Deutschlands beste Anwälte Der zögerliche Aufbruch ins Digital-Zeitalter

Wirtschaftskanzleien stehen wegen der Digitalisierung vor dem Umbruch. Nicht alle Anwälte sind davon begeistert. Doch die Entwicklung bietet auch Chancen – inzwischen etablieren sich ganz neue Berufsbilder.

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Auch in den Kanzleien kommt die künstliche Intelligenz an. Quelle: dpa

Hamburg Dieses Jahr im April erregte ein Rembrandt-Bild über die Kunstszene hinaus einiges Aufsehen: Der Maler bestand aus Speicherchips, malte mit einem 3D-Drucker und handelte auf Basis von Algorithmen. Die künstliche Intelligenz (KI) war die Idee einer niederländischen Werbeagentur und entwarf ein Bild ganz im Stil des Künstlers Rembrandt van Rijn. Der Aufschrei war groß. Niemals könne eine Maschine die Kreativität eines Menschen ersetzen oder echte Emotionalität erzeugen, so lautete das Credo in der Kunstszene.

Das hören Wirtschaftsanwälte sicher gern. Denn auch sie stolpern seit einiger Zeit über den Begriff KI, wenn sie sich mit der Zukunft ihrer Branche beschäftigen. Dann hören sie vom Supercomputer von IBM Watson, der nicht nur in der Medizinbranche eingesetzt wird, sondern auch in Kanzleien. Baker & McKenzie etwa nutzt IBM-Software, um das projektweise hohe Aufkommen unstrukturierter Daten zu erfassen und zu analysieren. Und bei Baker & Hostetler zog kürzlich ein Roboter ein, basierend auf der IBM-Technologie Watson. Die Schreckensszenarien technik‧skeptischer Wirtschaftsjuristen scheinen wahr zu werden.

Es muss ja nicht immer IBM sein, es geht auch einige Nummern kleiner. Vor allem IT-Start-ups sehen hier einen lukrativen Markt. Allerdings läuft hierzulande die Digitalisierung im Wirtschaftsanwaltsmarkt gemächlich an. Kanzleien geben sich damit zufrieden, Software in der Geschäfts- und Produktentwicklung, im Wissens- und Kundenbeziehungs-Management, in der Vertrags- und Dokumentenanalyse sowie Rechnungserfassung einzusetzen. So weit, so unspektakulär.

Die US-amerikanische Gründerszene wirkt dagegen wie ein Blick in die Zukunft. Dort werden ständig neue Softwarelösungen für den Rechtsmarkt – Legal Tech genannt – entwickelt. Die Angel-Liste führt derzeit über 1 100 Legal Start-ups auf, wobei nicht alle einen technologischen Fokus haben. Erfragt man von Branchenkennern eine Einschätzung dazu, ob es Legal Tech in Deutschland überhaupt schon gibt, erhält man die beliebte Juristen-Antwort: Es kommt darauf an – und zwar, wie man Legal Tech definiert.

„Die weite Fassung des Begriffs meint alle software- oder technologiegestützten Tools, die im anwaltlichen Tagesgeschäft bestimmte Aufgaben effizienter und kostengünstiger lösen“, sagt der Betreiber des bekannten Legal-Tech-Blogs Micha-Manuel Bues. Die enge Fassung des Begriffs geht jedoch viel weiter. „Diese bezeichnet Tools, die juristische Arbeitsschritte automatisieren und somit die Arbeit eines Anwalts ersetzen“, sagt Bues. „Hierdurch ändert sich die Art, wie die Rechtsberatung von morgen ausgeübt wird.“

Der Kartellrechtler zählte kürzlich magere 40 deutsche Unternehmen und Plattformen. Die niedrige Anzahl ist maßgeblich durch die schwache Nachfrage bestimmt. Denn von sich aus würden Kanzleichefs zu gerne ihre Finger von diesem technischen Gedöns lassen. „Ein Blick auf die Umsatzzahlen zeigt, dass es den führenden Kanzleien sehr gut geht“, bemerkt dazu Manuel Meder. Und schlussfolgert daraus: „Das befeuert nicht gerade den Veränderungswillen der Entscheidungsträger.“ Meder ist Mitgründer des IT-Unternehmens Busylamp und Namenspartner der Frankfurter Boutique Meder & Tal. Er weiß, wie zurückhaltend Kanzleimanager derzeit beim Thema Legal Tech reagieren.

Das verwundert kaum, denn bisher funktionierte das Geschäftsmodell der Kanzleien hervorragend. Seit einiger Zeit wächst jedoch der Druck auf die althergebrachten Strukturen. „Der Nachwuchs erwartet eine zeitgemäße IT-Ausstattung und flexibles Arbeiten. Und die Mandanten wollen sparen“, sagt Gesellschaftsrechtler Meder. „Die Unternehmen sind zwar prinzipiell mit der Leistung ihrer Rechtsdienstleister zufrieden, jedoch oftmals nicht mit den Kosten und deren Unvorhersehbarkeit.“

Deshalb gibt es zögerliche Ansätze, zeitfressende Fleißarbeit zu automatisieren und damit kostengünstiger anzubieten. Die Betonung liegt auf zögerlich, denn es steht nichts Geringeres als das Geschäftsmodell auf dem Spiel. Die stundengenaue Abrechnung teurer Partner und der massenhafte Einsatz von Associates und angestellten Anwälten wird mit einem standardisierten Einsatz von Software nicht mehr durchzusetzen sein.

„Kanzleimanager haben regelmäßig Bedenken, wenn es um den Einsatz von Technologien geht“, sagt Meder. Er hat die Erfahrung gemacht, dass sein eigenes Produkt – automatisierte Rechnungsstellung für Rechtskosten – in den Rechtsabteilungen von Unternehmen zwar gut ankomme, jedoch nicht bei Partnern in der Kanzlei. „Sie sehen eher das Risiko, dass sich an der vermeintlich komfortablen Situation etwas ändert. Und nicht die Chance, sich mit Hilfe moderner Technologie zukunftsfähig aufzustellen.“


„Da sind Anwälte schlicht unkreativ“

Auch die verbreitete Skepsis gegenüber Datenschutzfragen bei webbasierten Cloud-Lösungen und der Datensicherheit wiegt schwer. Meder, dessen Produkt ebenfalls webbasiert läuft, lässt diese Bedenken nicht gelten: „Nicht nur in den USA ist das selbstverständlich. Auch in vielen europäischen Ländern werden heutzutage webbasierte Lösungen bevorzugt. Diese Trendwende setzt hierzulande erst ein und das, obwohl nirgendwo auf der Welt die Daten sicherer sind als in Deutschland.“

Ein weiterer Faktor, der der technischen Innovationsfähigkeit im Rechtsberatungsmarkt entgegenwirke, sei der fehlende Investitionswille auf Unternehmensseite. „Deutsche Rechtsabteilungen verfügen oftmals über keine eigenen IT-Budgets“, erklärt Meder. „Anders als etwa ihre amerikanischen Kollegen können sie nicht einfach sagen: Lasst uns dies oder jenes ausprobieren! – selbst wenn sie es wollten.“ Für Fehlinvestitionen gebe es in der deutschen Unternehmenswelt keinen Raum, die Risikobereitschaft sei gering.

Dass die Digitalisierung eine ganz normale Entwicklung und kein Hexenwerk ist, sieht nicht nur Meder so. „Anwälte vertreiben ihre Dienstleistung heute ortsunabhängig, Kunden fragen global nach und vergleichen die Preise. Ein ganz normaler Trend also“, winkt Carsten Reimann ab. „Kanzleien sind ja nicht von vorgestern. Sie handeln vermehrt unternehmerisch und setzen deshalb auch IT-Tools ein“, sagt der Gründer und Chef von Xenion Legal. Sein Unternehmen bietet Legal Outsourcing an. „Wo ich deutliche Grenzen sehe, ist bei den Szenarien, die sich mit der Zukunft von Rechtsdienstleistungen aus Kundensicht beschäftigen. Da sind Anwälte schlicht unkreativ.“

Ihn überrascht es daher nicht, dass Kanzleien dem Einsatz von Software kritisch gegenüberstehen. „Rechtsberater sind nur deshalb so spät dran, weil sie ihr Geschäft bisher gut schützen konnten. Anwaltszulassung, Sprachnischen und nationale Rechtssysteme verhinderten bisher das Eindringen fachfremder Berufspraktiker.“ Gerade der letzte Punkt wiegt für Reimann schwer, denn seine Geschäftsidee fußt auf der Überzeugung, dass sich auf Unternehmensseite der Einkauf von Rechtsberatung verändere. „Diese wird in ihre Einzelbestandteile heruntergebrochen werden. Denn längst nicht alles, was Anwälte verkaufen, ist juristische Kärrnerarbeit“, sagt Reimann.

Die meisten Kanzleipartner hätten einfach nur Angst. Angst vor dem sinkenden Gehalt. Angst davor, dass ihr Arbeitsalltag nur noch aus dem Bedienen von Software besteht. Angst vor Robotern, die ihnen die Mandanten ganz wegnehmen könnten.

Reimann sieht den Einsatz von KI im Rechtsberatungsmarkt als unausweichlich und skizziert zwei Strömungen: „Auf der einen Seite werden bestimmte Aufgaben von Software übernommen, was eine Standardisierung bestimmter Aufgaben zur Folge haben wird“, sagt der Xenion-Chef. „Auf der anderen Seite bearbeiten lernfähige Algorithmen mehr und mehr komplexe Themen, wie die inhaltliche Auswertung von Verträgen oder großen Datenmengen.“

Für den Legal-Tech-Beobachter Bues stellt dies eine unaufhaltsame Entwicklung dar: „Eine Kanzlei, die glaubt, in fünf Jahren erst auf diesen Zug aufspringen zu können, irrt sich. Denn in fünf Jahren haben etwa lernfähige Algorithmen beim Wettbewerber schon mehrere Millionen Verträge analysiert und daraus gelernt.“ Bues ist überzeugt davon, dass die Folgen weitreichender sein werden, als es viele heute erahnen.


Code, mit dem Anwälte Verträge programmieren werden

Diese Zukunft wird Bues nun aktiv mitgestalten, denn er verließ seine Kanzlei Gleiss Lutz und ist seit Anfang Juni Geschäftsführer des Legal-Tech-Unternehmens Leverton. Für Bues ist klar: „Wenn Legal Tech erst einmal in Deutschland durchstartet, hat das Auswirkungen in viele Richtungen: auf die Berufspraxis und die Ausbildung der Studierenden. Neue Unternehmen entstehen, neue Berufsbilder und neue Kundensegmente.“

Doch das ist noch nicht alles. Bues skizziert eine Zukunft, die über die Vorstellungskraft klassisch geprägter Anwälte weit hinausgeht: „Am Ende dieser Entwicklung steht die Frage, wie weitgehend die Rechtsfindung automatisiert werden kann und was die Rolle menschlicher Anwälte in Zukunft sein wird.“ Legal Tech beschreibt also nicht einfach nur Tools zur Effizienzsteigerung, sondern wird die Rechtsbranche fundamental verändern.

Bues spricht von einem Code, mit dem Anwälte Verträge programmieren werden. Von Sprach- und nationalen Systembarrieren, die dadurch fallen und schließlich vom Recht als solchem, das sich ändern wird. Mitsamt seinen traditionellen Methoden, der Arbeitsumgebung, der Rechtsfindung und sogar Rechtsprechung.

Trotz allem scheint eines sicher: Eine KI wird genauso wenig Rechtsberatende ersetzen wie Kunstschaffende. Denn das menschliche Gespür für feine Zwischentöne und Kreativität fehlt einer Maschine. Vorerst zumindest.

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