Die Ökonomie des Überbuchens Wie Airlines mit überbuchten Flügen kalkulieren

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Welche Rechte Passagiere haben

Die Airlines berechnen hierfür aus Erfahrungswerten, wie viele Passagiere der Wahrscheinlichkeit nach nicht zu ihrem Flug antreten. Das sind die sogenannten „No-Show Passagiere“. Dazu greifen sie auf ihre Datensätze der vergangenen Jahre zurück. „Unser Prognosesystem zeigt uns konkret auf, wie die Auslastung eines Flugs in den vergangenen Jahren war und mit wie vielen No-Shows zu rechnen ist“, erklärt Lufthansa-Sprecherin Lindenstein. Diese Kalkulation wird ergänzt von streckenspezifischen Parametern. Dazu zählen beispielsweise bestimmte Strecken und Zeiträume, auf denen damit zu rechnen ist, dass alle Passagiere erscheinen. Beispielsweise zu Ferienbeginn oder wenn in den Zielstädten wichtige Messen oder Kongresse stattfinden.

„Dass ein Flug überbucht ist, heißt also nicht, dass am Ende nicht alle mitkommen“, relativiert Scheffler. Sollten dann trotzdem einmal zu viele Passagiere zu einem Flug erscheinen, greifen die Fluggesellschaften zum Mittel der Überredungskunst: Zunächst wird also nach Gästen gesucht, die freiwillig vom Flug zurück treten, weil sie im Gegenzug bestimmte Leistungen bekommen – zum Beispiel einen Gutschein, Aufenthalt in der Lounge und Ähnliches. Darüber hinaus steht dem Passagier eine Umbuchung auf einen späteren Flug oder die Rückerstattung des Ticketpreises zu. „In der Regel finden sich Passagiere, die freiwillig vom Flug zurücktreten und die damit die Überbuchung ausgleichen“, so Scheffler.

Überbuchungen sind eine Wahrscheinlichkeitsrechnung der Fluggesellschaften. Ausgleichszahlungen, Gutscheine und Upgrades für Passagiere, die wegen Überbuchung umschmeichelt werden mit einkalkuliert. „Es ist prinzipiell wirtschaftlich, gelegentliche Ausgaben für Kompensation in Kauf zu nehmen für eine optimale Auslastung“, bestätigt Lindenstein. Die Chance an überbuchten Maschinen mehr zu verdienen ist letztendlich höher, als die Kosten – wenn die Wahrscheinlichkeitsrechnung doch einmal schief gegangen ist. Schließlich bleibt eine tatsächliche Überbuchung mit den passenden Algorithmen der Ausnahmefall.

Klare EU-Regeln bei Überbuchung

Welche Entschädigungen die Airlines geben müssen, wurde vor 13 Jahren in der EU-Verordnung 261/2004 geregelt. Seitdem gelten in Europa strenge Regeln, die Passagieren nicht nur bei Verspätung, sondern auch bei Nicht-Beförderung Entschädigung zusichern.

Vertreter von Airlines führten die Verabschiedung dieser Regeln darauf zurück, dass speziell Beamte der EU-Kommission schlechte Erfahrungen mit Fluglinien gemacht hatten. „Bei manchem Beamten, der viel reiste, hatte sich persönlicher Ärger aufgestaut“, hieß es damals in Branchenkreisen.

In dem Vorschlag der EU-Kommission, der 2002 an Parlament und Rat ging, wurde die Kalkulationstaktik der Luftfahrtunternehmen genau beschrieben: "Es werden dann Buchungen bis zu einer Menge angenommen, die der Kapazität des Flugzeugs plus der Anzahl der voraussichtlich nicht erscheinenden Fluggäste entspricht, so dass eine Überbuchung vorliegt.“ Ihre Konsequenz damals: Um die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen nicht zu sehr einzuschränken, aber dennoch die Rechte der Passagiere zu stärken, verabschiedete man die EU-Verordnung 261/2004.

Fluggastrechte - Die Rechtsdienstleister im Überblick

Rechtlich ist die Lage damit heute eindeutig: Bei Überbuchungen müssen Airlines in Europa Ersatzflüge anbieten, den Ticketpreis erstatten und Entschädigungen zwischen 125 und 600 Euro zahlen. Konkrete Zahlen zu Entschädigungen infolge von Überbuchungen gibt es nicht.

„Tausende Überbuchungsfälle“

Der Rechtsdienstleister Flightright, der sich auf Entschädigungen für Flugpassagiere spezialisiert hat, erklärt auf Anfrage, man habe aber im Jahr 2016 „tausende Überbuchungsfälle“ bearbeitet.

Die Überbuchungs-Taktik der Airlines

Im Vergleich zu anderen Entschädigungsgründen wie Verspätungen oder Flugstreichungen seien Überbuchungen jedoch nicht so häufig. Zudem seien sie auf kurzen und besonders günstigen Flügen wahrscheinlicher. „Bei den renommierten Airlines wird in den meisten Fällen eine Ersatzbeförderung gestellt, während bei den Billigfluglinien häufig nur der Flugpreis erstattet wird, da einfach weniger Möglichkeiten zur Ersatzbeförderung besteht“, sagt Stefanie Müller von Flightright.

Verbraucherschützer vermuten, dass die Zahl der Beschwerden auch deshalb gering bleibt, weil die gebotenen Kompensationen viele Kunden ausreichend zufriedenstellen.

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung der Fluggesellschaften scheint zu funktionieren. Die Ökonomie des Überbuchens ist ein Erfolgsrezept.

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