Das Steuer rumreißen will die Reederei NSB nicht mehr: Alle zwei Monate lässt Reederei-Geschäftsführer Tim Ponath die deutsche Flagge bei einem seiner Schiffe einholen. 65 Schiffe hat das Schifffahrtsunternehmen aus Buxtehude in seiner Flotte. Zum Jahresanfang fuhren davon noch 38 unter deutscher Flagge, heute noch 33. In zwei Jahren soll es keines mehr sein.
Auch wenn der Bundestag nun über Steuervergünstigungen für Schiffe mit der schwarz-rot-goldenen Flagge diskutiert, für die Reederei NSB sind die Kosten für die Flagge zu hoch - und auch die Heuer der deutschen Seeleute. Im Dezember letzten Jahres hat Ponath seinen Mitarbeitern die Nachricht überreicht: Alle 486 deutschen Seeleute verlieren ihren Job bei NSB. Ohne den Schritt, da ist sich Tim Ponath sicher, hätte das 1982 gegründete Familienunternehmen bald aufgeben müssen.
Die beliebtesten Flaggen der deutschen Reeder
Etwa 3200 Schiffe umfasst die deutsche Handelsflotte. Davon fahren rund 1025 Schiffe mit der Flagge Liberias. Das Land an der Elfenbeinküste fordert mindestens eine 16-köpfige Besetzung. An einem Schiff mit deutscher Flagge müssen mindestens 19 Seeleute an Bord sein.
950 der in Deutschland registrierten Handelsschiffe fahren unter der Flagge des karibischen Inselstaats Antigua und Barbuda.
Mit 370 Schiffen nimmt die deutsche Flagge nach den Daten des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie immerhin den dritten Platz der beliebtesten Flaggen ein. Doch nur 200 der Schiffe fahren nach Angaben des Verbands deutscher Reeder auch in internationalen Gewässern.
Der Inselstaat Malta ist die beliebteste europäische Flagge bei deutschen Reedern. 184 Schiffe fahren mit dem weiß-roten Banner.
171 Schiffe fahren unter der Flagge der Marshallinseln, die im pazifischen Ozean liegen.
Auch Zyperns Flagge ist bei den Reedereien beliebt: 134 Schiffe fahren unter der Flagge, die die Konturen des Staates zeigt.
Die restlichen 410 der in Deutschland registrierten Handelsschiffe fahren unter anderen Flaggen.
Ponath ist einer der Letzten in der Branche, der überhaupt noch unter deutscher Flagge fährt. Dabei ist die Macht der deutschen Reedereien unbestritten: Mit 3240 Schiffen hat Deutschland laut den Daten des Branchenanalysten IHS nach Griechenland, Japan und China die viertgrößte Handelsflotte der Welt. Am Heck der Schiffe lässt sich das nicht mehr erkennen: Die Flaggen von Liberia, von Antigua und Barbuda flattern dort im Wind, manchmal auch die von Dänemark oder den Niederlanden. Aber Schwarz-Rot-Gold? Fehlanzeige.
Den Reedern sind die Kosten zu hoch, die Vorschriften zu streng. 2008 gab es noch 645 Schiffe mit deutscher Flagge. Dann kam die Krise, die Weltwirtschaft brach ein, und für die vielen Containerschiffe auf den Weltmeeren gab es auf einmal kaum noch Ladung. Sieben Jahre später haben sich die Reedereien immer noch nicht davon erholt. Die Preise erreichen neue Tiefststände, viele Unternehmen schreiben Verluste. Die Reeder sparen deshalb auch an dem Symbol ihrer Heimat: Heute haben nur noch 360 Schiffe nach Angaben des Bundesamt für Seeschifffahrt die deutsche Flagge gehisst. Lediglich etwa 200 davon fahren auch in internationalen Gewässern.
Wie die Flagge verschwinden auch die teuren deutschen Offiziere und Schiffsmechaniker: Nur noch 6705 deutsche Seeleute im Sommer diesen Jahres in Deutschland beschäftigt, geht aus den Zahlen der Knappschaft Bahn-See hervor. So niedrig war die Zahl noch nie.
Die Bundesregierung will der kriselnden Branche nun mit Steuervergünstigungen zur Hilfe kommen. Einen entsprechenden Antrag hat der Bundestag am Donnerstag bereits diskutiert. Dass die Regierungskoalition ein darauf beruhendes Gesetz verabschieden wird, gilt als so gut wie sicher. Am Montag und Dienstag will die Bundesregierung ihr Konzept bei der Maritimen Konferenz in Bremerhaven vorstellen.
Umstritten ist, ob die Maßnahmen das Untergehen des deutschen Seemanns verhindern können - oder ob sie am Ende nur den Reedereien helfen.
500.000 Euro teurer als andere Flaggen
Der wichtigste Punkt in der neuen Strategie der Bundesregierung: Reeder, deren Schiffe unter deutscher Flagge fahren, sollen zukünftig keine Lohnsteuern mehr für ihre Besatzung zahlen müssen. Schon bisher erlässt die Regierung den Reedern 40 Prozent der Lohnsteuern. Trotzdem ist das deutsche Banner nach Berechnungen des Verbands deutscher Reeder (VDR) bis zu 500.000 Euro teurer als andere.
826.000 Euro kostet die deutsche Flagge selbst für ein kleines Containerschiff mit einer Kapazität von 2500 Standardcontainern zur Zeit. Selbst die Kosten für die niederländische und dänische Flagge sind erheblich niedriger: Die Reeder müssten dort für den gleichen Schiffstyp nur knapp 570.000 Euro zahlen. Auch, weil in den Niederlanden und Dänemark die Reeder schon lange keine Lohnsteuer zahlen. Deutschland will nun nachziehen.
Reeder fordern weitere Maßnahmen
Den Reedern fordern deshalb weitere Maßnahmen: "Die deutsche Flagge unterliegt im internationalen Vergleich bei der Besetzung den strengsten Vorschriften", kritisiert VDR-Geschäftsführer Ralf Nagel. Mindestens vier europäische Seeleute müssen auf einem Schiff mit deutscher Flagge beschäftigt sein - und ein Schiffsmechaniker.
Alleine die Heuer und die Lohnnebenkosten für den Schiffsmechaniker kosten die Reedereien um die 100.000 Euro. Dabei bräuchte man solch spezialisierten Fachkräfte nur auf bestimmten Schiffstypen, sagt Nagel. Die Gewerkschaft Verdi kämpft für den Erhalt des Berufs. Schiffsmechaniker seien Fachkräfte mit Fähigkeiten, die überall gebraucht werden könnten.
Dabei sind die Ausbildungsstandards in Deutschland und Europa längst mit denen in Sri Lanka, Indonesien oder den Philippinen vergleichbar. Die Löhne der asiatischen Seeleute betragen dabei oft nur ein Viertel. Und im Gegensatz zu den europäischen Seeleuten müssen die Reeder die asiatische Besatzung nicht für die Monate bezahlen, in denen sie auf Land bei ihrer Familie sind. „Indische und Philippinische Seeleute arbeiten für einen kleinen Teil des Geldes, auf dem Niveau kann kein deutscher Seemann eigenständig eine Familie zuhause ernähren“, sagt Klaus Schroeter, Leiter der Bundesgruppe Schifffahrt bei Verdi.
Im harten Wettbewerb auf der See will keine Reederei mehr auf diese Kostenvorteile verzichten. Die Reederei NSB holt nun Seeleute und Offiziere aus Sri Lanka, China oder Osteuropa auf ihre Schiffe, die mittlerweile unter portugiesischer Flagge fahren. Im Gegensatz zur deutschen ist mit der portugiesischen Flagge keine Besetzung der Schiffe mit bestimmten Nationalitäten.
58 Millionen Euro Subventionen in einem Jahr
„Diese Vorschriften, die die Beschäftigung von deutschen Seeleuten eigentlich sicherstellen sollen, bewirken genau das Gegenteil. Die deutsche Flagge hat erst mit einer flexibleren Regulierung eine Zukunft“, sagt Branchenvertreter Ralf Nagel. Wenn die Besetzungsverordnung geändert würde, könne das Ausflaggen vielleicht gestoppt werden, sagt er. Davon, dass die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge wieder mehr werden, redet er nicht.
Trotzdem, die Abgeordneten der Regierungsparteien haben in ihrem Antrag bereits signalisiert, die Reedereien noch mehr zu unterstützen und diese Regularien zu lockern. Dabei fördert die Regierung die Branche bereits mit 58 Millionen Euro im Jahr. Damit erhält die Schifffahrt laut dem jüngsten Subventionsbericht der Bundesregierung den Platz 19 der Branchen mit den höchsten Subventionen. Weitere 20 Millionen Euro steckt die Regierung über die Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland jedes Jahr in die Ausbildung von nautischem und technischen Personal.
Verbessert hat sich die Beschäftigungssituation der deutschen Seeleute dadurch bisher nicht. "Zu viele Absolventen gehen direkt in die Arbeitslosigkeit", sagt Verdi-Experte Schroeter. 2009, zu Beginn der Krise, fanden noch 829 Berufseinsteiger einen Job auf See. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 441, so das Ergebnis einer Untersuchung der Unternehmensberatung PWC.
Die Gewerkschaftler ist skeptisch, ob die neuen Subventionen nun das Verschwinden des deutschen Seemanns beenden können. „Die Politik unterstützt die Reeder, ohne dass daran ausreichende Bedingungen geknüpft sind", sagt Schroeter. Er verlangt, dass die Reeder im Gegenzug für die Steuervergünstigungen auch in die Pflicht genommen werden, wieder mehr deutsches Personal zu beschäftigen. "Solange von den Reedern keine Arbeitsplätze mit deutschen Seeleuten besetzt werden, hilft das den deutschen Seeleuten nicht."
Für die Mitarbeiter bei NSB kommt die Gesetzesinitiative der Bundesregierung es ohnehin zu spät: Man bedauere es, dass die Maßnahmen nicht bereits vor zwei Jahren auf der politischen Agenda gestanden hätten, heißt es aus der Zentrale in Buxtehude. Vielleicht gäbe es dann heute noch mehr Schiffe mit deutscher Flagge - und deutschen Seeleuten.