DHL Globaler Onlinehandel soll Deutscher Post Milliarden bescheren

Mit harter Hand hat Vorstand Gerdes das Paketgeschäft ausgebaut. Nun will er den Onlinehandel globalisieren – und 600 Millionen Menschen beliefern.

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Mann mit Macht: Jürgen Gerdes ist Chef der über 100.000 Briefträger und Paketboten der Post

Eigentlich wollte er ja Cowboy werden, sagt Jürgen Gerdes. Geklappt hat das nicht, der 52-Jährige trägt glänzende Schuhe statt Stiefel, silberne Manschettenknöpfe statt Revolver. Und doch glaubt man ihm aufs Wort. Gerdes, ein Mann, der keinen Konflikt scheut, hätte in den Wilden Westen gepasst.

Nun aber sitzt der Paket- und Briefvorstand der Deutschen Post im obersten Stockwerk des gläsernen Towers in Bonn, das gesamte Rheinland ihm zu Füßen. Sein Einfluss reicht noch weit über den Horizont hinaus. Hinter Vorstandschef Frank Appel ist „V1“, wie ihn Mitarbeiter nennen, der wichtigste Mann des Konzerns, ihm unterstehen 180.000 der 500.000 Beschäftigten.

In den vergangenen Jahren ist seine Bedeutung proportional mit der Zunahme des Onlinehandels gewachsen. Durch von ihm geförderte Innovationen wie das Post-Elektroauto hat er seinen Einfluss gesteigert, und damit das so weitergeht, hat sich Gerdes gerade ein neues Lieblingsprojekt gesucht. Er will den Onlinehandel globalisieren.

Wenn der Roboter klingelt
Der Onlinehandel wächst, und mit ihm wachsen die Probleme: Paketwagen verstopfen die Straßen deutscher Innenstädte, Boten stehen oft vergeblich an der Wohnungstür, weil die Empfänger nicht zu Hause sind. Start-ups, Logistiker und Universitäten tüfteln deshalb an der Zustellung von übermorgen. Quelle: dpa
6D9 klingt nach Science-Fiction, nach „Star Wars“-Film, doch der kleine Roboter rollt bereits durch Deutschland. Äußerlich erinnert er an eine Kühlbox mit Rädern, tragen kann er bis zu zehn Kilogramm. Das reicht für einige Pakete. Erfunden hat den Roboter das Start-up Starship Technologies aus Estland. 6D9, so die Vision, soll selbstständig Pakete in einem Depot in der Innenstadt abholen und dann über Bordsteine und Fußwege zur Adresse des Kunden fahren. Kontrolliert wird er auf seinem Weg von einer Person in der Zentrale, die auch mit den Menschen kommunizieren kann, denen 69D begegnet. Der Paketdienst Hermes hat die Anwendung bereits getestet, dabei liefen menschliche Boten allerdings noch wie Hundeführer nebenher. Der Versuch hat dem Kleinen viel Aufmerksamkeit beschert, mittlerweile probieren auch Media-Saturn und die Pizzakette Domino’s die Blechboten aus. Bis irgendwann Roboter die Gehwege ähnlich verstopfen wie heute Paketautos die Straßen, wird aber noch viel Zeit vergehen. Quelle: dpa
Drohnen kennen dieses Stauproblem nicht. An fliegenden Transportern arbeiten aktuell Onlinehändler und Logistiker auf der ganzen Welt, darunter auch Internetgigant Amazon. Kurz vor Weihnachten lieferte der Onlinehändler im britischen Cambridge das erste Paket per Drohne aus. Da ist die Deutsche Post schon weiter. Ihr Paketkopter hat sich bereits bei Einsätzen auf der Insel Juist und im oberbayrischen Reit bewährt, wo er eine Alm in 1200 Meter Höhe belieferte. Wasser und Berge überwindet die Drohne mühelos, Wind und Kälte mag sie allerdings nicht: Den ersten Almaufflug musste die Post wegen schlechtem Wetter absagen. Der Paketkopter eigne sich hervorragend für schwer zugängliche Adressen in schwierigem Gelände, meint Post-Chef Frank Appel. Für den Masseneinsatz sind die Flieger bisher jedoch nicht vorgesehen. Quelle: dpa
Auf selbstfahrende Boote setzt die Kanalmetropole Amsterdam. Auf orangefarbenen Flößen sollen Pakete schnell und staufrei durch die Grachten von einem Ort zum anderen gelangen. Roboats lautet der passende Name der ersten Prototypen, geleitet wird das Projekt von Wissenschaftlern an den Universitäten Delft und Wageningen sowie vom amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT). Sie wollen die Boote auch als intelligente Infrastruktur nutzen: So könnten sie sich schnell aneinanderreihen, um einen Kanal zu überbrücken, auch eine Bühne sollen sie formen können. Gleichzeitig könnten die Roboats Daten über Wasserqualität und Verkehrsaufkommen sammeln. Die Forscher wollen die autonomen Schiffe in verschiedenen Größen testen, der Start ist noch in diesem Jahr. Das Konzept dürfte nur begrenzt auf andere Städte übertragbar sein. Theoretisch könnten aber auch in Venedig Robo-Gondeln an den Start gehen. Quelle: Presse
Das Transwheel hingegen ist ein Alleskönner: Der einrädige Fahrroboter ist ebenfalls ferngesteuert und kann mit einem Lastarm Pakete aufheben. Und die Räder können sich auch miteinander vernetzen: Zwei Räder könnten zusammen so auch sperrige Objekte mit Überlänge tragen, ein ganzes Rudel Räder könnte auch Schiffscontainer transportieren, die heute an Land von Lastkraftwagen transportiert werden. Das wäre ein großer Fortschritt, denn bisher können Roboter und Drohnen nur wenig Gewicht laden. Entwickelt hat das Transwheel ein Student aus Israel. Pilotprojekte gibt es noch keine – ihm fehlen bislang die Geldgeber. Quelle: Presse

Dafür hat er sich selbst ein Schlagwort ausgedacht, die „Vereinigten Paketstaaten von Europa“. Ein typischer Gerdes, sagen Mitarbeiter. In dieser Welt sollen Onlineshopper es überhaupt nicht mehr merken, wenn sie, statt in Deutschland, bei Händlern in Großbritannien oder Rumänien bestellen. Und auch Empfänger in Osteuropa oder Skandinavien sollen Pakete dann innerhalb weniger Tage erhalten. Das Potenzial des grenzüberschreitenden Versandhandels soll gewaltig sein. DHL selbst schätzt den weltweiten Markt aktuell auf 300 Milliarden Dollar, in den nächsten Jahren soll er jährlich um 25 Prozent wachsen.

Gerdes will dabei sein, wenn es so weit ist. 22 Länder auf dem europäischen Kontinent bearbeitet er bereits. „Bis Ende des nächsten Jahres wollen wir in 35 Ländern präsent und aktiv sein. Das sind weit mehr als 600 Millionen Einwohner, zu denen wir bis an die Haustür kommen“, sagt er. Dazu zählt er auch Russland und die Türkei. Und selbst in Thailand und Malaysia baut die Post langsam ein Paketnetz auf, vergangene Woche tauchte mit Chile ein weiteres Land auf der langen Lieferliste auf. Damit reicht Gerdes’ Machtbereich nun bis nach Südamerika.

Das passt zu seinem üppigen Selbstbewusstsein: „Wir peilen die Marktführerschaft an. Wir wollen diejenigen sein, die am besten und am innovativsten sind“, sagt er. An der Post soll kein Weg vorbeiführen.

Überforderte Zusteller, Lieferungen an entlegene Packstationen, Rücksendungen ohne Grund. DHL macht einen fertig - und das als Dienstleister von Amazon. Deren Hotline kommt aus dem Entschuldigen nicht mehr raus.
von Marcus Werner

Autonarr baut Elektrowagen

Gerdes hat noch viel vor. Für Amazon soll die Post Lebensmittel ausliefern, er testet die Paketzustellung in den privaten Kofferraum ebenso wie die Lieferung per Drohne. Nun baut der Autonarr sogar sein eigenes Elektroauto, den Street Scooter. Gerade hat die Post angekündigt, dass sie eine zusätzliche Fabrik aufbauen will, um mehr Paketwagen zu produzieren. Mittlerweile verkauft der Konzern sie sogar an Dritte; die Fischmanufaktur Deutsche See hat gerade erst 80 Stück bestellt.

Andere Projekte sind grandios gescheitert, der Postbus zum Beispiel verbrannte Millionen. Aber eine Zeit lang fuhren gelbe Busse mit Post-Logo durch das ganze Land – Gerdes verkaufte das Projekt den Aufsichtsräten als Marketingmaßnahme, und die nahmen ihm das nicht mal übel. Die Sparte sei zugleich die älteste und trotzdem die innovativste im Konzern, lobt einer.

Ehrgeizige Ziele

Trotz aller Erfolge ist Gerdes umstritten. Der 52-jährige Fan von Schalke 04 gilt als hemdsärmelig und sehr direkt. Von Managerfloskeln hält er wenig. Seine Mitarbeiter beschreiben ihn als machtergreifend, launisch und eitel. Mit den Arbeitnehmervertretern gibt es immer wieder Streit. Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur kritisieren regelmäßig, dass die Post ihre Marktmacht in Deutschland missbraucht.

Gerdes, ganz Cowboy, stört das wenig.

Mit der Einstellung ist er weit gekommen. Als er 2007 in den Vorstand der Post aufrückte, galt das gleichzeitig als sein Karriereende. Im gleichen Jahr fiel das Briefmonopol der Post, das Unternehmen fürchtete um seine Anteile in einem ohnehin dramatisch schrumpfenden Markt. „ Du wirst der letzte Briefvorstand sein. Diesen Satz habe ich damals oft gehört“, sagt Gerdes. Dass die Post dank Onlinehandel Milliarden Pakete ausliefern werde, habe damals niemand kommen sehen. Und auch der Rückgang bei Briefsendungen ist geringer als erwartet. Deutsche Büros sind weniger papierlos, als viele denken: Die Deutschen verschicken heute nur 15 Prozent weniger Briefe als noch vor einem Jahrzehnt.

Jürgen-Gerdes Quelle: Dominik Pietsch für WirtschaftsWoche

Damit bleibt der Brief einer der wichtigsten Geldbringer von Gerdes’ Sparte, die mittlerweile „Pep“ („Post, eCommerce, Parcel“) heißt. Das gilt erst recht in Wahljahren wie diesem. „Ich liebe Wahlen“, sagt Gerdes. „Erstens, weil ich Demokrat bin, zweitens, weil ich Wahlbriefe liebe. Wenn es nach mir ginge, würden wir jedes Jahr wählen.“

Das Geschäft mit den Millionen Wahlbriefen muss er kaum teilen. Trotz Marktöffnung liegt der Marktanteil der Post bei mehr als 85 Prozent. Das ist wohl auch Gerdes zu verdanken. Er scheut sich nicht, die Wettbewerber in die Enge zu drängen. Oder bei Ministerium und Aufsichtsbehörden für die Sonderstellung der Post zu werben. Meist funktioniert das. Der Staat hält über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) noch selbst 20,5 Prozent der Aktien der Post und profitiert von jeder Dividende.

So durfte die Deutsche Post vier Mal in Folge das Briefporto erhöhen. 2016 stieg es von 62 auf nun 70 Cent. Für die satte Erhöhung war sogar eine Gesetzesänderung nötig. Dabei soll selbst Vorstandschef Frank Appel gezögert haben, ob nicht 65 statt 70 Cent reichen würden, berichten Insider. Gerdes aber sah keinen Grund für Zurückhaltung: „Im europäischen Durchschnitt kostet ein Brief 80 Cent. Das wäre sicher auch im wirtschaftlich stärksten Land Europas zu verkraften“, sagte er kurz nach der Entscheidung.

Das höhere Porto hilft ihm, seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen: Bis 2020 soll der Umsatz der Sparte jährlich um drei Prozent wachsen, auch die Marge muss er steigern.

Mehr Pakete, weniger Briefe: Wie viele Sendungen in Deutschland verschickt werden. Für eine detaillierte Ansicht bitte auf die Grafik klicken.

Das wäre kaum machbar, wenn sich die Regulierer gegen die Post stellen. Gerdes weiß das. Die Grenzen dessen, was ihm die Regulierer gerade noch durchgehen lassen, testet er dennoch aus. So wollte er im vergangenen Jahr mithilfe von Rabatten neue Kunden überzeugen. Für 14 Cent wollte Gerdes den traditionellen Werbebrief als „Impulspost“ und Alternative zu Onlinewerbung verkaufen. Die Bundesnetzagentur vereitelte den Plan. Für Gerdes war das ein Rückschlag, die Impulspost sei ein Lieblingsprojekt gewesen, sagt ein Insider.

Die Konkurrenz beklagt trotzdem permanent angeblich zugunsten des Exstaatsmonopolisten Post verzerrte Bedingungen. Mit den Gewinnen aus dem Briefgeschäft subventioniere die Post ihre Paketgeschäfte, kritisieren Hermes und Co. Gerdes dagegen sieht die Post sogar im Nachteil. Sie müsse höhere Löhne zahlen als die Wettbewerber, dank des hauseigenen Tarifvertrags und der von ihr beschäftigten Beamten.

Um keinen Konflikt verlegen

Er will dem Konzern die Vergangenheit als Staatsunternehmen austreiben. „Neben aller Lässigkeit, Menschlichkeit und Empathie: Wenn es darum geht, das Unternehmen voranzubringen, bin ich sehr konsequent. Das ist meine andere Seite. Ich kann verlieren, aber ich will nicht verlieren.“ Wie ernst er das meint, zeigte er vor zwei Jahren. Als die Briefträger und Paketboten streikten, polterte der Spartenchef lautstark gegen Verdi und ließ sogar Aushilfskräfte aus Osteuropa heranfahren, um weiter zustellen zu können.

Die Gewerkschaft hätte ihn beinahe mal seinen Job gekostet. Bei seiner letzten Vertragsverlängerung 2014 stellten sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat geschlossen gegen Gerdes. Der Aufsichtsratsvorsitzende Wulf von Schimmelmann musste von seinem doppelten Stimmrecht Gebrauch machen.

Auf Schalke mit dem Fleischbaron

Offenbar schätzte der Chefaufseher Gerdes als unverzichtbar ein. Perfekt ist die Kombination mit Vorstandschef Appel. Während der feinfühlig und nachdenklich agiert, sich gern über Politik und globale Zusammenhänge auslässt, betont Gerdes, dass er aus dem Ruhrpott kommt und möglichst kein Schalke-Derby verpasst. Dort allerdings bewegt er sich meist im VIP-Bereich, mit Schalke-Aufsichtsrat und Fleischfabrikant Clemens Tönnies soll er sich bestens verstehen.

Im Innovationslabor von DHL
Innovation Center von DHL Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
WiWo-Leser an einer Bar Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Leser im Innvoation Center Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Leser und Arm des Roboters Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Leser, Roboterarm und Tourguide Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Leser und Wagen von DHL Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Leser und DHL-Wagen Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Seine Sportleidenschaft trägt er auch in den Konzern: Die Post ist einer der größten Sponsoren des DFB. Noch mehr Geld gibt er für die Trikotwerbung bei Manchester United sowie die Formel E und Formel 1 aus. Dass hierfür jährlich ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag anfällt, bringt ihm im Konzern Kritik ein.

Das Gleiche gilt für Gerdes’ angeblich autoritären Umgang mit Mitarbeitern. Er sei „der Inbegriff eines narzisstischen Managers“, sagt einer seiner Gegner. Die Fluktuation ist hoch, viele Manager sind in den vergangenen Jahren freiwillig gegangen oder mussten gehen, weil ihr Chef unzufrieden war.

Zuletzt verließ Produktionschef Uwe Brinks die Abteilung. Der sei „sehr loyal, immer verlässlich“, sagt ein Insider. Doch mit Gerdes soll er nicht gut ausgekommen sein. Jetzt ist Brinks Geschäftsführer des Frachtgeschäfts. Das gibt ihm die Möglichkeit, vielleicht mal in den Konzernvorstand aufzurücken.

Auf der Hauptversammlung der Deutschen Post in Bochum bricht Frank Appel sein Schweigen über die Lebensmittel-Zustellung in Deutschland – eine Kooperation mit Amazon. Auch anderswo will er kräftig expandieren.

Dort führt bis auf Weiteres kein Weg an Gerdes vorbei. Post-Chef Appel steht hinter ihm, für ihn ist wichtig, dass der Vorstand die vorgegebenen Ziele erreicht. Gerdes’ Vertrag läuft bis 2020, er würde vermutlich sogar länger bleiben. Allenfalls bei einem Anruf von Schalke könnte er schwach werden, scherzt er.

Dabei hatte er sich 1984 direkt nach dem Abitur nur auf Drängen seiner Mutter bei der Post auf eine Stelle im gehobenen Dienst beworben. Heute findet er, dass sie recht hatte. „Das hier ist die fantastischste Firma der Welt. Daran gibt es gar keinen Zweifel“, sagt er. Hier zu arbeiten sei sogar besser, als Cowboy zu werden.

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