Fassadenbrände Nicht nur Hochhäuser sind gefährdet

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Wie wild drauflos gedämmt

„Bei Bauten unter 22 Meter Höhe wurden potenziell brennbare Baustoffe seit Jahren in riesigen Mengen verbaut – und keiner weiß, ob das immer fachgerecht war“, warnt etwa Peter Bachmeier, Chef der Abteilung Vorbeugender Brandschutz bei der Münchner Feuerwehr. Sein Kollege Dirk Aschenbrenner, Leiter der Berufsfeuerwehr Dortmund und Präsident der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes, sagt: „Bei der Masse der mit brennbaren Stoffen gedämmten Bauten unterhalb der Hochhausgrenze tickt die wirkliche Zeitbombe.“

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Der Argwohn der Brandexperten gilt dabei dem am häufigsten verbauten Dämmmaterial Polystyrol, das landläufig Styropor heißt. An Häusern aller Größen wurden in Deutschland zwischen 1960 und 2012 bundesweit etwa 720 Millionen Quadratmeter dieser Wärmedämmsysteme verbaut. Dortmunds Feuerwehrchef Aschenbrenner weiß: „Zwei Drittel der Brände, bei denen die Fassade betroffen war, sind von außen entstanden, etwa durch brennende Müllcontainer, Pkw-Brand oder Brandstiftung.“ Die Brände erfassen dabei die Fassaden und greifen nach innen über, während höher gelegenes Polystyrol durch die Hitze schmilzt und nach unten in die Flammen tropft – und kaum noch zu stoppen ist.

Doch Druck macht die Politik nicht der Polystyrol-Industrie, sondern dem Brandschutz. Das Bauwesen wurde dereguliert, um Kosten zu senken und Fristen zu verkürzen. Das hat dazu geführt, dass unter der Hochhausgrenze nur noch die Architekten garantieren sollen, dass die Brandschutzvorgaben eingehalten werden. Bis heute gehört Brandschutz aber nicht zu deren Pflichtlernstoff. Und der Gesetzgeber – getrieben vom Ziel, möglichst rasch die eigenen Energiesparvorgaben zu erreichen – hat ausgerechnet die Dämmung von Gebäuden der Baukontrolle entzogen.

Als „Verfahrensfreie Maßnahmen“ dämmen Bauherren und Wohnungsbaugesellschaften seit Jahren deshalb wie wild drauflos. Beim Einbau der Isolierungen, oft im Do-it-yourself-Verfahren, werden Fehler gemacht, die Witterung hat über Jahre und Jahrzehnte die darüber liegenden Putzschichten beschädigt. Die können dann nicht mehr verhindern, dass sich die Dämmung entzündet.

Von der Politik ist Abhilfe nicht zu erwarten. Ende November tagt die nächste Konferenz der Bauminister (BMK) der Länder. Sie hat „über weitere Verfahrensschritte zur Thematik Hochhäuser nachzudenken“, schreibt der federführende Bauminster Thomas Webel in einem Brief an die Kollegen in schönstem Beamtendeutsch. Für die „Einberufung einer Sonder-BMK“ davor sieht Webel aber keinen Anlass.

Immerhin findet in der Wohnungswirtschaft langsam ein Umdenken statt. Vize-Marktführer Deutsche Wohnen etwa setzt seit drei Jahren kein Polystyrol als Dämmmaterial mehr ein. Mit der stattdessen verwendeten Mineralwolle wird die Dämmung zwar um bis zu 30 Prozent teurer. Aber das kann Leben retten.

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