Wer wissen will, wie Universal den Spagat zwischen Kunst und Kosten hinbekommt, muss Tom Bohne besuchen. Der oberste Talentscout für Deutschland bleckt die weißen Zähne gern zum „Ich bring dich groß raus“-Lächeln und verbaut sich den Blick auf die Spree scheinbar achtlos mit CD-Stapeln und Verkaufsauszeichnungen.
Doch er arbeitet, als stünde er in Diensten eines Konsumgüterriesen. Ein Song ist ein Produkt, und Bohne erweitert kühl die Palette. Als Erster erkannte Universal nach der Jahrtausendwende, dass Musikfans zunehmend Stars aus den eigenen Gefilden bevorzugen, und stellte lokales Geschäft auf eine Stufe mit dem Import-Business. So setzte Bohne auf deutsche Bands wie Tokio Hotel. Und er erweitert die Bandbreite: Seine Wände zieren Fotos und Auszeichnungen für Hunderttausende verkaufte Platten von Stars wie Schnulzen-Spezialist Semino Rossi bis zu den Brachial-Provokateuren Rammstein. „Wir nehmen jedwede Art von Künstler unter Vertrag, wenn er uns Erfolg versprechend erscheint, und wollen alle Felder des Marktes besetzen“, sagt Bohne, „ab und zu fehlt noch was im Portfolio – wie aktuell ein junger Schlagerstar.“
Dazu haben Betriebswirt Bohne und sein Team die bislang vorherrschenden Faktoren Bauchgefühl und Liebe zur Musik durch ein solides Produktmanagement ergänzt. „Unsere Aufgabe ist es, Künstler zu begleiten und zu beraten“, sagt Bohne. Dazu gehören Marktforschung bei Zielgruppen, Produktgestaltung mit der passenden Verpackung sowie ein flexibler Werbeplan.
Bekamen Künstler früher je nach Umsatzerwartung automatisch teure Fernsehwerbung oder billigere Anzeigen in Musikmagazinen, lotet Universal nach dem Vorbild der Independents vor allem bei Facebook, auf Blogs und bei Twitter aus, wie Fans reagieren. „Wir achten sehr genau auf die Trends und Stimmungen und stoßen aktiv Wellen an“, sagt Bohne. „Wir können Zielgruppen sehr genau anvisieren“, ergänzt Briegmann, „wir haben jetzt erstmals adressierbare Kunden.“
Top 10 Meistverkaufte Singles in Deutschland 2012
Künstler: Olly Murs feat. Rizzle Kicks
Titel: Heart Skips A Beat
Firma: Sony
Independent: Nein
Herkunft: UK
Künstler: Laureen
Titel: Euphoria
Firma: Warner
Independent: Nein
Herkunft: Schweden
Künstler: PSY
Titel: Gangnam Style
Firma: Universal
Independent: Nein
Herkunft: Südkorea
Künstler: Rihanna
Titel: Diamonds
Firma: Universal
Independent: Nein
Herkunft: USA
Künstler: Carly Rae Jepsen
Titel: Call Me Maybe
Firma: Universal
Independent: Nein
Herkunft: USA
Künstler: Asaf Avidan & The Mojos
Titel: One Day/ Reckoning Song
Firma: Sony
Independent: Nein
Herkunft: Israel
Künstler: Lykke Li
Titel: I Follow Rivers
Firma: Warner
Independent: Nein
Herkunft: Schweden
Künstler: Gotye Feat. Kimbra
Titel: Somebody That I Used To Know
Firma: Universal
Independent: Nein
Herkunft: Australien
Künstler: Die Toten Hosen
Titel: Tage wie diese
Firma: JKP/ Universal
Independent: Ja
Herkunft: Deutschland
Künstler: Michel Telo
Titel: Ai se tu pego
Firma: Universal
Independent: Nein
Herkunft: Brasilien
Damit setzt Universal in der Branche den Maßstab. Auch unabhängige Künstler wissen um die Macht der Majors. „Die sind gut darin, Trends früh zu sehen und durch eine große und gewiefte Marketingmaschine gezielt zu verstärken“, sagt Piet Blank vom Kölner Produzententeam Blank & Jones.
Die zweite Hilfe für Universal aus der Pariser Zentrale war eine volle Kriegskasse. Der Kauf der EMI Ende 2012 mit Künstlern wie den Beatles war nur der Abschluss einer globalen Einkaufstour von Unternehmen wie Arsenal in Brasilien bis zum chinesischen Joint Venture Sum Entertainment. In der Summe, so Branchenkenner, habe Universal seit Ende 2000 wohl an die 20 Milliarden Euro ausgegeben.
Dadurch profitiert Universal heute vom globalen Wachstum, da der Musikmarkt laut PwC in Ländern wie Indien, China oder Indonesien im Gegensatz zur Alten Welt bis 2018 um im Schnitt bis zu 18 Prozent wächst. Es beschert dem Konzern zugleich Überraschungshits wie „Ai Se Eu Te Pego“ vom Brasilianer Michel Teló, die Universal nach den ersten Erfolgen sofort weltweit vermarktet. „Man braucht schon eine gewisse Größe, um auch Fehler machen zu können, die einem nicht gleich das Genick brechen“, sagt Briegmann.