal und Stuttgart-Zuffenhausen zeitweise gesperrt. Die Umleitung über die alte Strecke kostet 40 Minuten Fahrzeit.
Von Anfang März bis April wird ein zehn Kilometer langer Streckenabschnitt saniert. Zeitweise ist eine Sperrung nötig. Die Fernzüge der Linie Nürnberg-Karlsruhe werden über Treuchtlingen umgeleitet. Das dauert 40 Minuten länger als sonst.
Auf dieser Route wird voraussichtlich noch bis August 2015 die Schienentechnik erneuert, damit Züge künftig dort mit Tempo 200 fahren können. Dabei muss ein alter Damm saniert, Gleise erneuert und neue Signalkabel verlegt werden. Ein Teil der Fernzüge muss über Augsburg umgeleitet werden. Das führt zu einer 30 Minuten längeren Fahrzeit.
Gesprächspartner empfängt der 56-Jährige in seinem Zimmer im Bahn-Tower, nicht weit von seinem alten Arbeitsplatz, dem Kanzleramt. Von dort aus hat er sein derzeit wichtigstes Thema zumindest vorerst aufs Gleis gesetzt: Grubes Expansionsstrategie im Fernverkehr. Die Bahn will die ICE- und Intercity-Strecken bis 2030 ausbauen. Intercity-Züge sollen künftig auch mittelgroße Städte wie Magdeburg, Trier und Regensburg mindestens alle zwei Stunden anfahren. Das begrüßen die Länder. Sie mögen aber nicht, dass die Bahn sie an der Finanzierung beteiligen will.
Ronald Pofallas Baby: Fernverkehrsstrategie der Bahn
Im Idealfall läuft es so wie zwischen Stuttgart und Zürich: Ab Dezember 2017 bietet die Deutsche Bahn auf der Strecke stündliche Verbindungen mit Intercity-Zügen an. Kunden des Regionalverkehrs können mit ihrem Nahverkehrsticket ohne Aufpreis einsteigen. Das Land zahlt der Bahn einen Ausgleich für die Nahverkehrstickets – ein Modell ganz nach dem Geschmack der Fernverkehrsstrategen.
Die Manager im Bahn-Tower diskutierten lange, ob sie den Fernverkehr auf Nebenstrecken nur anbieten, wenn die Länder in die Finanzierung einsteigen. In ihrer alten Bahn-Welt war die Logik klar. Zahlen die Länder nicht, spendiert die Bahn kein besseres Angebot. Pofalla forderte jedoch eine Expansionsstrategie ohne Wenn und Aber. Sein Argument: Die Länder wollten nicht gegängelt werden. „Er hat wirklich frischen Schwung in die Debatte gebracht“, sagt Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.
Nun ist die Fernverkehrsstrategie „Pofallas Baby“, sagt ein Vertreter der Nahverkehrsbranche. In Flyern wirbt er für „mehr grüne Mobilität für Deutschland“ und dafür, dass „nahezu alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern“ einen Fernverkehrsanschluss erhielten. Auf der Verkehrsministerkonferenz der Länder in Rostock im April stellte er das Konzept gemeinsam mit Personenverkehrvorstand Ulrich Homburg vor. Abends, nach zweistündigem Dinner auf einem Dampfer nach Warnemünde, klärte Pofalla rauchend an der Reling mit Landesministern die Details.
Pofalla nutzt seine alten Drähte
Pofalla ist Grubes Scharnier zur Politik. Die beiden kennen sich seit Jahren, sie schätzen und sie duzen sich. Viele Jahre war Pofalla Grubes Ansprechpartner Nummer eins in der Politik – und er stützte das umstrittene Bauprojekt Stuttgart 21 auch dann noch, als die Kosten längst explodierten.
Nun nutzt Pofalla seine alten Drähte für die Bahn. Er leitet ein Team von rund einem Dutzend Konzernbevollmächtigten, die in den Bundesländern den Kontakt zu den jeweiligen Landesregierungen halten. Sie kümmern sich um Ausbauprojekte auf der Schiene, den Zustand der Bahnhöfe, zusätzliche Wetterhäuser und um die Beziehungen ins benachbarte Ausland. Und Pofalla hält sie auf Trab, der Ex-Top-Politiker will partout zeigen, dass er Eisenbahn kann.
Neue Züge der Deutschen Bahn
Die neuen ICx von Siemens erhalten eine Beleuchtung, die sich an Zeit und Außenstimmung anpasst. Zudem erlauben sie die Mitnahme von Rädern. Die ersten der 130 bestellten Züge kommen 2017. Investition: 5,3 Milliarden Euro. Pro Jahr liefert Siemens 20 Stück. Ein rund 200 Meter langer Zug besteht beim ICx aus sieben statt acht Wagen wie beim ICE. Das senkt Kosten und bringt mehr Sitzplätze. Siemens baut zwei Modelle: 345 und 202 Meter lang, Höchsttempo 249 und 230 Kilometer pro Stunde.
Die Doppelstockzüge von Bombardier kommen vor allem auf Nebenstrecken zum Einsatz. Anders als im Nahverkehr, wo sie bereits als Regionalexpress unterwegs sind, erhalten die 44 bestellten Dostocks das blaue Velours-Ambiente eines Intercity. Investition: 660 Millionen Euro. Es gibt keinen Schnickschnack: Sitzreihen und Toiletten sind enger, kein Bordrestaurant, stattdessen mobiler Gastro-Service. Betriebliche Vorteile: Die Züge sind in der Länge variabel und gelten als extrem verlässlich.
Pofalla sei ein „permanenter Optimierer“, sagen Mitarbeiter, immer darauf aus, „sofort einen Transformationsprozess in Gang zu setzen“. Von Gesprächen mit Dritten fertige er stets Gesprächsnotizen an, um sie gleich an Untergebene weiterzuleiten, ergänzt durch konkrete Arbeitsaufträge. Am Wochenende lässt Pofalla gar die Woche kritisch Revue passieren und brütet etwa über die Taktung von Terminen auf Dienstreisen. „Terminökonomisierung und Terminoptimierung“, nenne er das, berichtet ein Mitarbeiter.
Pofallas Fernziel: Bahn-Chef werden
Nun rückt Pofalla für Becht in den Vorstand auf – früher als erwartet. Die Personalie ist Teil eines radikalen Konzernumbaus von Grube (WirtschaftsWoche 28/2015). Becht baute den Bereich Compliance, Datenschutz, Recht und Konzernsicherheit zu einer kleinen Renditeperle aus. Er verklagte Zulieferer, die in Kartellen mitwirkten und der Bahn hohen Schaden zugefügt hatten. Die Schadenersatzzahlungen brachten unerwartete Einnahmen in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages.
Entsprechend groß sind die Erwartungen an Pofalla. Gelingt ihm der Leistungsnachweis, könnte er mal Nachfolger des Bahn-Chefs werden. Doch Grubes Vertrag läuft bis Ende 2017 – und er will verlängern. Bis dahin kann viel passieren.
Immerhin wird Pofalla bald eine symbolische Demütigung los. Sein Büro im Bahn-Tower liegt in Stockwerk 15. Wer dort arbeitet, kann zwar jeden der sechs Aufzüge benutzen, um in sein Büro zu kommen. Die rechten drei Fahrstühle bringen die Beschäftigten nämlich in die Etagen 2 bis 15, die linken Expresslifts in die Etagen 15 bis unters Dach. Stockwerk 15 ist also eine Art Zwischenstockwerk, ideal für kurze Wege zu Kollegen. Doch die Vorstände fahren alle mit den linken Aufzügen direkt in die Etage 22 aufwärts. Von ihrer Warte aus liegt Etage 15 ganz unten.
Doch Fehler, wie in seiner Zeit als Politiker, dürfen Pofalla als Vorstand nicht unterlaufen. Damals sorgte etwa für Schlagzeilen, dass der Kanzleramtsminister den Euro-Kritiker Wolfgang Bosbach anblaffte: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen.“ Im Bahn-Tower tritt Pofalla diplomatischer auf, Mitarbeiter beschreiben ihn als freundlich und jovial, gar als „Mann des Understatements“, auf den man sich verlassen könne.
Pofalla - ein Spielertyp?
Ist das authentisch? Der Mann aus Kleve hat in der Vergangenheit manchmal verdeckte Spiele gespielt. Noch heute nehmen ihm Wegbegleiter der CDU am Niederrhein übel, dass sie von Pofallas Wechsel zur Bahn am Abend des 13. Dezembers 2013 aus den Nachrichten erfuhren. Zwei Stunden vorher hatte er sich noch mit dem Bezirksvorstand im Ratskeller in Kleve getroffen – und sich nichts anmerken lassen.
Auch Arroganz, die ihm nachgesagt wird, blitzt heute noch durch, zuletzt bei Pofallas Auftritt als Zeuge vor dem NSA-Untersuchungsausschuss Anfang Juli. Seine Eingangsbemerkungen dehnte er über stolze 58 Minuten und erklärte selbstbewusst, dass „ich es war“, der die Antworten auf offene Fragen im Sommer 2013 vorangetrieben habe – mit der Betonung auf „ich“. Als die Abgeordneten ihre Verwunderung über seine Möglichkeit zur Akteneinsicht im Bundeskanzleramt ausdrückten, konterte Pofalla mit dem Verweis, es gebe eben „einen Unterschied zwischen mir und Ihnen. Ich war Minister und Sie nicht. Sie wollen es vielleicht werden, aber ich war es.“
Vermisst der CDU-Mann die Politik? Als die Kanzlerin bei ihm durchklingelte, um ihn zum Vorsitzenden des Petersburger Dialogs zu machen, zögerte Pofalla keine Sekunde. Er soll der Diskussionsplattform zwischen Deutschland und Russland neues Leben einhauchen, für Pofalla ein Traumjob. Russland und Weißrussland sind Teil seiner Vita. 20 Jahre lang hat er diese Länder immer wieder bereist. Er rühmt sich, zu Putins engsten Vertrauten Kontakte pflegen.
Im Bahn-Universum sehen manche diese Doppelrolle kritischer. Sie warnen, dass sich der Bahn-Neuzugang zu verzetteln drohe – und erinnern, dass Pofalla im Bahn-Brief „perspektiven“ Vorsitzenden der Verkehrsverbünde und Landesnahverkehrsgesellschaften im März versprach: „Es ist mir ein besonderes Anliegen, Sie zu wichtigen Themen unseres Unternehmens frühzeitig und umfassend zu informieren.“
Pofalla gelobte einen „offenen, durchaus auch kritischen Dialog“. Einige Verkehrschefs schrieben zurück: Sie würden einem persönlichen Treffen mit Freude entgegensehen. Auf Antwort warten sie bis heute.