David Martin lehnt mit der Schulter an der Wand, leger in Hemd und Hose, das Sakko über den Stuhl gelegt. „Der Vorteil von Arriva ist, dass wir mit weniger Ballast unterwegs sind als traditionelle Staatsunternehmen“, sagt er. „Wir sind nicht an historisch bedingte Strukturen gefesselt, wenn wir in andere Länder expandieren.“
Der lockere Brite ist Chef der englischen Eisenbahn- und Nahverkehrsgesellschaft Arriva, die vor fünf Jahren für drei Milliarden Euro von der Deutschen Bahn geschluckt wurde. In einer Zeit, in der die Konzernmutter schwächelt und vor dem personellen Umbau steht, spielt der 63-Jährige eine Vorzeigerolle: Er, der Lenker der früheren Verkehrsfirma aus Sunderland im Nordosten Englands, exerziert seinen deutschen Eigentümern vor, wie ein Eisenbahnunternehmen floriert, wenn es flexibel, unbürokratisch und frei von lähmenden Konzernstrukturen agiert.
Zwar hat auch Arriva nicht alle Hoffnungen erfüllt. Nach Planungen von 2012 erwartete Bahn-Chef Rüdiger Grube für 2014 einen operativen Gewinn von 368 Millionen Euro. Herausgekommen sind 28 Prozent weniger. Doch im Gegenzug zu anderen Konzernsparten wächst Arriva beeindruckend. Der Umsatz erhöhte sich nach dem Kauf 2010 um 60 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro.
Der Vater dieses Erfolgs ist Martin. Eigentlich wollte der Manager mit dem Schnauzer ein Jahr nach der Übernahme abtreten. Doch Grube gab ihm maximale Bewegungsfreiheit, und Martin lieferte: Arriva gewann Milliardenaufträge in Holland und Schweden, fährt in London einen erheblichen Teil der roten Doppeldeckerbusse und betreibt Fähren in Dänemark. Insgesamt ist die Bahn-Tochter in 14 europäischen Ländern aktiv. Jetzt sucht sie Neugeschäft auch im Nahen Osten. „Die arabischen Metropolen investieren Milliarden in den Nahverkehr, daran wollen wir teilhaben“, sagt Martin.
Gegen den Briten sind deutsche Eisenbahnmanager brave Biedermänner. Martin geht ran wie ein Mittelständler, der zeigen will, was Unternehmer können. In Budapest bot er der Stadtverwaltung vor einigen Jahren an, eines von mehreren Bus-Depots zu übernehmen, um zu beweisen, welch Einsparpotenzial in den Betrieben steckt. Er senkte die Kosten um 25 Prozent. Heute fährt Arriva mit 500 Bussen durch Ungarns Hauptstadt.
Am meisten hält Martin den Spiegel jedoch seinen Kollegen der Konzernschwester DB Regio vor, die sich schwer im Geschäft mit S-Bahnen und Nahverkehrszügen tun. Dass die Deutsche Bahn zunehmend Aufträge an Wettbewerber verliert wie zuletzt in Nordrhein-Westfalen beim prestigträchtigen künftigen Rhein-Ruhr-Express, klagen die Staatsmanager gern, liege an den niedrigeren Löhnen der Konkurrenz.
Angriff auf den Luftverkehr
Der Arriva-Chef lässt das nicht gelten. „Es kommt auf die Produktivität an, und die Lohnkosten sind dabei natürlich ein wichtiger Faktor“, sagt Martin diplomatisch, bekräftigt aber noch mal: „Es kommt auf die Produktivität an.“ Bei ihm passiert es nicht, dass ein Lokführer, wie etwa bei der Deutschen Bahn in Stuttgart, nicht einmal die Hälfte seiner Arbeitszeit auf der Schiene ist und den Rest mit Anreise, Übergaben und Schriftkram vergeudet.
Nun geht Martin auch auf der Langstrecke in die Offensive. Von 2018 an will er neun Mal pro Tag auf den knapp 500 Kilometern zwischen London und Edinburgh in Schottland Hochgeschwindigkeitszüge auf die Strecke schicken. Sie sollen die beiden Städte in weniger als vier Stunden verbinden, fast eine Stunde schneller als bisherige Züge. So will er dem Luftverkehr 15 Prozent Marktanteil abnehmen. Es wäre die dritte Fernverkehrsstrecke von Arriva in Großbritannien. Mehr als 360 Millionen Euro investiert Arriva dafür, einen Großteil davon in neue Schnellzüge von Alstom.
Gleichzeitig schielt Martin auf Südeuropa. „Es könnten sich bald Möglichkeiten in Italien und Spanien ergeben, auch dort rechnen wir mit einer weiteren Liberalisierung des Marktes. Daran haben wir Interesse.“
Einen versteckten Hieb auf die deutsche Konzernmutter kann sich der Brite bei aller Höflichkeit nicht verkneifen. „All unsere Aktivitäten“, betont er, „sind profitabel.“