Zu McCalls prominenten Kopierern zählt auch Willie Walsh, der Chef der International Airline Group (IAG), unter deren Dach die spanische Fluggesellschaft Iberia und British Airways fliegen. Als Easyjet begann, Geschäftsreisende zu umgarnen, spottete Walsh, die neue Chefin solle sich erst einmal um größere Pünktlichkeit bemühen. Mittlerweile muss er zähneknirschend einräumen: „McCall ist eine der Besten in der Branche.“ Nachdem alle Versuche gescheitert waren, einen Billigflieger aufzubauen, übernahm er im April 2013 den spanischen Flugdiscounter Vueling, der ähnlich wie Easyjet arbeitet.
Vorbild Formel 1
Als die Britin vor fünf Jahren bei Easyjet anfing, schrieb sie mit als Erstes ihren Piloten einen Brief. Darin versicherte sie, unter ihr werde Easyjet, anders als von ihren Vorgängern geplant, keine „orangefarbene Ryanair“, das hieß: keine Fluggesellschaft mit so harten Arbeitsverträgen wie bei den Iren. „Damit hat sie uns allen Hoffnung vermittelt und von ihren Fähigkeiten als Managerin überzeugt“, erinnert sich Jim McAuslan, Generalsekretär der britischen Pilotengewerkschaft Balpa. Offenbar eine gute Entscheidung: Diese Woche wurde bekannt, dass gegen die harschen Pilotenverträge von Ryanair in Deutschland die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Ex-Aufsichtsratschef Michael Rake räumt ein, dass McCalls Berufung zwar umstritten war, „aber für uns im Aufsichtsgremium war es vor allem wichtig, den Rückhalt des Unternehmens bei den Beschäftigten und den Kunden wieder zu stärken“. Dazu heuerte sie zusätzliche Piloten und Crews an, ließ Arbeitsabläufe vermessen und holte sich Rat bei Motorsportexperten der Formel 1. „Die zeigten unseren Teams, wie man Sekundenbruchteile einsparen kann.“
Mit einem effizienteren Zeitmanagement gelang es McCall nicht nur, die Mitarbeiter zu versöhnen, sondern auch ohne zusätzliche Flugzeuge die Zahl der Verbindungen auf wichtigen Strecken zu erhöhen. Zudem widmete sie sich stärker als ihre Vorgänger den lukrativen Firmenkunden, indem sie Rabatte für Unternehmen anbot und Easyjet in die Buchungssysteme für Geschäftsreisende schob. Gleichzeitig strebt McCall in die Ferne. Easyjet bietet inzwischen auch Flüge nach Tel Aviv und Moskau an. Dass Easyjet in Deutschland derzeit relativ wenige Flüge hat, liegt am ungewohnt heftigen Wettbewerb durch Air Berlin und Germanwings, aber auch an den ständigen Verzögerungen beim Bau des Berliner Hauptstadtflughafens.
Nur wenn es um ihre persönlichen Interessen geht, ist es mit McCalls Zugänglichkeit vorbei. Als ein Fernsehjournalist sie fragte, wie sie ihr Gehalts- und Bonuspaket 2014 von über zehn Millionen Euro rechtfertige, schloss McCall kurz die Augen und antwortete mit einem Lächeln aus dem Gefrierfach: „Die Höhe meiner Vergütung wird nicht von mir, sondern von anderen festgelegt und richtet sich nach kurz- und langfristigen Leistungskriterien. Wenn wir diese Leistung nicht bringen, gibt es auch keine Prämien.“ Ihr Fixgehalt betrug 2014 700.000 Pfund, was Ende des Jahres etwa 870.000 Euro waren.
„Verlasse deine Komfortzone, lerne kalkulierte Risiken einzugehen“, empfahl sie mal vor Schülern. „Vor allem aber suche dir eine Tätigkeit, die dir Spaß macht.“ Was das für sie heißt, will McCall zurzeit nicht sagen. Ob fünf Jahre bei Easyjet genug sind und sie wieder einmal etwas ganz anderes machen will? „Nein“, sagt sie am Rande des Treffens am Flughafen Schiphol. „Mir macht meine Arbeit Spaß, ich mag sie sehr. Wirklich sehr. Wir haben noch viel zu tun.“
Bei McCall kann das viel heißen. Im Dezember 2009 habe sie „aus heiterem Himmel“ ein Headhunter beim „Guardian“ angerufen, um ihr den Job bei Easyjet anzubieten, erzählte sie einmal.
Es dürfte nicht der letzte gewesen sein.